Wie EZB-Chefin Lagarde im EU-Parlament "gegrillt" wird

Wie EZB-Chefin Lagarde im EU-Parlament "gegrillt" wird
Die Französin muss sich zweieinhalb Stunden den Fragen der Parlamentarier stellen: Der KURIER bringt ein laufendes Update.

Wie steht die als EZB-Chefin nominierte Französin zu "Helikopter-Geld", also zur Idee mancher Ökonomen, die Zentralbank solle üppig Geld unter die Leute bringen, damit der Konsum angekurbelt wird? Sieht sie Chancen für eine Zinsanhebung? Welchen Beitrag kann die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die Klimakrise leisten?

Das sind nur einige der Fragen, die vom Hearing der künftigen EZB-Präsidentin zu erwarten sind. Die ehemalige französische Finanzministerin Christine Lagarde, bis vor Kurzem Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, musste sich am Mittwochvormittag einem zweieinhalb Stunden langen Hearing im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments stellen.

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Wirklich verhindern kann das Parlament die Bestellung nicht. Die für 18 Uhr angesetzte Abstimmung im Ausschuss wird aber ein Stimmungsbild liefern. Der Ausschuss macht dann einen Vorschlag für das EU-Parlament, ob es bei der Tagung am 16. bis 19. September dem Rat der EU-Mitgliedsstaaten Lagardes Bestellung empfiehlt.

Lagardes Statement

In ihrem zehnminütigen Eingangsstatement meinte Lagarde, sie sei etwas "eingeschüchtert", vor dem EU-Parlament zu stehen. Damit gehe es ihr aber wie einigen der neuen EU-Abgeordneten, die ebenfalls hier seien mit dem Willen, zu "lernen".

Die Verantwortung vor dem EU-Parlament sieht sie als "Eckpfeiler der Währungsunion", zumal die Spitzenrepräsentanten der EZB nicht direkt gewählt seien, betonte Lagarde.

Um gleich einmal Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die der Juristin fehlendes ökonomisches Wissen vorwerfen, schildert sie die Prioritäten, die sich in ihrem Lebenslauf ergeben hätten.

So habe sie als französische Finanzministern erfahren, wie wichtig Institutionen im Kampf gegen die Finanzkrise sind. Sie habe beim Währungsfonds mit Top-Ökonomen zusammengearbeitet, den IWF reformiert und "inklusiver" gemacht, unter anderem für Beiträge aus der Zivilgesellschaft geöffnet.

Drei Prioritäten

Lagarde nennt ihre drei Hauptprioritäten für die EZB: das seien "Kommitment, Agilität und Inklusivität".

Das Festhalten am Mandat der EZB - das Gewährleisten stabiler Preise - sei entscheidend, um zu Wohlstand beizutragen. Rasches Reagieren sei notwenig, um die Herausforderungen für die Geldpolitik beantworten zu können und auf wechselhafte Bedingungen reagieren zu können. So sei aus dem Kampf gegen Inflation 2008 plötzlich ein Kampf gegen Deflation, also sinkende Preise geworden.

"Ohne innovative Maßnahmen wäre die Krise um vieles schlimmer ausgefallen." So rechtfertigt Lagarde die teilweise umstrittenen, so genannten unkonventionellen Maßnahmen, die ihre Vorgänger Draghi vor allem seit Mitte 2014 umgesetzt hat. So seien 11 Millionen Menschen neue Jobs sei dem Tiefpunkt 2013 geschaffen worden. Die faulen Kredite der Banken hätten sich halbiert.

Die lockere Geldpolitik sei weiterhin erforderlich. Aber am Horizont gebe es neue Herausforderungen, etwa den Kampf gegen die Klimakrise.

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Unter Inklusivität versteht Lagarde die Kooperation der EZB mit außenstehenden Institutionen, etwa dem "Green-Assets-Netzwerk". Die EZB solle auch die multilaterale Zusammenarbeit fördern - etwa mit IWF, Weltbank, Welthandelsorganisation. Dieses multilaterale System sei "momentan bedroht".

In Diversität, also das Beschäftigen von Talenten mit unterschiedlicher Herkunft, Nationalität, Geschlecht und sexueller Orientierung sieht Lagarde Vorteile für das Management der EZB.

Die EZB solle sich nicht von den Märkten lenken lassen, müsse aber auf die Stimme der Märkte hören. Ebenso solle sie aber die Stimme der Menschen, der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung, anhören.

Was genau ist "innovativ"?

Was genau versteht die künftige EZB-Chefin unter "innovativen Maßnahmen", will der deutsche Abgeordnete Markus Ferber wissen. Er erwähnt die Abschaffung des Bargeldes, Helikoptergeld oder die Umsetzung von negativen Zinsen, auch für Sparer. Dazu habe es nämlich unter ihrer Ägide beim IWF einige Studien gegeben.

