Atom-Katastrophen lösen Depressionen aus
Obwohl die Strahlenbelastung für die Menschen nach Fukushima relativ niedrig war und keine erkennbaren körperlichen Gesundheitsschäden erwartet werden, hatten psychische und soziale Probleme einen verheerenden Einfluss auf das Leben der Menschen". Das sagt der Strahlenschutz-Experte Koichi Tanigawa von der Fukushima Medical University in Japan, der sich intensiv mit Atomkatastrophen wie jener in Tschernobyl oder Fukushima auseinander gesetzt hat. Zum 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki widmet das Medizinjournal The Lancet den Gesundheitsrisiken durch Atomunfällen eine dreiteilige Serie, in der auch Tanigawas Erkenntnisse vorkommen.
Mehr Depressionen
Am Beispiel von Tschernobyl konnten die Wissenschafter zeigen, dass Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen auch noch zwanzig Jahre nach dem Reaktorunglück vermehrt vorkommen. Ähnliche Probleme gebe es jetzt auch nach dem Gau in Fukushima: 14,6 Prozent der dort evakuierten Erwachsenen leiden an psychischen Problemen – fast fünf Mal mehr als in der restlichen Bevölkerung.
Warum das so ist, dafür gibt es Erklärungsversuche, die sich um Angst und Verunsicherung drehen: Die Evakuierung sei chaotisch gelaufen, und die Menschen seinen nur unzureichend über Gesundheitsgefahren informiert worden, sagen die Autoren und fordern: Man müsse in Zukunft potenziell betroffenen Bewohnern helfen, die Risiken zu verstehen.
In diesem Zusammenhang stellen sie einen Vergleich an: Nach dem Gau in Fukushima am 11. März 2011 waren 170.000 Bewohner im Umkreis von 30 Kilometern der Atomruine evakuiert worden. Bei einem Drittel der weltweit 437 Atomkraftwerke lebten aber deutlich mehr Menschen innerhalb dieses Radius. Bei 21 AKW seien es mehr als eine Million, bei sechs mehr als drei Millionen. Und nahe dem Kuosheng Werk in Taiwan leben gar 5,5 Millionen Menschen. Die nun laut gewordenen Warnungen sind also alles andere als ein Minderheiten-Programm.
Es gelte daher, Lehren aus Fukushima zu ziehen. Eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitsdienste sei, "verlässlich zu kommunizieren, dass bei den meisten Atomunfällen nur sehr wenige Menschen einer lebensbedrohlichen Dosis von Radioaktivität ausgesetzt sind", schreibt ein Team um Akira Ohtsuru von der Fukushima Medical University im zweiten Teil der Serie.
Mehr Strahlenschutz
Der dritte Teil beschäftigt sich mit den langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen der Strahlenbelastung der beiden größten Atomkatastrophe der Geschichte – den Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki und dem Reaktorunfall von Tschernobyl in der Ukraine. Kenji Kamiya, Vizepräsident der Universität Hiroshima, schreibt, dass die Krebsgefahr im Falle moderater und hoher Strahlendosen deutlich steige. Unklar bleibe dagegen das Risiko bei niedrigen Strahlenwerten. Forschung sei nicht nur wichtig, um die Auswirkungen von Atomkatastrophen auf die Gesundheit zu ermitteln, sondern auch, um Grenzwerte und Standards zum Strahlenschutz zu entwickeln.
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