Wiener-Börse-Chefin Kuras: „Aus mit der Dämonisierung“

Wiener-Börse-Chefin Kuras: „Aus mit der Dämonisierung“
Für Wiener-Börse-Chefin Kuras sind Aktien für die Finanzierung von Unternehmen wichtig.

KURIER: In Frankfurt oder New York konnten die Börsen heuer Index-Rekorde feiern. Warum hinkt Wien so weit hinterher?

Birgit Kuras: Die Osteuphorie hat den Wiener ATX im Jahr 2007 auf 5000 Punkte getrieben. Das war viel zu viel. Richtig wäre er bei 3000 Punkten gewesen.

Davon ist der ATX aber auch noch ein Stück entfernt.

Schon, ich gebe Ihnen einen anderen Vergleich: Seit Anfang 2002 hat der ATX rund 116 Prozent zugelegt. Der DAX nur 75 Prozent und der Dow Jones nur 57 Prozent. Und der EuroStoxx ist überhaupt im Minus.

Auf die Osteuphorie folgte die Ostpanik. Sehen internationale Investoren das Ostengagement österreichischer Unternehmen jetzt wieder positiver?

Osteuropa wird wieder mehr Wirtschaftswachstum haben als der Westen. In den Kursen ist das aber noch nicht enthalten. Im Moment ist das noch kein Treiber.

Um zu zeigen, dass die heimische Wirtschaft nicht nur auf den Osten fokussiert ist, hat die Börse heuer einen Index für die Global Players zusammengestellt. Wie kommt der an?

Die Unternehmen haben das sehr positiv aufgenommen, sie sehen sich darin einfach gut widergespiegelt. Auch Kandidaten für einen Börsengang interessieren sich dafür.

Mit Constantia Flexibles ist der einzige mögliche Neuzugang in Wien kurzfristig abgesprungen. Wann wird der Wiener Kurszettel endlich wieder länger?

An unseren Börsengang-Workshops haben heuer 40 Unternehmen teilgenommen. Das zeigt, dass das grundsätzliche Interesse da ist. Es gibt Unternehmen, die sich ganz konkret interessieren. Jetzt ist auch ein gutes Zeitfenster. Die Zinsen sind noch tief, die Bewertungen attraktiv.

Okay, aber wann wird es mit neuen Namen konkret?

Viele Unternehmen sind noch zurückhaltend. Es gibt einen Investitionsstau, weil die Firmen erst sicher sein wollen, dass die konjunkturelle Trendwende nachhaltig ist. Dann werden sie kommen.

Die Kapitalerhöhungen sind aber doch gelaufen.

Ja, daran sieht man, dass der Markt aufnahmefähig ist. Wir hatten heuer Kapitalerhöhungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro – von der Erste über die Uniqa bis zu AT&S. Im Vorjahr waren es nur 555 Millionen Euro.

Derzeit belastet die Angst der Anleger die internationalen Börsen, die US-Notenbank könnte ihre Geldschwemme allzu rasch und allzu heftig eindämmen.

Das Thema Tapering überwiegt derzeit wirklich die positiven Nachrichten und ist beherrschend. Aber es wird von der besser werdenden Konjunktur abgelöst werden. Vieles spricht weiter für Aktieninvestments, vor allem für Europa. Vom Wachstum der Unternehmensgewinne her ist hier noch viel Potenzial drinnen.

Wird aber nicht die Regulierung der Banken, die in den Indizes schwer gewichtet sind, immer wieder aufs Kursniveau drücken?

Die Regulierungswut oder -flut hilft natürlich nicht. Aber wenn sich bei den Tests durch die Europäische Zentralbank zeigt, dass die Banken stabil sind, kann das auch überproportional Erleichterung und damit Kursgewinne bringen.

Sie begleiten heimische Firmen zu vielen Investoren-Veranstaltungen im Ausland. Wie wird der Finanzplatz Wien da wahrgenommen?

Man muss sich da schon im Klaren sein: Zum Beispiel Nestle hat einen Börsenwert von rund 170 Milliarden Euro. Die ganze Wiener Börse kommt auf 88 Milliarden. Wir sind nicht das Land der großen Konzerne. Deshalb ist es auch besonders wichtig, dass bei den Unternehmen, die notieren, der Streubesitz erhöht wird.

Auch über weitere Privatisierungen?

Natürlich, zum Beispiel bei der Post.

Spielt bei internationalen Veranstaltungen die Politik in Österreich überhaupt eine Rolle?

Die Investoren spüren ganz genau, ob das Umfeld Kapitalmarkt-freundlich ist oder nicht. Bei uns war es das bisher nicht.

