Windige Steuer-Manöver

Windige Steuer-Manöver
Tarnen und täuschen: Der Kampf für gerechtere Regeln ist ein Scheingefecht, sagen Experten.

Nicht nur das Glück, auch Steuergeld ist ein Vogerl: Wenn’s ums Zahlen geht, liefern Staaten und Konzerne einander seit Jahrzehnten wilde Verfolgungsjagden. Kaum will der Fiskus zuschlagen – schwupp, ist das Geld auch schon wieder weg.

Die Sympathien sind in der Debatte klar verteilt: Böse Konzerne, arme Staaten. Fiat verlegt den Sitz in die Niederlande. Yahoo kehrt der Schweiz und Frankreich den Rücken. IT-Firmen aus den USA sind besonders unter Beschuss: Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft hätten in Frankreich allein für 2011 an die 830 Millionen Euro Steuer abführen sollen – gezahlt haben sie nur 37,5 Millionen. Das mag legal sein; unmoralisch sei es auf jeden Fall, lautet der Tenor.

Wirklich? Gierige Multis, die mit gefinkelten Transaktionen der Steuerpflicht ausweichen: Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Viele Staaten betreiben nämlich ein doppeltes Spiel. Offiziell unterstützen sie den Kampf gegen Steuervermeidung, zugleich ermöglichen sie Schlupflöcher, weil sie sich so Vorteile versprechen.

Doppelrolle der OECD

"Das muss aufhören", polterte Angel Gurría, Generalsekretär der Reiche-Staaten-Organisation OECD, am Dienstag in Brüssel. Nicht zum ersten Mal. Der Mexikaner gibt sich kämpferisch und kompromisslos. Bis 2015 verspricht er den größten Umsturz des internationalen Steuerregimes seit den 1920ern. Das derzeitige System sei unfair und ineffizient; den Staaten gingen enorme Einnahmen verloren.

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BILD zu OTS - StB Mag. Gottfried Schellmann
Die OECD als Vorkämpferin für Steuer-Gerechtigkeit? Experten nehmen ihr diese Rolle nicht ab. Gottfried Schellmann, Vizepräsident des Dachverbandes Europäischer Steuerberater (CFE), nennt die Organisation sogar den "Klub der Taschendiebe". Die Steuerregeln der OECD begünstigen nämlich genau jene Länder, die Kapital exportieren. Das sind naturgemäß die reichen Staaten – wie die 34 OECD-Mitglieder.

Einfach gesagt: Jene Länder, in denen das Geld sitzt, streifen die Steuern auf Dividenden, Zinsen, Lizenzen oder Anteilsverkäufe ein. Die Länder, in denen investiert wird, schauen vergleichsweise durch die Finger: Ihnen werden von der OECD viel weniger Steuern zugestanden als etwa im Alternativ-Modell der Vereinten Nationen.

Weniger statt mehr

"Würde man es richtig und ehrlich machen, müsste das Besteuerungsrecht dort sein, wo das Geld verdient wird", sagt Schellmann zum KURIER. Daran haben aber die OECD-Länder kein Interesse – und auch Österreich nicht: "Wir würden Steuern verlieren." Immerhin: Die OECD verspricht, dass international tätige Konzerne ihre Einnahmen und Steuern künftig Land für Land aufschlüsseln müssen. Das schafft zumindest mehr Transparenz. Im Mai 2014 sollen die neuen Regeln präsentiert werden.

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An einen Durchbruch zu mehr Fairness glaubt Richard Murphy von der Nichtregierungsorganisation (NGO) Tax Research UK nicht: "Der Reformprozess hat eine klare Schieflage, die große Unternehmen begünstigt", sagt Murphy zum KURIER. Das sei anhand der ersten Entwürfe ersichtlich. Die OECD behaupte nur, Schwellenländer oder NGOs anzuhören: "Bisher ist aber noch jede OECD-Initiative für eine Regeländerung gescheitert. Das wird jetzt nicht anders sein."

"Haie beißen Haie"

Überraschend ist das nicht. So richtig vertrackt wird die Lage nämlich, weil etliche EU- und OECD-Staaten im Steuerringelspiel kräftig mitmischen. Länder wie Niederlande, Irland, Malta oder Luxemburg haben sich auf das Jonglieren mit Patenten, Lizenzen und Markenrechten spezialisiert, heben auf Zinseinkünfte keine Steuern ein oder locken mit üppigen Abzugsmöglichkeiten auf großzügig definierte Forschungsausgaben. "Die Haie fangen an, die Haie zu beißen", kommentiert Schellmann lakonisch.

Erst dadurch können Apple & Co. Gewinne so lange im Kreis schicken, bis sie dort anfallen, wo die geringsten Steuern fällig sind. Die Staaten erkaufen sich so Wettbewerbsvorteile im Kampf um Betriebsansiedelungen.

Die USA nehmen daran keinen Anstoß: Sie sehen es seit jeher als Maßnahme zur Unternehmensförderung, dass US-Konzerne Einkünfte aus Auslandsgeschäften steuergünstig außerhalb der USA bunkern.

Ungerecht ist es gegenüber jenen Staaten, die ausgewogene Steuermodelle haben. Und gegenüber Zypern: Die Mittelmeerinsel war der einzige Staat, dem im Zuge seiner Pleite die Niedrigsteuerpraxis "abgedreht" wurde.

So richtig ärgerlich ist das steuerschonende Ringelspiel der Großkonzerne allerdings für die vielen kleinen und mittelständischen Firmen, die nur auf ihrem Heimatmarkt tätig sind. Sie müssen auf jeden Fall die vollen Unternehmenssteuern berappen – und haben eklatante Wettbewerbsnachteile.

