Wie die Medizin der Zukunft aussieht

Gen-Analysen wird es bald noch viel billiger geben.
Top-Forscher Norbert Bischofberger bei Wien-Besuch: Die Medizin wird künftig viel früher eingreifen als heute. Krankheiten werden neu eingeteilt.

"Die Medizin heute ist sporadisch und reagiert meistens nur: Sie gehen erst zum Arzt, wenn es Ihnen schlecht geht. Die Medizin der Zukunft hingegen wird kontinuierlich und proaktiv sein", sagt Norbert Bischofberger: Man werde vorausschauend regelmäßig viel mehr Daten erheben – das genetische Profil, Indikatoren, die frühzeitig ein erhöhtes Risiko für Krankheiten anzeigen, oder die Zusammensetzung der Bakterienvielfalt. "Sie werden über einen umfassenden Grundstock an Daten verfügen – und wenn Sie zum Arzt kommen, wird er diese vor sich haben und Ihnen schon Empfehlungen geben."

Wie die Medizin der Zukunft aussieht
Interview mit Norbert Bischofberger, Biochemiker und Entwickler des Influenza-Therapeutikums Tamiflu. Wien, 06.12.2017

Der Vorarlberger Bischofberger ist Vizepräsident und Forschungsdirektor von Gilead Sciences in Kalifornien, einem der größten Biotech-Unternehmen der Welt. Der Biochemiker entwickelte das Anti-Grippe-Mittel Tamiflu, Medikamente gegen HIV sowie neue Therapien gegen Hepatitis C, mit denen mehr als 90 Prozent der Patienten geheilt werden. Dienstag sprach er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien über die "Zukunft der Medizin: Technologie und personalisierte Therapie".

Krankheiten nach Eigenschaften klassifizieren

"Mit einigen Ausnahmen vor allem in der Krebstherapie dominiert bei Behandlungen immer noch der Ansatz ,one size fits all‘ – eine Größe passt allen", sagt Bischofberger im KURIER-Interview. Doch das ändere sich rapide: "Zum ersten Mal hat die US-Gesundheitsbehörde ein Krebsmedikament für alle Tumore mit einem ganz speziellen genetischen Merkmal zugelassen – egal, welchen Körperteil es betrifft. Wir werden Krankheiten nicht mehr nach Organen, sondern nach speziellen Eigenschaften klassifizieren."

Novartis und Gilead haben in den USA die ersten Zulassungen für Krebstherapien bekommen, bei denen Abwehrzellen des jeweiligen Patienten gezielt genetisch verändert werden, damit sie Krebszellen besser erkennen (siehe Grafik). Auch das tatsächliche biologische Alter werde eine größere Rolle spielen. "Ein 60-Jähriger kann biologisch 50 oder 70 sein – das macht für die Therapie einen Unterschied, etwa bei der Bewertung eines erhöhten Blutdrucks." Neue Methoden, die spezielle chemische Veränderungen des Erbmaterials analysieren, ermöglichen mittlerweile eine präzise Bestimmung dieses biologischen Alters.

Mehr Zeit für den ganzen Menschen

Die Gefahr, dass vor lauter Daten der ganzzeitliche Blick auf den Menschen verloren geht, sieht Bischofberger nicht: "Im Gegenteil: Alle Daten helfen dem Arzt, dafür mehr Zeit zu haben."

Möglich mache diese Enwicklung auch die starke Kostenreduktion bei den Analysemethoden. Kostete die Entschlüsselung eines menschlichen Genoms anfangs mehrere Millionen US-Dollar, sind es jetzt einige tausend US-Dollar: "Und die Prognose ist, dass es in einigen Jahren einige wenige hundert Dollar sein werden", sagt Bischofberger. Auch die Analyse des Mikrobioms - der Vielfalt der menschlichen Bakterienwelt - sei heute leichter durchzuführen als noch vor einigen Jahren. Und Bischofberger verweist auf einen interessanten Zusammenhang: "Menschen mit einer höheren Bakterienvielfalt in ihrem Mikrobiom sprechen besser auf neue, zielgerichtete Krebstherapien an."

Eine Revolution kündige sich auch in der Auswertung von Daten aus bildgebenden Verfahren wie MRT, CT und Röntgen sowie in der Diagnostik generell an. So sind beim Erkennen von verschiedenen Krankheiten spezielle Computer-Netzwerke dem Menschen ebenbürtig oder sogar besser, zeigten mehrere Studien, die heuer veröffentlicht wurden, sagt Bischofberger.

Kommentare