Lagarde antwortet mit einem allgemein gehaltenen Rückblick: Vor der Krise hätten sich viele Beobachter die Maßnahmen nicht vorstellen können, welche die EZB schließlich umsetzte. "Was sind die Bedrohungen? Was sind die angemessenen Instrumente? Was sind die Kosten-Nutzen-Rechnungen?" Das müsse sich nicht nur die EZB bei jeder Aktion fragen, sondern auch alle anderen Zentralbanken weltweit.

Mit einem skeptischen, unzufriedenen Kopfschütteln quittiert Ferber die ausweichenden Antworten.

Braucht die EZB neue Vorgaben?

Die kanadische Notenbank überarbeite ihre Geldpolitik-Vorgaben turnusmäßig alle fünf Jahre, die US-Notenbank sei ebenfalls gerade in einem Review-Prozess. Braucht auch die EZB eine Überarbeitung ihres Inflationszieles?  Zumal die Vorgaben das letzte Mal vor 16 Jahren aktualisiert wurden.

Ein wenig werde das bereits getan, sagt Lagarde: Und zwar, weil die EZB seit Juli zur Debatte gestellt hat, wie das Inflationsziel von "unter, aber nahe bei zwei Prozent" tatsächlich zu verstehen sei. Ist das auch bei 1,6 Prozent gewährleistet? Lagarde nimmt keine Antworten vorweg, sieht die Diskussion aber offenkundig als wichtig und wertvoll: Ein Überarbeitung und Überprüfung sei - in einem abgestimmten Vorgehen mit anderen wichtigen Zentralbanken - "angebracht".

EZB und Klimawandel

Das sei ihre persönliche Meinung, keine Vorwegnahme von EZB-Entscheidungen: Jede Institution muss die Risiken des Klimawandels ganz zentral auf der Agenda stehen haben, sagte Lagarde. Der IWF habe Klimawandel als makroökonomisches Risiko identifiziert und das bei seinen Reformzielen berücksichtigt. So seien etwa Subventionen für fossile Energieträger kritisch bewertet worden.

Der Pensionsfonds der EZB könne seine Investitionen nachhaltig orientieren. Das Wertpapier-Ankaufprogramm der EZB könne sich nicht auf grüne Investments beschränken: "Dazu ist der Markt nicht groß genug." Aber auch die Signalwirkung, die von der EZB ausgehen könne, sei wichtig.

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Weltwährung Euro

Wie will Lagarde sicherstellen, dass die europäische Gemeinschaftswährung in der globalen Finanzwelt - als Zahlungsmittel, als Reservewährung - eine größere Rolle spielt, will ein Abgeordneter wissen.

"Der Euro ist bereits eine Reservewährung, wenn auch nicht die wichtigste", sagte Lagarde. Das sei immer noch der US-Dollar, aber das ändere sich. Der Euro solle in einem effizienten Zahlungssystem eine noch größere Rolle bekommen. Das EU-Parlament habe sich sehr für die Vertiefung der EU-Kapitalmarktunion eingesetzt, das sei entscheidend, um auch die Rolle des Euro aufzuwerten.

Lagarde berührt einen heiklen Punkt: Der Dollar sei auch deshalb so stark, weil es US-Staatsanleihen als weltweit gefragtes Asset gibt. Unausgesprochen heißt das: Eurobonds gibt es eben noch nicht - und wird es so bald wohl auch nicht geben.

Erneut zu negativen Zinsen

Noch einmal kommt die Frage negativer Zinsen aufs Tapet, weil das die Menschen wirklich sehr beschäftige, sagte eine Parlamentarierin. Die Antwort wird nicht konkreter als im ersten Anlauf. Für jede Maßnahme müsse die EZB eine strenge Kosten-Nutzen-Rechnung über die Auswirkungen anstellen, so Lagarde. Schließlich gebe es Menschen, die Sparer sind, andere Kreditnehmer und ebenso gebe es auch hochverschuldete Staaten.

Und noch ein dritter Anlauf: "Sie haben eine sehr konkrete Frage gestellt: Wie lange werden wir negative Zinsen haben? Das kann ich unmöglich beantworten", so Lagarde.

Das Mandat der EZB sei Preisstabilität, dazu würden die geldpolitischen Instrumente eingesetzt. Man müsse aber mögliche negative Auswirkunen im Auge haben, die mit Fortdauer negativer Zinsen eintreten könnten.

