Das besagte Nährwertprofil kommt von der Nationalen Ernährungskommission, kurz NEK, die im Gesundheitsministerium angesiedelt ist und in der Industrie schon im Herbst die Wogen hochgehen ließ. Die gut 70 Vertreter der Kommission – die meisten davon aus dem Gesundheitsbereich kommend – klassifizieren die Lebensmittel in Gut und Böse. „Ein ideologischer und viel zu eindimensionaler Ansatz“, findet Thumser. Schließlich müsse man den gesamten Lebensstil anschauen und die Menge, die von einem bestimmten Produkt verzehrt wird. Die Hebel zu einem gesunden Lebensstil würden ganz woanders liegen, etwa im Bildungssystem, wo Ernährungskunde und die tägliche Turnstunde zwar viel diskutiert, aber noch immer nicht umgesetzt sind, so der Standpunkt von Thumser.
Was die Industrie besonders wurmt, ist laut dem Vertreter der Markenhersteller „die fehlende wissenschaftliche Evidenz“ der Bewertungen. Aus seiner Sicht seien die Grenzwerte „völlig willkürlich festgelegt worden“. Darüber hinaus fehle der wissenschaftliche Beweis, dass Werbeverbote das Ernährungsverhalten verändern würden. Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober habe in einer Sitzung im vergangenen März von der NEK entsprechende wissenschaftliche Belege gefordert. Seit seinem Rücktritt sei davon aber nichts mehr zu hören, sagt Thumser. Statt der geforderten Belege wolle die NEK nun plötzlich Ende Mai ein nationales Nährwertprofil beschließen und damit durch die Hintertür die Werbeverbote durchboxen, so auch sein Standpunkt.
Seitens des Gesundheitsministeriums wird heftig dementiert. Man verstehe die Aufregung gar nicht, zumal die NEK „weder Verordnungen verabschieden noch Werbeverbote verhängen kann“.
In der Industrie schrillen dennoch alle Alarmglocken. Kossdorff: „Das von der NEK geplante Nährwertprofil bringt sehr wohl Werbeverbote und Werbebeschränkungen für Lebensmittel, wenn auch nicht per Verordnung oder Gesetz, sondern als Vorschlag und Empfehlung für den Gesundheitsminister und für weitere politische Schritte.“ Österreich schieße mit seinem nationalen Alleingang wieder einmal über das Ziel hinaus. Denn 2022 will die EU-Kommission ohnehin ein EU-weit einheitliches Nährwertprofil vorlegen.
Der Streit um die Nährwertprofile und Werbeverbote ist nicht neu. Zumindest vor, im und nach dem Kinderprogramm hat sich die Lebensmittelindustrie schon vor gut zehn Jahren selbst verpflichtet, keine Werbung mehr für zu Salziges, Süßes oder Fettiges zu schalten. Im vergangenen Herbst wurde der Verhaltenskodex aus dem Jahr 2010 angepasst und „auf Videosharing-Plattformen wie Youtube, TikTok, Instagram oder Facebook ausgeweitet“, erläutert Kossdorff. Die Vorgaben würden vom Werberat seit jeher genau geprüft werden: Kossdorff: „Seit 2017 bestand lediglich in zwei Beschwerdefällen zu Lebensmittelwerbung ein Zusammenhang mit Kindern.“
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