Das Herz baut sich eigene Bypässe
Die Selbstheilungskräfte des Herzens sind größer als man bisher gedacht hat: Anstatt die verstopften Gefäße von Patienten mit Kathetern, Stents und künstlichen Bypässen operativ offenzuhalten, könnte dies der Organismus selbst übernehmen, schreibt das Magazin Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Dies könnte einen Paradigmenwechsel in der Herzmedizin bedeuten.
"Das scheint ein neuer Ansatz zu sein. Wir haben herausgefunden, dass sich diese biologischen Bypässe sozusagen anknipsen lassen", sagt Priv.Doz. Ivo Buschmann im KURIER-Interview. Der Gefäßmediziner forscht seit 15 Jahren an der Berliner Charité sowie Max-Planck-Gesellschaft zum Thema und hat dafür ein spezielles, patentiertes Therapieverfahren entwickelt. Dieser Regenerationsmechanismus der Blutgefäße heißt Arteriogenese. Verengen sich die größeren, pumpt der Körper Blut in ein Netz kleiner Gefäße – den sogenannten Kollateralen. Diese reagieren auf den zunehmenden Druck, indem sie sich weiten und dadurch neues Gefäßmaterial wächst.
Vor allem für chronische Herzpatienten sieht Buschmann Vorteile in diesem neuen Ansatz. "Damit kann man vielen Patienten helfen. Wenn es effizient gemacht wird, kann sogar ein Herzkatheter verhindert werden." Allerdings nicht in einer akuten Situation wie etwa einem Herzinfarkt. "Da muss die Gefäßenge sofort und operativ innerhalb weniger Minuten behoben werden." Ein natürlicher Bypass brauche hingegen einige Wochen für seine Entwicklung.
Von nichts kommt allerdings nichts. Die Kollateralen werden nämlich vor allem durch Bewegung aus ihrem Dornröschenschlaf geholt. Fließt das Blut schneller durch die Adern, regt das ihr Wachstum an. Und das braucht (Trainings)Zeit. Aber zum Glück keine Sportlerkarriere.
Bewegung
Eine in der Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Studie mit 400.000 Teilnehmern zeigte: Bereits 15 Minuten körperliche Bewegung täglich reichen, um das Infarktrisiko um 20 Prozent zu verringern und das Leben um drei Jahre zu verlängern. An der Uni-Klinik in Bern wiesen Forscher zudem nach, dass Menschen mit stark ausgeprägten Kollateralen ein um 36 Prozent geringeres Sterberisiko hatten.
Ein weiterer Forschungsansatz ist die Suche nach Wirkstoffen, um die Arteriogenese gezielt auslösen zu können. Das könne auch akut vom Herzinfarkt Bedrohten helfen, zitiert Der Spiegel Experten.
Die Forschungen rund um die Bio-Bypässe wirft ein neues Licht auf den Einsatz von Cholesterin senkenden Mitteln (Statine) zum Schutz der Herzgesundheit. Diese könnten die Selbstheilungskräfte des Herzens sogar drosseln. Ivo Buschmann: "Es ist zu wenig untersucht, welche Einflüsse Medikamente auf die biologischen Bypässe nehmen. Es ist wichtig, gerade diese Arzneien zu identifizieren." Man wisse bereits, dass etwa stark entzündungshemmende Medikamente die natürliche Arteriogenese drosseln können.
Eine maßgeschneiderte Hose fürs Pumporgan
Um die Selbstheilungskraft des Herzens und das Wachstum neuer Gefäße zu unterstützen, hat der Berliner Gefäßmediziner Ivo Buschmann eine so genannte "Herzhose" entwickelt: "Wir trainieren mit gezielter Schubkraft des Blutes die feinen Nebengefäße des Herzens." An den Beinen des Patienten befestigte Manschetten ermöglichen das kontrollierte Aufpumpen – dadurch wird das Blut mit einer großen Intensität bis zum Herzen gepumpt "Es ist wie ein Maßanzug für das Herz des jeweiligen Patienten", sagt Buschmann.
Er spricht von einer Art Starthilfe, speziell für chronisch Herzkranke. "Viele haben ja gar keine Möglichkeit, durch Bewegung ihre Kollateralen zu trainieren. Die Herzhose ist ein guter Motivator, um Lebensstilveränderungen anzustoßen. Es fällt dann leichter, ihr Gewicht zu reduzieren oder mit dem Rauchen aufzuhören." Auch in der Prävention sieht Buschmann Ansätze. "Wir bereiten eine große europäische-amerikanische Studie vor, um die Herzhose mit Ergometertraining zu vergleichen."
Derzeit werden in Deutschland die ersten 20 Herzhose-Stationen aufgebaut. Geplant sind solche Referenzzentren im gesamten deutschsprachigen Raum – auch in Österreich. Über die laufenden Verhandlungen hält sich Buschmann im KURIER-Gespräch noch bedeckt, in zwei bis drei Monaten sollen die Verträge fixiert sein. "Wir sind mit drei auf Präventivmedizin spezialisierte Häusern im Raum Wien, Graz und Innsbruck im Gespräch."
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