Alternative Krebstherapie: Was Experten sagen
"Diese Substanz ist keine alternativ-ganzheitliche Therapie. Diese Substanz ist ein Gift – und das nicht nur für die Krebszellen." Univ.-Prof. Walter Berger, stv. Leiter des Instituts für Krebsforschung der MedUni Wien, hat eine klare Sichtweise zu dem Stoff 3-Bromopyravat (3BP). Noch ist nicht erwiesen, ob die Todesursache von drei Patienten eines alternativen Krebszentrums in Brüggen-Bracht in Nordrhein-Westfalen, nahe der niederländischen Grenze, tatsächlich die Behandlung mit dieser Substanz war. Jedenfalls starben die zwei Frauen und der Mann in der Vorwoche innerhalb weniger Tage nach einer Krebstherapie in diesem Zentrum, ausgeführt von einem Heilpraktiker. Zwei weitere Frauen sind im Krankenhaus. Eine zehnwöchige Behandlung für Krebspatienten in dem Zentrum kostet rund 10.000 Euro.
Die Polizei warnte jedenfalls bereits vor der Substanz. Und auch die Ermittlungskommission heißt "BROM".
Rascher Zerfall
"Diese Substanz kann Krebszellen töten, wenn man sie mit diesen – etwa in einer Zellkultur – direkt in Kontakt bringt", sagt Berger. "Aber im Körper verhält sie sich sehr problematisch. Sie zerfällt rasch in verschiedene Teile, die eine ganz andere Wirkung haben."
Wegen dieser Instabilität werde die Substanz in solchen Alternativzentren auch in die Arterien injiziert – damit sie schneller zum Tumor gelangt: "Aber alleine das kann zu starken Nebenwirkungen führen."
BP3 blockiert eine ganz spezielle Achse des Zuckerstoffwechsels der Krebszellen – und führe damit zu deren Tod. "Aber die Substanz ist auch ein Gift für gesunde Zellen", betont Berger.
Es gebe in der wissenschaftlichen Literatur zwei dokumentierte Fälle von seriösen Einzelbehandlungen in ganz speziellen Fällen: "Aber in den Datenbanken findet sich keine einzige klinische Studie mit einer Patientengruppe – es wurden zwar mehrfach welche angekündigt, aber nie durchgeführt. Hier dürfte also etwas nicht stimmen. Eine derart toxische Substanz darf man nicht ohne Studiendaten anwenden. BP3 ist deshalb schon früh in den Dunstkreis der esoterischen Alternativtherapien abgeglitten."
Viele der Grundlagenstudien mit Zellkulturen seien an die 20 Jahre alt: "Heute gibt es weiterentwickelte bessere Substanzen."
Indirekte Todesursache
Ein Fall, bei dem eine alternativmedizinische Therapie unmittelbar in den Tagen darauf zum Tod geführt hat, ist Univ.-Prof. Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe, aus Österreich nicht bekannt. "Aber wir erleben immer wieder Fälle, wo es durch reine Alternativmedizin indirekt zum Tod kommt – weil diese nicht wirkt und die schulmedizinische Therapie in einem Stadium verweigert wird, in dem der Krebs noch heilbar gewesen wäre."
Ihm selbst seien Frauen mit Brust- und Gebärmutterhalskrebs bekannt, die im heilbaren Frühstadium auf schulmedizinische Behandlungen verzichtet haben.
"Man kann sehr viel ergänzend zur Schulmedizin machen", betont Krebshilfe-Geschäftsführerin Ingrid Kiefhaber – etwa Homöopathie oder Akupunktur: "Aber nichts anstelle dieser." Und auch ergänzende Therapien sollten immer in Absprache mit dem behandelnden Arzt stattfinden.
Krebsforscher Berger betont: "Ich habe nichts gegen Komplementärmedizin, die die Schulmedizin ergänzt. Aber es darf immer nur eine ungefährliche Ergänzung sein – ohne Geschäftemacherei und ohne Ausnützen der Not der Patienten."
"Ein Einsatz der Substanz 3-Bromopyruvat an Patienten ist aus meiner Sicht nicht vertretbar", sagt der Mediziner Christoph Baumgärtel von der AGES-Medizinmarktaufsicht in Wien. Grundsätzlich kann ein Arzt in Österreich im Rahmen eines individuellen "Heilversuchs" – "Named Patient Use" in der Fachsprache – Einzelpatienten mit nicht zugelassenen Arzneimitteln behandeln.
Aber dazu müssen einige Voraussetzungen gegeben sein: Der Erfolg kann mit zugelassenen Medikamenten nicht erzielt werden – und die Substanz muss zur Abwehr einer schweren gesundheitlichen Schädigung wirklich dringend benötigt werden. "Aber auch dann kann ich nicht irgendeine Substanz nehmen. Es muss eine solide Forschungsgrundlage vorhanden sein: Und reine Grundlagenforschung ohne jegliche klinische Studien ist aus meiner Sicht völlig unzureichend."
Beim Einsatz einer an Patienten völlig ungeprüften Substanz könne durchaus ein "strafrechtlich relevantes Vergehen" – etwa das einer Körperverletzung mit Todesfolge – vorliegen.
"Es kommt in der Medizin sehr oft vor, dass man in der Zellkultur eine Wirkung sieht – die sich dann aber in klinischen Studien am Menschen nicht bestätigt", sagt Susanne Weg-Remers, Leiterin des deutschen Krebsinformationsdienstes in Heidelberg, zum KURIER. "Von 5000 bis 10.000 Substanzen, die in der Grundlagenforschung eine Wirkung zeigen, kommt nur eine bis zur Zulassung als Arzneimittel."
Kommentare