Was kann die Politik also tun?

Ganz wichtig ist es, die Dämonisierung rauszunehmen. Die Börse ist nicht ein Tummelplatz für Spekulanten, sondern ist für die Finanzierung von Unternehmen da. Die Politik muss sich klar sein, dass es ohne Kapitalmarkt kein Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze gibt. Ein funktionierender Kapitalmarkt bedeutet nicht Wohlstand für Einzelne, sondern für die breite Masse. Das aktuelle Arbeitspapier der Regierung lässt allerdings hoffen.

Abgesehen von einem anderen Sprachgebrauch – was sollte die Politik konkret anpacken?

Es sollte für Unternehmen Absetzbeträge für die Kosten eines Börsengangs und für die laufenden Börsenkosten geben. Die Kursgewinnbesteuerung sollte fallen, wenn Anleger die Papiere länger als zehn Jahre halten. Bei der Finanztransaktionssteuer sollte Österreich auf keinen Fall einen Alleingang wagen. Und noch einmal: wichtig ist eine Änderung der Einstellung zum Finanzplatz, damit sich die Stimmung bessert.

Werden die Österreicher auch bei besserer Stimmung nicht trotzdem Aktienmuffel bleiben?

In Österreich fehlt es wahnsinnig an Wissen über Aktien. Es ist enorm wichtig, zu lernen, dass Aktien Risiken bergen. Ein Kind muss auch lernen, dass man sich auf der Herdplatte verbrennen kann.

Wo soll das Wissen vermittelt werden?

Schon in den Schulen soll dies geschehen. Die Geografie-Lehrer verstecken sich jetzt hinter Kakaobohnen und lehren, wo und was angebaut wird. Sie müssten aber auch Wirtschaftswissen vermitteln. Viele Kinder verlassen die Schule, ohne das Wort Aktie jemals gehört zu haben. Meiner Tochter ist es auch so gegangen.

Die hohen Staatsschulden der EU-Länder schweben wie ein Damoklesschwert über den europäischen Aktienmärkten. Zwar agieren viele Aktienhändler so, als sei das kein Problem. „Die Schuldenkrise ist aber nicht vorbei. Sie kann immer wieder große Schwankungen bei den Aktienkursen auslösen. Das System ist fragil“, erklärt Friedrich Mostböck, Chef-Analyst der Erste Group.

Wie sehr die EU-Schuldenkrise die Kreditwürdigkeit der EU beeinträchtigt, zeigt die jüngste Entscheidung der US-Ratingagentur Standard & Poor’s. Sie hat am Freitag der EU die Spitzenbewertung AAA entzogen und bewertet die Staatengemeinschaft nun um ein Grad schlechter mit AA+. Die Herabstufung begründet die Agentur damit, dass ihrer Ansicht nach der Zusammenhalt der Mitgliedsländer abgenommen habe. Das hätten insbesondere die Spannungen bei den jüngsten EU-Haushalts-Verhandlungen gezeigt.

Europas Börsen hat diese Abstufung am Freitag allerdings kalt gelassen. Da hatte der Verfallstag für Optionen einen viel größeren Einfluss auf das Kursgeschehen. Die meisten Indizes der großen Börsen konnten sogar leicht zulegen.

Der Wiener Börse steht nach Einschätzung von Mostböck 2014 ein gutes Jahr bevor. Der Leitindex ATX hat einiges nachzuholen. Heuer konnte er nur vier Prozent zulegen, während die meisten anderen Börsen durchwegs zweistellige Gewinnwachstumsraten verzeichneten.

Günstig und solide

Zwei Gründe sprechen nach Ansicht von Mostböck für die Wiener Börse: Die Titel sind im historischen Vergleich günstig bewertet. Und die meisten Unternehmen, die im Leitindex ATX enthalten sind, sind gut aufgestellt. Sie erwirtschaften einen Großteil des Umsatzes im Ausland – vor allem in Osteuropa – und viele sind in ihren Nischen Weltmarktführer.

Das im Vergleich zu Westeuropa höhere Wirtschaftswachstum im Osten sollte also Wiener Aktien begünstigen. Dass die Kurse nicht schon heuer deutlich gestiegen sind, liege an der geringen Liquidität am Wiener Markt, meint Mostböck. Große institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Fonds hätten sich aus Risikogründen heuer den liquideren Börsen gewidmet.

2014 könnten sie aber auch in Randmärkte wie Österreich zurückkehren. Auf der Empfehlungsliste stehen Immo-Aktien, OMV, RHI und UNIQA.

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