Wie real ist die Klimakrise für Versicherungen? "Es ist 1 vor 12"
Die Klimakrise ist längst auch bei der Realwirtschaft ein großes Thema, sagt Kurt Svoboda, Mitglied des Uniqa Vorstands und verantwortlich für Finanz- und Risikomanagement. Im KURIER-Gespräch erklärt der Experte, mit welchen Auswirkungen Versicherungen rechnen.
KURIER: Sind Klimagipfel und die Klimakrise eigentlich auch für Versicherungen wie Uniqa von Interesse?
Kurt Svoboda: Sogar erheblich. Wir beobachten die weltweiten Entwicklungen akribisch, denn die Versicherungsbranche ist gleich in mehrfacher Hinsicht betroffen: Die Klimakrise und die aus ihr resultierenden Risiken haben direkte Auswirkungen auf unsere Veranlagung und genauso auf unsere Rolle als Risikoträger. In unserer Uniqa 3.0-Strategie, die wir seit 2019 konsequent verfolgen, sind daher Nachhaltigkeit und Green Finance wesentliche Aspekte. Unser gesamtes Geschäftsmodell ist unter anderem auch am 1,5 Grad- Klimaziel des Pariser Abkommens ausgerichtet.
Was beschäftigt eine Versicherung daran?
Wir haben mehrere Themen, es geht einerseits um die Versicherungen, andererseits um die Assets, also unser gesamtes Finanzvermögen. Wir verwalten etwa 20 Milliarden Euro - das ist ein enormer Hebel. Ziel ist es in Unternehmen zu investieren, die sich ESG-konform verhalten, also nachhaltig in den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Umgekehrt werden Unternehmen, die das nicht tun, Probleme bekommen, vom Markt Liquidität zu bekommen - also müssen sie sich ändern. Das ist gut so! Unser übergeordnetes Ziel war es bis 2025 ein Volumen von einer Milliarde Euro an nachhaltigen Investments aufzubauen. Das haben wir bereits erreicht, aktuell sind rund 1,8 Milliarden Euro nachhaltig investiert. Die gesamte Versicherungsbranche in Europa verwaltet übrigens ganze 11 Billionen Euro. Es macht also einen enormen Unterschied, wie und wo dieses Geld investiert wird!
Es ist natürlich auch wesentlich, wen wir zu welchen Konditionen versichern. Als Beispiel: Seit Anfang 2019 zeichnet Uniqa in der Sachversicherung kein Neugeschäft mit der Kohleindustrie, unsere Investments in kohlebasierte Unternehmen sind fast vollständig abgebaut. Jetzt steht der Rückzug aus Öl bis 2030 und Erdgas bis 2035 bei Veranlagungen und im Industriegeschäft an.
Kann eine Versicherung auch im eigenen Haus „grün“ sein?
Natürlich! Wir haben etwa ein Energiemonitoring eingeführt und 800 Energiesparmaßnahmen umgesetzt. Unser Stromverbrauch ist seit 2018 um 30 Prozent gesunken, in Summe haben wir in Österreich rund 2,5 Millionen Kilowattstunden an Strom und Wärme eingespart und so circa 500 Tonnen CO2 vermieden. Oder denken wir an Strom: Seit 2020 haben wir im Rahmen unserer Photovoltaikoffensive die Leistung der firmeneigenen PV-Anlagen von 50 Kilowatt-Peak (kWp) auf 280 kWp Spitzenleistung mehr als verfünffacht. Im kommenden Jahr 2023 kommen weitere 150 kWp dazu, bis 2035 steigern wir uns auf zumindest 600 kWp.
Ist ESG auch für Kunden bei den Versicherungen ein Thema?
Inzwischen ist das der Fall, wir sehen mittlerweile immer mehr Nachfrage nach ESG-konformen Veranlagungen. Wir haben heuer eine Studie durchführen lassen: 40 Prozent der Befragten würden auf nachhaltige Investments setzen, wenn sie die Wahl haben. Knapp ein Drittel würden zu Gunsten nachhaltiger Investments sogar Einbußen bei Ertrag oder Sicherheit in Kauf nehmen.
Und welche Rolle spielt die Klimakrise beim Versichern?
Wir versichern natürlich auch Risiken, die klimabehaftet sind, alles was mit Hitze, Wind und Wasser zu tun hat. Da sehen wir auch aktuell bei den Verhandlungen mit den Rückversicherern, dass das ein zunehmend schwieriger Markt ist. Die Absicherung von Naturkatastrophen wird extrem teurer und die Möglichkeiten werden knapper. Ein großer Rückversicherer schätzt aktuell die versicherten Schäden für Naturkatastrophen für 2022 auf rund 110 Mrd. Euro. Das ist weit mehr als der Zehnjahresdurchschnitt von 81 Mrd. Dollar.
