Als unsere Berge ihre Bösartigkeit verloren

Lady gaga: Nach dem ästhetischen Wandel kamen die Halbschuhtouristen
Naturstudie. Forscher in Innsbruck fanden heraus, dass das alpine Faible älter ist als angenommen.
Von Uwe Mauch

Wenn ein Kunsthistoriker am Ludwig-Boltzmann-Institut für Neulatein arbeitet, dann weiß er, dass seine seriöse, grundlegende Forschungsarbeit über die lateinische Literatur der Neuzeit im Normalfall selbst einer interessierten Öffentlichkeit mehrheitlich verborgen bleibt.

Es sei denn, er findet vor einer Ski-Weltmeisterschaft heraus, dass der Paradigmenwechsel vom Berg als Bedrohung zum Berg als Sehnsuchtsort deutlich älter ist als bisher angenommen.

Gestern durfte der junge Brite William Barton gemeinsam mit Vertretern der Tirol Werbung und seines Instituts sein Buch "Mountain Asthetics in Early Modern Latin Literature" am Rande der WM in St. Moritz präsentieren.

Barton studierte bis dato unbeachtete Quellen und konnte eine bisherige Annahme der Wissenschaft widerlegen. Nicht, dass er damit die Bergwelt komplett auf den Kopf stellt, aber immerhin:

Es stimmt seinen Recherchen zufolge nicht, dass die positive Wahrnehmung der Berge in der Romantik im 18. Jahrhundert mit Pionieren wie dem Schweizer Universalgelehrten Albrecht von Haller (1708 bis 1777) begonnen hat. Er fand viel mehr heraus, dass die Menschen deutlich früher den Liebreiz der Berge für sich entdeckt haben: konkret in der neulateinischen Literatur der Renaissance und frühen Neuzeit, im 16. Jahrhundert.

Vom Ende der Angst

In ihren Schriften begannen die Chronisten der Renaissance den in der Antike und im Mittelalter gepflegten Mythos vom Berg als bedrohlichen und hässlichen Ort zu entzaubern. Neue Klischees entstanden, die bis heute ins mondäne St. Moritz und alle anderen Wintersportorte der Alpen wirken: von den Berglandschaften als schöne und reizvolle Sehnsuchtsorte.

William Barton ging in seiner Arbeit auch den Ursachen für diesen Perspektivenwechsel auf den Grund: "Im 16. Jahrhundert entwickelte man die Idee der ,Landschaft’, auch in der Kunst, wo plötzlich Landschaftsdarstellungen ihren Eigenwert bekamen. Außerdem beschäftigte man sich mit dem Berg aus wissenschaftlicher und theologischer Sicht. Botaniker beispielsweise unternahmen gezielte Wanderungen in die Berge, um neue Pflanzen zu finden."

Noch ein Wort zu WM bzw. Gewinnen: Burtons Arbeit wurde am King’s College London prämiert, während sein Institut und Tirols Touristiker gestern Aufmerksamkeit gewannen.

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