Geschlechtskrankheiten wieder auf dem Vormarsch

ARCHIV - ILLUSTRATION - Verschiedene Pillen und Tabletten liegen auf einem Teller, aufgenommen am 20.02.2012. Patienten in Deutschland bekommen auch nach dem Start von Arzneiprüfungen noch Dutzende neue Mittel gegen schwere Krankheiten pro Jahr - aber nicht immer gibt es gute Noten. Foto: Matthias Hiekel dpa/lrs (zu dpa:"16 Prozent der neuen Arzneimittel bringen beträchtlich mehr" vom 03.09.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Seit der Jahrtausendwende steigen die Infektionszahlen deutlich an. Therapie wird schwieriger.

Es ist eine Entwicklung, die in der Öffentlichkeit bisher wenig Beachtung fand: Klassische Geschlechskrankheiten wie Syphilis oder Gonorrhoe breiten sich wieder aus. „Die Situation ist besorgniserregend und muss genau beobachtet werden. Aber für eine Panik besteht noch kein Grund“, sagt die Spezialistin für Geschlechtskrankheiten, Univ.-Prof. Angelika Stary, Leiterin des Pilzambulatoriums Floridsdorf in Wien. Sie ist Präsidentin des Weltkongresses für sexuell übertragbare Krankheiten (STI & AIDS World Congress 2013), der Sonntag in der Wiener Hofburg eröffnet wurde.

Syphilis 1993 gab es 124, zehn Jahre später (2002) mehr als drei Mal so viele (freiwillig) gemeldete Neuerkrankungen (420), 2009 waren es 575 und 2012 knapp 500. „Man muss aber mit einer wesentlich höheren Dunkelziffer rechnen, vielleicht das Fünffache, das ist aber geschätzt“, sagt Stary. Meldepflicht besteht nur, wenn ein Patient die Behandlung verweigert. – „Wie in anderen europäischen Ländern gibt es v. a. unter homosexuellen Männern eine starke Zunahme von Syphilis, was auf fehlende Präventionsmaßnahmen und weniger ,Safer Sex‘ zurückzuführen ist“, heißt es in einer Zusammenfassung der österreichischen HIV-Kohortenstudie auf der Internetseite der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). In Deutschland steigt die Zahl der Erkrankungen jährlich um 22 Prozent.

Gonorrhoe Hier haben sich die gemeldeten Erkrankungszahlen seit 2000 mehr als verdreifacht: Von 414 auf 1381 Fälle im Vorjahr. „Gonorrhoe wird zu einer großen Herausforderung für die Gesundheitssysteme“, sagt die WHO-Ärztin Manjula Lusti-Narasimhan: „Wegen der hohen Infektionszahlen und schwindender Behandlungsmöglichkeiten.“ Denn die Erreger – Gonokokken – werden zunehmend gegen viele Antibiotika resistent (unempfindlich): „Diese Keime verhalten sich sehr klug“,sagt Stary: „Sie versuchen, den Antibiotika zu entkommen, indem sie Resistenzen entwickeln.“ Dies sei bei Penicillin so gewesen, anschließend bei den Chinolonen, gegen die in Österreich rund 60 Prozent der Gonokokken resistent sind. „Und jetzt fängt es bei unserer letzten Waffe an, der Antibiotika-Gruppe der Cephalosporine.“ Stary leitet eine große Studie, für die Gonokokken-Proben aus ganz Österreich untersucht werden. „Bei einem der Cephalosporine, dem Cefixim, waren 2011 sieben von 900 Proben resistent.“ Dieses Präparat wird derzeit (in Kombination mit einem zweiten) von den meisten Ärzten verschrieben, weil es als Tablette einfach eingenommen werden kann. Allerdings sollte vorher getestet werden (was nicht immer gemacht wird), ob der Erreger des Patienten darauf anspricht. Bei einer Resistenz bleibt das Antibiotikum Ceftriaxon, das aber als Infusion verabreicht werden muss.

Chlamydien Mindestens jeder zehnte Jugendliche soll damit infiziert sein, schätzen deutsche Experten. „Das halte ich für etwas zu hoch gegriffen“, sagt Stary: „Aber es gibt auf jeden Fall eine steigende Zahl von Infizierten.“

In drei Wiener Pilzambulatorien (Floridsdorf, Hietzing, Schlösselgasse) hatten im Vorjahr 3,6 Prozent der rund 25.000 Patienten eine Chlamydieninfektion. Wird eine Infektion nicht erkannt – vor allem bei Frauen gibt es häufig keine Symptome – kann sie zu Fruchtbarkeitsstörungen bis hin zu Unfruchtbarkeit führen.

HIV Auch bei den Infektionen mit dem Aids-Erreger HIV (der nicht nur über Sexualkontakte, sondern z.B. auch beim intravenösen Drogenkonsum übertragen werden kann) gibt es einen Anstieg: Von 487 Neuinfektionen im Jahr 2010 auf 525 (2011) bzw. 523 (2012).

Ungeschützt

Vom Anstieg der Geschlechtskrankheiten seien Risikogruppen wie homosexuelle Männer oder Prostituierte und ihre Kunden, die ungeschützten Verkehr miteinander haben, besonders betroffen: „Aber die Infektionen breiten sich zunehmend auch in der Gesamtbevölkerung unter sexuell freizügigen jungen Menschen, die unachtsam sind und keine Kondome verwenden, aus.“

Stary sieht den Hauptgrund darin, dass durch die modernen Therapien eine HIV-Infektion heute „keine Todesgefahr“ mehr bedeute. Dies führe dazu, dass wieder mehr ungeschützter Verkehr praktiziert werde. Und vielfach fehle auch das Bewusstsein: Im Gegensatz zu HIV und Aids werde über die leichter übertragbaren Krankheiten Syphilis und Gonorrhoe viel weniger gesprochen. „Wenn Patienten dann mit so einer Diagnose konfrontiert werden, wundern sie sich und sagen: ,Ich habe geglaubt, dass es diese Krankheiten gar nicht mehr gibt‘.“

Problematisch sei, dass Infektionen oft verschleppt werden – weil sie nicht erkannt werden oder es den Betroffenen unangenehm ist, zum Arzt zu gehen. Unbehandelt könne es aber zu schweren gesundheitlichen Folgen kommen. „Wichtig ist, dass sich Ärzte Zeit nehmen, Patienten richtig zu diagnostizieren und ihnen verdeutlichen, wie notwendig es ist, dass sie ihren Partner von der Infektion informieren.“

Geschlechtskrankheiten wieder auf dem Vormarsch

Weltkongress in der Wiener Hofburg
1500 Experten Zum Weltkongress zu der Thematik „sexuell übertragbare Erkrankungen“ (STI - sexually transmitted infections) in der Wiener Hofburg kommen 1500 Experten aus 100 Ländern. Er wird von zwei internationalen Fachgesellschaften organisiert. www.stivienna2013.com.
Häufiger als HIV STI wirken zunächst weniger bedrohlich als HIV, kommen aber in Teilgruppen der Bevölkerung deutlich häufiger vor. Auch sind STI wie Chlamydien-Infektionen erheblich leichter übertragbar als HIV. STI können das Risiko einer HIV-Infektion um das Zwei- bis Zehnfache steigern.

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