Wie berechnen Sie da das klima-behaftete Risiko?
Das Klimarisiko wird mit sehr komplexen, stochastischen Modellen berechnet. Sie beziehen Informationen der europäischen nationalen Wetterämter ein und basieren – wie auch das bekannte Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - auf Global Climate Model Simulationen. Darüber hinaus füttern wir unsere Modelle mit Daten über die bei uns versicherten Schäden. Mit diesen Modellen können wir die möglichen, zukünftigen Schäden für jeden Temperaturanstieg an jedem beliebigen Ort berechnen.
Das ist ein sehr leistungsfähiges Instrument für die Risikominderung, für das so genannte Underwriting – also die Prüfung und Einschätzung von Anträgen - und die Berechnung von fairen Prämien. 2022 hatten wir in Österreich November bereits mehr als 110 Millionen Euro Schaden nur aus Naturkatastrophen, im Schnitt der vergangenen sieben Jahre ist das ein Plus rund 18 Millionen. Da kann ja niemand mehr sagen, das ist ein Pech, sondern das ist ein klarer Trend.
Sie gehen davon aus, dass die Schäden aus Naturkatastrophen weiter steigen werden?
Wir können mit den Modellrechnungen nicht sagen, dass die 110 Millionen zu 130 Millionen werden, aber ja, die Häufigkeit wird sicher zunehmen. Alleine die Hitzetage mit über 30°C haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht - und damit die Feuerschäden, hier gibt es eine klare Korrelation. Das wird sich fortsetzen. Und wir rechnen auch mit mehr Naturkatastrophen wie Starkregen, Hagel und damit mehr Hochwasser und Muren.
Gibt es jetzt schon Objekte, die sich wegen der Klimakrise nicht mehr versichern?
Ja, in Hochrisikogebieten versichern wir nicht mehr, also an bestimmten Flüssen oder Berghängen, die mit einem hohen Risiko behaftet sind, weil jedes Jahr drei große Lawinen oder Muren abgehen oder sehr häufig Hochwasser kommt. Das Zweite ist, dass wir in manchen Gebieten nicht mehr alles versichern, sondern nur bis zu einem gewissen Limit bei den Versicherungssummen.
Haben sie da eigene Landkarten, die das Risiko im Detail zeigt?
Ja - und wir verwenden sie täglich. Sie stellen die Ergebnisse unserer Modelle visuell, also in Form einer Landkarte, dar und enthalten Klimainformationen, Landnutzungsdaten, Geländeinformationen, versicherte Risiken und Schäden unserer Kunden und einiges mehr. Wir können damit für jedes Haus in Österreich das spezielle Risiko berechnen und wie sich dieses auf Prämien auswirkt. Solche Karten erstellen wir in unserem NatCat Competence Center, das es seit 2013 gibt.
Hat die Klimakrise auch schon Auswirkungen auf die Versicherungen von Menschen?
Das spielt noch nicht direkt in unser Geschäftsfeld, aber wir erwarten, dass mit steigenden Temperaturen und Hitzetagen auch die Gesundheit gefährdet wird, und das hat auf Krankenversicherungen einen indirekten, negativen Hebel. Wenn die Menschen etwa öfter Kreislaufprobleme bekommen, nehmen sie häufiger versicherte Leistungen in Anspruch. Wenn sich daraus ein Trend ergibt, muss sich das mittelfristig auch auf unser Produktgestaltung auswirken.
Großes Ziel der Klimaschutzpolitik weltweit ist eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C oder jedenfalls deutlich unter 2°C. Wie sehen Sie das?
Das ist für uns sehr relevant. Schon bei einer Erwärmung von 1,5°C wird es Schäden geben, die nicht mehr versicherbar sind, weil sie nicht mehr kalkulierbar und damit bepreisbar sein werden, und wir sie daher auch nicht decken können. Irgendwann wird auch der Staat nicht mehr, wie bisher, einspringen können, um diese Schäden zu reparieren – somit ist der volkswirtschaftliche Aspekt enorm und handeln jetzt wichtig.
Also unterm Strich heißt das, dass die Versicherungswirtschaft hier ein großes Problem auf uns zukommen sieht? Setzen wir uns ausreichend mit dem Thema auseinander?
Ich bekomme selbst mit, dass für die meisten Menschen der Klimawandel noch kein Thema ist, weil sie glauben, das betrifft nur andere, es mögen andere beginnen oder es war früher auch so. Das ist aus meiner Sicht falsch, jeder muss sich damit auseinandersetzen und handeln. Nicht morgen oder am nächsten Wochenende, sondern jetzt – es ist „1 vor 12“.
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