Zitronen gehandelt? Internet setzt Retailer unter Druck

Ist stationärer Einzelhandel tot? Kaum. Laut Prognosen könnten autonome Fahrzeuge zur Riesen-Chance werden.

In vielerlei Hinsicht könnte man meinen, das Ende des konventionellen, sprich stationären Einzelhandels sei gekommen. Zahlen gefällig? In den USA gab es heuer bis Mitte April bei großen Handelsketten bereits neun Konkurse – so viele waren es 2016 im ganzen Jahr! J.C. Penney, Macy’s und Sears wollen mehr als hundert Filialen schließen – aber nicht insgesamt, sondern jedes Unternehmen für sich.

Unter den Retail-Aktien, die sich aktuell auf Mehrjahres-Tief befinden, sind auch vergleichsweise junge Namen wie der Sportbekleidungsspezialist Lululemon. Schließlich hat Ralph Lauren zuletzt angekündigt, seinen Flagship Store auf der 5th Avenue zu schließen.

Gegenwind

Sucht man nach Erklärungen für den eiskalten Wind, der dem stationären Handel derzeit entgegenweht, so fällt schnell ein Name: Amazon. In der Tat kann der Online-Retailer auf einen beeindruckenden Expansionskurs zurückblicken. Zwischen 2010 und 2016 haben sich die US-Umsätze von Amazon von 16 auf 80 Milliarden Dollar verfünffacht. Begünstigt wurde der Trend in den letzten Jahren zusätzlich durch Apps und mobile Geldbörsen, die die Abwicklung von Käufen im Internet stark vereinfacht haben. Dadurch wird heute vor allem auf mobilen Endgeräten geshoppt. Auf sie entfallen heute 20 Prozent der Online-Umsätze, 2010 waren es noch zwei Prozent.

Es geht aber nicht nur darum, dass die Kunden den Fernseher heute nicht mehr bei Radio Shack, sondern im Internet kaufen. Früher wurde gerade bei großen Anschaffungen vorher ausführlich in den Geschäften gustiert. Man ging mehrmals hin, sah sich die Auswahl an – und kaufte bei der Gelegenheit andere Kleinigkeiten. Gustiert wird heute immer noch, allerdings im Internet, und damit fallen die "Kollateralkäufe" im Vorfeld weg, selbst dann, wenn man den eigentlichen Kauf tatsächlich im stationären Handel und nicht online tätigt.

Erlebnis statt Besitz

Und noch ein Trend hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt, der dem stationären Handel nicht entgegenkommt. Die Konsumenten suchen heute das Erlebnis mehr als das Objekt. Man geht mit Freunden essen oder bucht eine tolle Reise, anstatt das Wohnzimmer neu zu möblieren. Gerade für junge Konsumenten spielt die Frage, wie sich das Erlebnis in den sozialen Medien darstellen lässt, eine zentrale Rolle. Da können Kaufhäuser schlecht mithalten.

Ist Retail aber deshalb schon tot? Wohl kaum. Es gibt schon Prognosen, die sagen, autonome Fahrzeuge könnten die nächste Riesen-Chance für den konventionellen Handel werden. Drogerieketten könnten autonom fahrende Minivans, die man per Smartphone rufen kann, in den Vororten patrouillieren lassen. Und das Luxus-Label wird in Zukunft vielleicht keinen Flagship Store auf der 5th Avenue mehr eröffnen, dafür aber einen selbstfahrenden Showroom durch die Upper East Side schicken, auf der Suche nach dem, was der Handel immer begehren wird: zahlungskräftige Kundschaft.

Zitronen gehandelt? Internet setzt Retailer unter Druck
Monika Rosen
Monika Rosen(54) ist Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria, die im Private Banking mehr als 24 Milliarden Euro verwaltet. Als Börse-Expertin kommentiert sie regelmäßig das Geschehen an den Finanzmärkten in heimischen und internationalen Medien. Sie hat in den USA gelebt und studiert, daher gilt ein besonderer Schwerpunkt ihrer Analysen auch dem Geschehen an der Wall Street.

Der Autorin auf Twitter folgen: @Monika_Rosen

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