"Wir sind keine Nestbeschmutzer"

Machen sich unter Kollegen keine Freunde: Die Autorinnen und Ärztinnen Marion Reddy (re.) und Iris Zachenhofer.
Zwei Neurochirurginnen schreiben in einem Buch über machtgierige Chirurgen und Pfusch im OP.

Viele Passagen des Buches lesen sich wie ein Gruselroman, entstanden aus der Fantasie eines Stephen King. Das ist es aber nicht, sondern ein erschreckender Tatsachenbericht von zwei Neurochirurginnen. Marion Reddy und Iris Zachenhofer decken in ihrem neuen Buch Dachschaden gnadenlos die Missstände in den neurochirurgischen Abteilungen der Universitätsklinik in Wien und an der entsprechenden Abteilung am LKH Feldkirch auf, wo die beiden zehn Jahre arbeiteten. Da wagt sich etwa ein Bandscheiben-Spezialist mit nichts als einer Video-Anleitung an einen Gehirntumor. Nach der OP ist die junge Frau im Gesicht halbseitig gelähmt. Die beiden Insiderinnen berichten von Ärzten, die vollkommen übermüdet operieren. Oder von süchtigen Göttern in Weiß, die so selbstverständlich aus Eigenbedarf in den Medikamentenkasten greifen, wie in den Eiskasten. Warum die beiden Ärztinnen so gegen die Kollegenschaft ziehen? Sie haben beide neue Lebenswege eingeschlagen. Marion Reddy ist Neurochirurgin in Toulouse und Iris Zachenhofer ist Psychologin.

KURIER: Sie bezeichnen die Neurochirurgen als Narzissten in Weiß, nennen sie wortwörtlich Würstchen, die in der Kindheit Loser waren. Ist das Buch eine persönliche Abrechnung mit Ihren Ex-Kollegen?

Marion Reddy: Das kann man so sehen, ist es aber nicht. Wir empfinden keinen Hass, sondern wir wollten die Missstände aufzeigen. Und es ist auch klar, dass uns einige als Nestbeschmutzer sehen werden, aber das sind wir nicht. Wir waren anfangs beide hochmotiviert. Aber bald mussten wird feststellen, dass es den Neurochirurgen, nicht um die Patienten geht, sondern um die Selbstbestätigung. Wir fürchten uns vor der medizinischen Versorgung bei Aufenthalten in Ländern wie Vietnam oder Thailand. Aber glauben Sie uns, unser Gesundheitssystem ist manchmal Spielzeug narzisstischer Wichtigtuer, sodass ein Aufenthalt auch in Österreich gefährlich sein kann.

Was war der schlimmste Pfusch, den Sie miterlebten?

Das tägliche Business sind ja Bandscheibenvorfälle. Aber wenn man Neurochirurgen nur auf Bandscheibenvorfälle reduziert, sind sie fast beleidigt. Die Königsklasse sind die Tumore. Aber nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung haben diese Erkrankung. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, an einen Arzt zu kommen, der bei diesem Eingriff wenig Erfahrung hat, ziemlich groß. Aber die Eitelkeit verbietet es ihnen, einen erfahrenen Kollegen um Assistenz zu bitten. Deswegen passierte es, dass die Routineoperation bei einer Tumor-Patientin zum Desaster wurde. Nach der OP war sie einseitig gelähmt und konnte das rechte Auge nicht mehr schließen. Sie bekam Depression und ihr ganzes Leben war zerstört.

Sie bezichtigen Neurochirurgen, unnötige OPs durchzuführen. Was meinen Sie genau?

Neurochirurgen operieren für ihre Operationsliste Patienten, die nicht mehr die geringste Überlebenschance haben. Auf diese Art schaffen sie Koma-Patienten, die jahrelang auf der Komastation dahinvegetieren.

"Wir sind keine Nestbeschmutzer"
Dachschaden_ Fotos per Email von Ida Metzger_Lukas Beck. VÖ honorarfrei.

Der Präsident der österreichischen Fachgesellschaft für Neurochirurgie Manfred Mühlbacher ist über das Buch Dachschaden alles andere als erfreut. „Für mich ist dieses Buch ein Roman mit autobiografischen Zügen, das aber als Sachbuch präsentiert wird. Das ist aus meiner Sicht unseriös.“ In Österreich gibt es 210 Neurochirurgen, die in dem Buch allesamt als Narzissten dargestellt werden, die große Kindheitstraumata zu bewältigen haben. „Die beiden Autorinnen haben sich vielleicht den einen oder anderen Exoten herausgepickt, aber ich kann versichern, der Großteil der 210 Neurochirurgen sind ganz normale, bescheidene Menschen“, verteidigt Mühlbacher seine Kollegen. Der Präsident vermisst in dem Buch Dachschaden vor allem eines – nämlich dass die positiven Seiten und die Leistungen der Neurochirurgen aufgezeigt werden. „Es ist okay, wenn man den Finger auf Wunden legt, aber was mich stört ist, dass ausschließlich über die Neurochirurgen hergezogen wird.“

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