Schaden für Österreich

Zu den wenigen Vorteilen, die Österreich international tätigen Konzernen einräumt, zählt die Gruppenbesteuerung: Sie ermöglicht, dass Verluste bei Auslandstöchtern abgezogen werden dürfen – die Steuer wird in Österreich erst später fällig. Die Gesetzesänderung, die derzeit beschlossen wird, schränkt das aber stark ein – auf die EU und Staaten, mit denen es umfassende Abkommen gibt.

Das schadet vor allem österreichischen Unternehmen, die expandieren, sagt Schellmann. Investitionen sind für sie künftig weniger attraktiv – und zwar genau in jenen Schwellenländern, die Wirtschaftskammer und Co. als die neuen Hoffnungsmärkte nach Osteuropa bewerben.

Die OECD attestiert Österreich im Kampf gegen Geldwäsche Fort- schritte. Seit 2009 musste jährlich an die OECD berichtet werden. Am Mittwoch beschloss die "OECD-Task force gegen Geldwäsche" (FATF) eine Lockerung der Berichtspflicht. Die Überprüfung von Kunden bei der Konto- eröffnung oder Verfolgung von Terrorismusfinanzierung genüge nun internationalen Standards. "Österreich hat die Empfehlungen erfolgreich umgesetzt", sagt Finanzminister Michael Spindelegger.

Für die von der Finanzkrise schwer getroffenen Iren war es eine Frohbotschaft: Der Internetkonzern Yahoo kündigte vergangene Woche an, seinen Firmensitz in Dublin auszubauen und dort 200 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür sollen die Standorte in anderen Ländern, etwa in Frankreich und in der Schweiz, geschlossen werden. Irlands Regierungschef Enda Kenny freute sich darüber, dass der "dynamische und kreative" IT-Sektor auf der Grünen Insel Yahoo angelockt habe.

Ausländische Kritiker sehen das anders. Einzig die niedrigen Unternehmenssteuersätze in Irland hätten Yahoo auf die Grüne Insel gelockt. Damit steht diese wieder einmal als Steuerparadies am Pranger, das es Unternehmen ermögliche, Abgaben zu vermeiden. Frankreichs Präsident Francois Hollande kämpferisch: "Wir müssen gegen große Unternehmen vorgehen, die in Länder mit geringen Unternehmenssteuern auswandern."

In Frankreich beträgt die Körperschaftssteuer 33 Prozent, in Irland sind es nur 12,5 Prozent. Mehrere Schlupflöcher ermöglichen es Firmen in Irland, sogar weit weniger als die 12,5 Prozent zu zahlen. Sie überweisen große Teile ihrer Gewinne an Töchter im Ausland, wo noch weniger oder gar keine Steuern zu zahlen sind. Die attraktiven Steuergesetze haben vor Yahoo bereits die Technologieriesen Facebook, Google und Apple nach Irland gelockt.

Die irische Regierung hat auf internationalen Druck hin im vergangenen Jahr damit begonnen, Steuerschlupflöcher zu schließen. Noch gebe es aber welche, kritisiert OECD-Steuerexpertin Grace Perez-Navarro. Steuervorteile allein seien aber nicht der Grund, warum sich viele internationale Konzerne in Irland niederlassen, erklärt der österreichische Handelsdelegierte in Dublin, Wilhelm Nest dem KURIER. "Irland bietet derzeit Immobilien zu erschwinglichen Preisen, die Landessprache ist Englisch, und der Bildungsstandard ist hoch. All das sind gute Gründe für internationale Konzerne, Irland als Standbein für die Bearbeitung des europäischen Marktes zu wählen."

Heilige Kuh

Die niedrige Körperschaftssteuer sei für die Iren eine "heilige Kuh", die sie sich nicht nehmen lassen würden, erklärt Nest. Er empfiehlt der Regierung in Dublin, wenigstens die bestehenden Steuerschlupflöcher zu schließen. "Damit könnte sie Kritikern im Ausland etwas den Wind aus den Segeln nehmen."

Die Niederlande verstehen sich seit jeher als Umschlagplatz – für Waren, in jüngerer Zeit auch für Kapitalströme. Und das mit Erfolg: 8000 ausländische Firmen haben sich angesiedelt, gibt die holländische Agentur NFIA stolz bekannt – die Liste reicht von Konzernen wie Starbucks und Boeing über Bosch, RWE, Danone bis zu Yakult, Samsung, Huawei oder Sony.

Dabei sind die Steuersätze gar nicht attraktiv: 25 Prozent Körperschaftssteuer (ab 200.000 Euro) zahlt man auch in Österreich. Das Geheimnis: Für eine weite Palette von Einkünften gilt der Steuertarif von 5 Prozent – etwa aus intellektuellem Eigentum wie Markenrechten, Patenten oder Tantiemen. Kein Zufall, dass die irischen Rocker U2 ihre Songeinkünfte in den Niederlanden versteuern.

"Holland-Sandwich"

Zusammen mit Irland und den Bahamas als Geldbunker ermöglicht das ein berüchtigtes Steuer-Ringelspiel ("Double Irish and Dutch Sandwich") – alles legal und mit dem Segen der EU-Wettbewerbshüter. Zwar sitzen in den Niederlanden oft reine Finanzgesellschaften. Jobs schafft das dennoch – die Anwalts- und Beraterindustrie ist riesig. Der Nachteil: Die Unternehmensteuern sind stark konjunkturabhängig. 2008 nahmen die Niederlande fast 19 Mrd. Euro ein. Seit der Krise sind es nur noch rund 12 Mrd. Euro.

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