Wirtschaftsexperte: Sanktionen "unersetzlich", aber keine Kursänderung Russlands

Der deutsche Wirtschaftswissenschafter und Politologe Daniel Gros sieht für Europa eine "Wachstumsdelle", aber keine Rezession.

Wem schaden die Sanktionen des Westens gegen Russland mehr, und wie viel Einfluss nehmen sie auf das Kriegsgeschehen? Fragen, die seit Beginn des Kriegs in der Ukraine diskutiert werden. "Die Sanktionsmaßnahmen sind zur Zeit unersetzlich, man muss sie durchführen, aber man darf sich nicht erhoffen, dass sie zu einem Kurswechsel in Moskau führen können." Das sagte der deutsche Wirtschaftswissenschafter und Politologe Daniel Gros am Mittwochabend in der ZiB2.

Denn durch die Sanktionen entstünde ja kein Nachteil für Putin selbst, sondern für die russische Bevölkerung, und den sei der Kreml-Chef bereit in Kauf zu nehmen. Putin habe wohl auch die Hoffnung, dass sich seine Unterstützer dadurch nur noch stärker zusammenschweißen und ihn noch stärker unterstützen, "weil dann der Eindruck entsteht, es handle sich um die Festung Russland, die von allen Seiten angegriffen wird".

Starke Auswirkungen

Auf mittlere und lange Sicht würden die Sanktionen jedenfalls "einen sehr starken negativen Einfluss auf die russische Wirtschaft" haben. "Man kann davon ausgehen, dass sie 10 bis 20 Prozent schwächer sein wird, als sie ohne diese Maßnahmen wäre."

Für Europa sieht Gros angesichts der aktuellen Situation eine Wachstumsdelle, aber "nicht mehr", also keine große Rezession. Europa habe eine sehr starke und diversifizierte Volkswirtschaft. Wenn die Energie, die Europa braucht, sehr teuer wird, könne man sich das eine Zeit lang leisten. In ein oder zwei Jahren werde sich diese Situation entspannen, so Gros' Einschätzung.

Dass Russland die Öl- und Gasexporte einstellen wird, glaubt Gros nicht. Wenn, dann müsse Russland das sofort tun. Denn in einem Jahr gebe es genügend andere Quellen. Und vorher wagt Russland das aber nicht, weil es selbst viel Geld verlieren würde. Dazu käme, dass auch in Zukunft ein großer Preisverlust mit einer solchen Maßnahme einhergehen würde. Denn Russland gelte dann als nicht verlässlich, was dazu führen würde, dass nur mehr niedrigere Preise bezahlt würden.

Keine rasche Zinsanhebung

Die hohen Inflationsraten in Europa, die ja zu einem großen Teil von den hohen Energiepreisen getrieben werden, würden "länger durchschlagen, als man sich das erhofft hat". Aber vom jetzigen Niveau aus würden die Energiepreise nicht mehr ständig weiter steigen, da sie so hoch seien, dass damit bald zusätzliches Angebot frei und die Nachfrage sich einschränken werde. Es könne zu einem kurzen Plateau der Inflationsraten im Sommer geben, so seine Vermutung, und danach würden die Raten wieder zurückgehen. Solange gekämpft und geschossen werde, seien die Märkte natürlich nervös, was zur Übertreibung bei den Preisen führt.

Dass die EZB in Europa die Zinsen ähnlich wie die Fed in den USA rasch anheben wird, glaubt Gros nicht. "Die EZB muss erst einmal die Anleihekäufe einstellen, das wird ein paar Monate dauern." Darüber hinaus sei die Nervosität an den Finanzmärkten in Europa größer als in den USA, und es habe auch noch keinen großen Anstieg der Löhne gegeben, "ganz im Gegenteil zu den vereinigten Staaten". Daher sehe es aktuell so aus, dass sich die Inflation in Europa nicht so stark festsetzen werde wie in den USA, was es der EZB erlaube, "etwas behutsamer vorzugehen".

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