Was Deutschlands Wirtschaft so stark macht

Österreich von der früheren Zugmaschine entkoppelt – Exporte zum Nachbarn stagnieren seit 2011.

Was ist da los? Die Wachstumslokomotive Deutschland steht voll unter Dampf: Geringste Arbeitslosigkeit in Europa, Allzeithoch bei den Exporten im März, kräftiges Beschäftigungsplus.

Österreichs Wirtschaft kommt trotzdem nicht vom Fleck. Unser Wachstum hat sich von der Zugmaschine im Nachbarland abgekoppelt. Seltsam. Denn die Deutschen bleiben für die heimische Wirtschaft die mit Abstand wichtigste Nation.

als Geldgeber Firmen unter schwarz-rot-goldener Flagge haben in Österreich 39,8 Milliarden Euro investiert – so hoch ist der Gesamtbestand der Direktinvestitionen.

als Kunden 2600 österreichische Firmen haben Niederlassungen oder halten Beteiligungen im Nachbarland. Mit Warenlieferungen im Wert von 38 Milliarden Euro sind die Deutschen der Abnehmer für ungefähr 30 Prozent der heimischen Exporte.

als Touristen Fast 52 Prozent der Nächtigungen von Ausländern in Österreich entfallen auf deutsche Urlauber.

Viel bessere Stimmung

Allerdings stagnieren seit 2011 die Warenlieferungen nach Deutschland (siehe Grafik unten). Österreich verliere im Nachbarland Marktanteile, kritisierte die Nationalbank soeben.

"Wir bewegen uns auf relativ hohem Niveau", sagte dazu Heinz Walter, Wirtschaftsdelegierter der WKO in Berlin, am Dienstag. Er erwartet 2015 ein Plus der Exporte nach Deutschland von immerhin ein bis zwei Prozent – im ersten Quartal war der Zuwachs 1,1 Prozent.

Wie aber erklärt sich der Experte die gravierenden Unterschiede? "Die Stimmung ist in Deutschland um einiges besser, das merke ich in all meinen Gesprächen mit den Unternehmen", so Walter. Täglich trudeln positive Meldungen ein, die weiteren Aufwind geben. So ist etwa der Wohlstands-Index hoch wie nie: 48,4 Prozent der Deutschen stufen sich als wohlhabend ein – materiell, gesundheitlich, familiär –, meldete Zukunftsforscher Horst Opaschowski am Dienstag.

Ein weiterer Grund: Lange Zeit hatte Österreich in Sachen Produktivität die Nase vorn, weil in den Achtzigern die Weichen richtig gestellt worden waren. "Diese Früchte wurden bis zur Krise geerntet", sagt Walter. Seitdem seien aber nötige Reformen wie die Senkung der hohen Lohnnebenkosten unterblieben.

In Deutschland hatte hingegen der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2003 arbeitgeberfreundliche Reformen eingeleitet, die die Wettbewerbsfähigkeit verbesserten. Das ging zwar massiv zulasten der sozialen Absicherung ("Agenda2010", "Hartz IV"), legte aber andererseits die Basis für den jetzigen deutschen Exportboom.

In Deutschland werden die Löhne meist dezentral – auf Betriebsebene oder von Teilgewerkschaften – verhandelt. Laut Studien hat das zur Lohnzurückhaltung beigetragen, erklärt Walter. Nach jahrelang sinkenden Einkommen haben die Deutschen wieder mehr im Geldbörsel. Was die Kauflaune ebenfalls steigert: Die Inflation ist fast einen Prozentpunkt geringer als in Österreich.

Allerdings mehren sich Stimmen von Arbeitgeberseite, die vor sinkender Wettbewerbsfähigkeit warnen. "Es zeichnet sich ab, dass die Lohnstückkosten 2015 das vierte Jahr in Folge steigen werden", mahnt Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Ob Mindestlohn, die Mietpreisbremse in Berlin, der Mangel an Fachkräften, die Rücknahme von Pensionsreformen ("Rente mit 63") oder die Streiks (Lufthansa, Bahn, Kindergärten, Post, Amazon-Logistik): All das belastet die Wirtschaft und könnte die Stimmung kippen lassen.

Weißwurst-Äquator

Umso mehr sollten Österreichs Betriebe jetzt den Rückenwind nützen. Gerade in Nord- und Ostdeutschland sieht Walter Nachholbedarf. Derzeit gehen 41 Prozent der rot-weiß-roten Waren nach Bayern. Gute Chancen hätten Industriezulieferer, Konsumgüter und Dienstleister. Ein Schwerpunkt gilt dem Thema nachhaltiges Bauen.

Was Deutschlands Wirtschaft so stark macht

Schlechte Nachrichten für die pleitegefährdeten Südeuropäer: Griechenland ist wieder dort, wo es bis Mitte 2014 war – in der Rezession. Davon sprechen Statistiker, wenn bei der Wirtschaftsleistung (BIP) zwei Quartale in Folge ein Minus steht. Nach -0,4 Prozent im Schlussquartal 2014 ist die griechische Wirtschaft auch Anfang 2015 zum Vorquartal geschrumpft (-0,2 Prozent).

Zypern hingegen konnte erstmals seit 2011 wachsen. Besonders starkes Wachstum verzeichneten aber auch Tschechien, Rumänien, Polen und Spanien.

Für Österreich ging sich nach drei Quartalen mit null Wachstum von Jänner bis März 2015 ein echtes, zartes Plus von 0,1 Prozent (zum Vorquartal) aus. Das Schwächeln dürfte sich aber fortsetzen: Laut vierteljährlicher Wifo-Umfrage befürchten Österreichs Exporteure eine verschlechterte Auftragslage – trotz der für Exporte günstigen Euro-Abwertung.

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