WIFO-Chef: "Triple W statt Triple A"

WIFO-Chef: "Triple W statt Triple A"
Karl Aiginger übt Kritik am Sparpaket der Regierung, Reformen fehlen. Er schlägt ein neues Wachstumsmodell vor.

WIFO-Chef Karl Aiginger sagt, die Budgetkonsolidierung muss in eine wirtschaftliche Vorwärtsstrategie mit den Elementen Bildung, Umwelt, Arbeitsmarkt eingebunden sein.

KURIER: Sie schlagen neue Wachstumsideen im Rahmen von „Europa 2020“ vor. In der gescheiterten Lissabon-Strategie war die wettbewerbsfähigste Region der Welt das Ziel. Wohin soll die Reise jetzt gehen?
Karl Aiginger:
Wir wollen einen intelligenten und sozial-integrativen Wachstumskurs, das reicht vom Bekämpfen der Jugendarbeitslosigkeit in Europa bis hin zu nachhaltig-ökologischen Zielen. Solche Ziele müssen ineinandergreifen, einzeln sind sie zu teuer. Dafür suchen wir Best-practice-Beispiele.

Österreich hat soeben seine Bonitäts-Bestnote eingebüßt. Gibt es eine Chance, das Triple A wieder zu gewinnen?
In einigen Jahren ist das möglich. Dafür muss man international Österreichs Reformbereitschaft sehen und das Konsolidierungsprogramm muss in ein Reformprogramm umgewandelt werden. Die Kritik an Österreichs Bankenlandschaft war ja angesichts der Tatsache, dass die Volksbank AG wieder eine Milliarde braucht, offenbar nicht ganz unberechtigt. Die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft muss dynamischer werden, der soziale Zusammenhalt muss gestärkt werden, und mit Umwelttechnologien müssen wir neue Märkte gewinnen. Österreich kann damit Vorreiter in einer neuen europäischen Wachstumsstrategie werden. Sie lautet: Welfare, wealth and work for Europe (Wohlstand, Wachstum, Beschäftigung, Anm.) Wenn Sie so wollen: Triple W statt Triple A.

Derzeit rutscht Europa wieder in eine Rezession ab und die Mittel für neue Wachstums- und Konjunkturpakete fehlen. Wo setzen Sie daher den Hebel an?
Bei der mangelnden Einbettung der Konsolidierung in eine Vision, das gilt für Österreich und noch mehr für Europa. Konsolidierung ist kein Ziel, aber die Voraussetzung für Wohlstand. Konsolidierung ohne Blick auf die vorher genannten langfristigen Ziele gelingt budgetär nicht und führt nur zu Wohlstandsverlusten. Daher muss die Konsolidierung aber Teil einer Vorwärtsstrategie sein und darf kein reines Kürzungsprogramm sein. Dann geht auch die Bevölkerung mit.

Sie kritisieren das österreichische Sparpaket. Was fehlt Ihnen konkret? Was wären Ihre Prioritäten?
Höchste Priorität müsste das Thema Bildung haben. Auch das Thema Umwelt spielt derzeit keine große Rolle, auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat keine Priorität. Mir fehlen etwa Programme für Niedrigstqualifizierte. Da hätte eine Steuer-Strukturreform ansetzen müssen, um den Faktor Arbeit zu entlasten z.B. durch eine höhere Grundsteuer, oder die Beseitigung umweltschädlicher Steuerzuckerln (etwa die Abschreibung von Geländewagen als Betriebsausgabe).

In Budget und Sparpaket klaffen auch von den Beträgen her noch große Löcher, Beispiele: Die Milliarde für die Volksbanken AG, der Beitrag der Länder, die Finanztransaktionssteuer oder das Steuerabkommen mit der Schweiz. Werden wir bald ein zweites Sparpaket brauchen, weil das erste hinten und vorne nicht reicht?
Das jetzige Sparpaket reicht an sich, es muss aber vollzogen werden. Es darf kein Nachgeben geben. Aber: Das Sparpaket ist auf vier Jahre angelegt. Wenn man in dieser Zeit eine Vorwärtsstrategie völlig außer Acht lässt, holt man das nie wieder auf.

Wo soll neues Wachstum für unsere europäischen Sorgenkinder wie Griechenland herkommen?
Bei Griechenland gilt die Formel: Weniger Waffen, mehr Sonne. Griechenland könnte führend bei der Nutzung der Sonnenenergie werden.

Halten Sie ein drittes Hilfspaket für Griechenland für denkbar, so wie das Deutschlands Finanzminister Schäuble oder Euro-Gruppenchef Juncker nicht mehr ausschließen können?
Ein Hilfspaket dieser Art soll es nicht mehr geben. Griechenland braucht ein Investitionspaket und Betriebsgründungen. Und dieses Investitionsprogramm muss mit ähnlich straffen Zeitplänen versehen sein wie der Konsolidierungsplan. Sonst geschieht es nie.

Insgesamt sagen Sie, Europa darf nicht in einen Preiswettbewerb mit der Welt treten, sondern muss den Qualitätswettbewerb gewinnen. Können wir uns unser hohes Wohlstandsniveau auf Dauer leisten?
Ja, das ist langfristig die billigere Strategie. Wer den Qualitätswettbewerb gewinnt, hat langfristig einen klaren Vorsprung. Das beste Beispiel ist Dänemark. Es ist eines der sozialsten und ökologischsten Länder und bietet gleichzeitig höchste Einkommen. Auch Österreich ist in diesen drei Schlüsselkategorien jeweils unter den Top 5. Österreich kann Labor bei einer Wachstumsstrategie mit höherer sozialer und ökologischer Komponente werden. Auf Englisch: Good bye austerity, welcome transition strategy.

EU-Projekt: Neues Modell für Europa gesucht

Mit dem Internet hat das Forschungsprojekt „WWWfor Europe“ nichts zu tun. Die drei W stehen für Welfare, Wealth, Work (Wohlfahrt, Wachstum und Beschäftigung). Unter diesem Titel soll das heimische Wirtschaftsforschungsinstitut in den nächsten vier Jahren im Auftrag der EU-Kommission die wissenschaftliche Basis für ein neues Wachstumsmodell erarbeiten. Der Auftrag ist mit 8 Millionen Euro dotiert, das WIFO arbeitet dabei mit 32 Instituten quer durch Europa zusammen.

Ziel ist, dass die EU, die an Wettbewerbsfähigkeit verliert, dynamischer wird, gleichzeitig ökologischer wirtschaftet, darüber aber die soziale Komponente nicht vernachlässigt.

WIFO-Chef Karl Aiginger ist überzeugt, dass ein Wandel in Europa möglich ist, man dürfe aber nicht ausschließlich auf Sparprogramme setzen. Auch Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl hält ein stärkeres Wachstum ohne Aufgabe der sozialpolitischen Ziele möglich, es mangle bisher aber an der Umsetzung durch die Politik.

Erste Ergebnisse soll es bereits im Herbst geben: Bis dahin wollen die Forscher Empfehlungen für eine Sanierung Griechenlands erarbeiten.

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