Hoffnung für Schwerkranke: nicht zugelassene Arzneien

Bis zur Marktreife eines Medikaments dauert es mehr als zehn Jahre.
Neue Online-Plattform will den Zugang erleichtern.

Für viele Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ist es die letzte Hoffnung: der sogenannte "Compassionate Use" (engl. für Anwendung aus Mitgefühl). Damit erhalten sie Zugang zu einem Medikament, obwohl es sich noch in Entwicklung befindet. Dass sie ein möglicherweise lebensrettendes Präparat verwenden dürfen, hängt vom Goodwill der Pharmafirmen ab – und von den Gesundheitsbehörden des jeweiligen Landes. Die niederländischen Betreiber der neuen Online-Plattform myTomorrows wollen nun den Zugang erleichtern.

Wie viele Menschen müssten sterben, weil ihnen ein vielversprechendes Medikament vorenthalten werde, erklärt Plattformgründer Ronald Brus im Magazin Der Spiegel seine Intention. Auf myTomorrows stellt er öffentlich zugängliche Informationen über die Arzneien in Studien, deren Einsatzgebiete sowie Frühzugangsprogramme, um die Mittel zu bekommen, online.

Zugang zu Arzneien

Brus’ Interessenten sind etwa "austherapierte" Patienten, wo herkömmliche Medikamente nicht mehr wirken, oder jene mit seltenen Erkrankungen, für die es noch keine Standardtherapien gibt. "Patienten und Ärzte bräuchten früheren Zugriff auf Arzneimittel und relevante Daten aus dem echten Leben", sagt Robert Kraal, seit Juni Chief Operating Officer der Plattform. Die Nachfrage ist groß: 30.000 Anfragen verzeichne man derzeit monatlich, sagt Brus. An der Spitze: Prostatakrebs, Hautkrebs und chronisches Erschöpfungssyndrom. Das Recht, ein Mittel schon vor der Zulassung anzuwenden, wird – ausgehend von den USA – in vielen Ländern zunehmend eingefordert. Mehr als zehn Jahre dauert die Entwicklung eines Medikaments im Durchschnitt, von Laborversuchen bis zur Zulassung. Für manche Patienten sei es dann bereits zu spät, wird argumentiert.

Pharmafirmen haben wenig Interesse

Pharmafirmen haben allerdings international wenig Interesse, ihre noch experimentellen Arzneien für "Compassionate Use" herzugeben. Dafür müssen bereits valide, vorläufige Daten (etwa Phase-Zwei-Studien) vorliegen. Weiters können die Anträge nur von der Pharmafirma selbst gestellt werden. Die Bewilligung erteilt in Österreich das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Seit 2010 wurden von 16 Anträgen insgesamt 14 bewilligt.

Sinnvolle Reglemetierung

Arzneimittelexperte Christoph Baumgärtel sieht eine völlige Liberalisierung kritisch. Die Reglementierung sei sinnvoll. "Wie soll jemand – womöglich auch noch in einer Ausnahmesituation – erkennen, ob es sich um ein sinnvolles Medikament handelt oder um Scharlatanerie." Für solche Fälle sei "Compassionate Use" geschaffen worden. Mit Hoffnung von Patienten solle kein Profit gemacht werden. "Eine totale Freigabe würde dem Tür und Tor öffnen." Auch bedeute nicht jede Substanz in Entwicklung per se eine Heilung, auch wenn die Datenlage in einer Studie gut ist. "Wir hatten auch Fälle, wo wir Compassionate Use erteilten, weil die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten sehr vielversprechend waren. Im weiteren Studienverlauf zeigte sich, dass dem nicht so war."

In anderen Fällen wie beim Glioblastom – eine Form von Gehirntumor, die häufig Kinder trifft – wurde die Verwendung eines nicht zugelassenen Präparats rasch bewilligt und läuft seit 2013 mit positiven Ergebnissen. "Zuvor lag die Lebenserwartung der zum Teil jungen Patienten bei einem Jahr."

Begriffe: Unterschiede zur Anwendung von experimentellen Arzneien

Compassionate Use Darunter versteht man Ausnahmeregeln, die von nationalen Gesundheitsbehörden bewilligt werden müssen. Diese Programme dienen einer Gruppe Schwerstkranker in Situationen ohne alternative Therapien dazu, einen beschleunigten Zugang zu noch nicht zugelassenen Arzneimitteln zu ermöglichen. Es müssen allerdings schon Daten zu einer Wirksamkeit vorliegen.

Named Patient Use Dies sind nicht systematische Heilversuche mit noch nicht zugelassenen Präparaten, die sich immer nur auf einen Patienten beziehen. In Österreich unterliegt die Durchführung keiner behördlichen Bewilligung, sondern der Eigenverantwortung des behandelnden Arztes.

Off-Label-Use Mit diesem Begriff bezeichnet man die Verwendung eines zugelassenen Mittels außerhalb seiner Zulassung. Ein Beispiel für einen Off-Label-Einsatz ist etwa die Einnahme von Aspirin, das seit Jahrzehnten gegen Schmerzen zugelassen ist, zur Prävention von Darmkrebs.

Kommentare