Ungleichheit

Eine weitere Parlamentarierin kritisiert, dass die EZB-Politik im Kampf gegen die Krise vor allem reichen Menschen genützt habe. Das habe Vorgänger Draghi selbst bestätigt. Auch in Lagardes schriftlicher Beantwortung der 76 Fragen, die  Parlamentarier vorab eingereicht hatten, komme das Wort "Ungleichheit" nur zwei Mal, "Preisstabilität" hingegen 28 Mal vor.

Die Sorge über Ungleichheit liege ihr sehr am Herzen, aber die Preisstabilität sei nun einmal die Hauptzielvorgabe der EZB. Erst wenn das gewährleistet sei, könnten andere Ziele wie Verteilung und ökologische Ziele in Betracht gezogen werden.

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Othmar Karas

Österreicher am Wort

Der führende österreichische Abgeordnete Othmar Karas (ÖVP) ist am Wort: Wie will Lagarde ihre internationale Rolle definieren? Wie will sie zugleich die Unabhängigkeit der EZB garantieren?

"Eine sehr umfassende Frage, danke", sagt Lagarde. Die Gremien der G20 oder G7 hätten sich als äußerst effizient erwiesen, wenn es Extremsituationen gegeben habe. Diese sollte man sich zwar nicht wünschen, aber sie hätte gerne "ein dauerhaftes Gefühl der Dringlichkeit", sonst werden die Probleme unendlich aufgeschoben, sagt Lagarde.

Alle wichtigen Fragen, ob Klima, Migration, Geldwäsche, Cyberisiken, Steuerthemen, seien heutzutage nur noch mit internationaler Zusammenarbeit zu lösen.

Vertiefung der Eurozone

Sie hoffe, die berühmte "Whatever-it-takes"-Aussage von Mario Draghi nie wiederholen zu müssen, sagt Lagarde: "Das würde nämlich bedeuten, dass die Politiker ihre Aufgaben nicht gemacht hätten."

Allerdings habe Draghi damals ein Instrument (Outright Monetary Transactions, OMT) in Aussicht gestellt, das im Endeffekt nie eingesetzt werden musste, weil die Ankündigung ihre Wirkung entfaltet hatte. Lagarde schlägt eine inhaltliche Brücke zu einem künftigen Eurozonen-Budget oder zur Einlagensicherung (EDIS), die erst noch geschaffen werden müssen. Diese seien wichtig als Absicherung.

Das Eurozonen-Budget, das zur Abfederung von Krisen gedacht ist, sei zwar wichtig und notwendig. Wenn dieses allerdings nicht so bald beschlossen werde, sehe sie die makroökonomische Stabilität auch nicht in Gefahr, beruhigt Lagarde.

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Lagarde und Vorgänger Mario Draghi, im Juni 2015

Gesetzesbruch?

Ein heikler Punkt: Lagarde wird mit früheren Aussagen konfrontiert, wonach auf dem Höhepunkt der Krise Regeln und Gesetze gebrochen werden mussten, um Schlimmeres zu verhindern. Werde Sie daran auch als EZB-Chefin festhalten, will eine Abgeordneter wissen.

"Ja, wir mussten Regeln überschreiten. Ich würde das keinen Verstoß gegen die Verträge nennen, aber wir mussten das tun, um die Einlagen der Sparer zu schützen und einen Run auf die Banken zu verhindern", sagt Lagarde. Das sei notwendig und gerechtfertigt gewesen.

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Digitale Konkurrenz für Facebook?

Wie hält es die künftige EZB-Chefin mit digitalen Währungen, will ein Abgeordneter wissen. Sie unterscheide zwischen Kryptowährungen wie Bitcoin und "stablecoins", wie die Libra-Währung, die die Plattform Facebook plant. Bitcoin habe sich als "hoch spekulativ und sehr schwankungsanfällig" erwiesen, sagte Lagarde, sei aber noch nicht groß genug, um eine echte Bedrohung darzustellen.

"Stablecoins" wie Libra oder auch virtuelle Währungen, welche die Zentralbanken planen, seien "eine komplett andere Art von Tier": Wichtig sei nicht so sehr, ob solche Währungen von Banken ausgegeben werden oder nicht. Entscheidend sei, dass sie "allen Regeln und Vorgaben für solche Zahlungsinstrumente" entsprechen.

Große Sympathie lässt die Französin hingegen für einen Vorschlag erkennen, den der britische Notenbank-Chef und Vorsitzende des Financial Stability Boards der G20, Mark Carney, in einer Rede gemacht hat: Er regte an, dass führende Zentralbanken weltweit gemeinsam eine digitale Währung in Form von "stablecoins" schaffen könnten. Lagarde hält das für ein "interessantes Konzept".

Damit wäre das drohende Facebook-Monopol schlagartig vom Tisch, von offizieller Seite würde ein mächtiger Konkurrent im digitalen Zahlungsverkehr entstehen.

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