Bei leichter Depression reicht oft auch Psychotherapie

  
Bei schweren Depressionen können die Arzneien gut helfen. Doch nicht jeder Patient profitiert davon.

Bei Antidepressiva ist es nicht anders als bei Präparaten für andere Erkrankungen: Nicht alle Menschen sprechen gleich gut auf ein Medikament an. "Darum ist es gut, dass wir mehrere Präparate mit verschiedenen Wirkmechanismen zur Verfügung haben, um das individuell Richtige für den jeweiligen Patienten zu finden", sagt Univ.-Prof. Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie, Med-Uni Wien. Doch Antidepressiva, die häufiger als Psychotherapien bei Depressionen eingesetzt werden, werden vielfach auch kritisch gesehen: Die Wirkung sei nicht gegeben und Nebenwirkungen verunsichern die Betroffenen.

Effektiver einsetzen

Um Antidepressiva noch effektiver einsetzen zu können, untersuchten Wissenschaftler nun die Wirkung der 21 am häufigsten verschriebenen Präparate und verglichen erstmals Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Die Forscher aus der Schweiz, Japan und Großbritannien analysierten insgesamt 552 Studien, die zwischen 1979 und 2016 mit insgesamt 116.447 Patienten durchgeführt worden waren. Das Ergebnis wurde jetzt im renommierten Fachjournal The Lancet mit einem klaren Fazit veröffentlicht: "Alle Antidepressiva waren effektiver als Placebos."

Unterschiede zeigten sich allerdings in der Wirksamkeit. Einige weisen ein besseres Verhältnis zwischen Symptomreduktion und Nebenwirkungen auf. "Das heißt, dass diese Medikamente besser wirken und gleichzeitig die Therapie weniger häufig wegen Nebenwirkungen abgebrochen wurde", schreiben die Studienautoren. So zeigte etwa einer der ältesten Wirkstoffe am Markt – Amitriptylin – zwar die stärkste Wirkung. Allerdings ist es gegenüber neueren Präparaten deutlich schlechter verträglich. Gerade bei älteren Antidepressiva sei es wichtig, genau auf körperliche Folgeprobleme zu achten.

Nebenwirkungen

"Mögliche Nebenwirkungen müssen bei der Auswahl des Medikaments immer eine Rolle spielen", betont Wancata. Gewisse ältere Präparate würden zum Beispiel Mundtrockenheit verursachen. "Diese kann bei manchen Patienten aber als Symptom der Depression auftreten. Dann verordne ich natürlich kein Medikament, das dieses Symptom verstärkt." Andere Wirkungen lassen sich hingegen nutzen. Bei Patienten mit Schlafstörungen seien etwa Mittel mit schlafanstoßenden Eigenschaften eine Option.

Ein Allheilmittel gegen alle Ausprägungen von Depressionen sind Antidepressiva nicht. Aber es gibt Richtlinien zum Einsatz, sagt Wancata. "Je stärker die Symptome einer Depression ausgeprägt sind, desto wichtiger ist eine medikamentöse Therapie. Bei einer mittelschweren bis schweren Depression sind sie sicherlich notwendig." Üblicherweise beginne man mit neueren Medikamenten, da diese meist besser verträglich seien.

"Bei leichteren Symptomen kann eine Psychotherapie ohne Medikamente völlig ausreichen." Die Formulierung "neuere Medikamente" bezieht sich übrigens auf die vergangenen 25 Jahre. "Damals kamen sehr viele neue, innovative Medikamente auf den Markt." Dazu zählte etwa Anfang der 1990er-Jahre der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin (engl. Prozac). "Der Nachteil ist, dass es lange dauert, bis es im Körper abgebaut wird. Es kamen danach Medikamente, wo das deutlich schneller geht." Zuletzt stagnierte die Entwicklung am Antidepressiva-Sektor allerdings. "In den vergangenen Jahren gab es wenig wirklich Neues auf dem Markt."

Abhängigkeit?

Und die Angst vieler Betroffener vor einer Abhängigkeit? "Im Gegensatz zu Tranquilizern (etwa angstlösende Benzodiazepine, Anm.) machen Antidepressiva nicht abhängig", betont Wancata. Was allerdings auftreten kann: "Bei zu plötzlichem oder zu frühem Absetzen des Medikaments kann es zu einem Rückfall kommen." Er empfiehlt für die Praxis: "Wenn sich die Stimmungslage des Patienten stabilisiert hat, sollte das Medikament noch mindestens ein halbes Jahr weiter genommen und dann ganz langsam unter ärztlicher Kontrolle reduziert werden."

So wirken die wichtigsten Antidepressiva

Die Nervenzellen des Gehirns kommunizieren untereinander über verschiedene Substanzen, die Signale von einer Zelle zur anderen übertragen. Bei Depressiven ist das Gleichgewicht der Signalstoffe (Neurotransmitter) gestört.


Man unterscheidet Antidepressiva der…
- ersten Generation (häufig Nebenwirkungen): Trizyklische und Tetrazyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin)

- zweiten Generation (breiteres Wirkprofil, weniger Nebenwirkungen): Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI, z. B. Fluoxetin, Sertralin, Citalpram) wirken stimmungsaufhellend, angstdämpfend; Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer (NDRI, z. B. Bupropion) wirken antriebsteigernd; Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (NARI, z. B. Reboxetin) wirken ebenso vorrangig antriebsteigernd

- dritten Generation (wirken über mindestens zwei Wirkmechanismen): Multimodale Antidepressiva (z. B. Vortioxetin)

Kommentare