Warum von Finanzkrisen immer Rechtspopulisten profitieren

Christoph Trebesch hat 800 Wahlen ausgewertet: Nach Finanzkrisen steigen die Anteile rechter Populisten um 30 Prozent.

In den zehn Jahren seit der Lehman-Pleite hat sich die Welt gehörig verändert. Auch politisch. Die Parteienlandschaft ist nach rechts gerückt: Ob Trumps Sieg in den USA oder die Stimmzuwächse für AfD (Alternative für Deutschland), Wahre Finnen und Schwedendemokraten, Lega (Italien) und Rassemblement (Front) National in Frankreich: Rechtsaußen ist auf dem Vormarsch.

Das Phänomen gilt aber nicht nur für 2008 oder die 1930er-Jahre, sondern ist ein historisch durchgängiges Muster, das bei Wahlgängen seit 1870 feststellbar ist - das ergab eine Studie dreier deutscher Ökonomen.

Der KURIER unterhielt sich mit Ko-Autor Christoph Trebesch, dem Leiter der Abteilung Internationale Finanzmärkte und Global Governance am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

KURIER: Sie haben 800 Wahlergebnisse aus 140 Jahren und 20 Ländern ausgewertet. Wie wirken sich Finanzkrisen auf den Wahlausgang aus?

Christoph Trebesch: Das Kernergebnis ist, dass es nach Finanzkrisen zu politischen Verwerfungen kommt. Das Erstaunliche ist dabei die Regelmäßigkeit. Rechte Parteien sind die größten Nutznießer, mit einem Anstieg der Wählerstimmen für extrem rechte und populistische rechte Parteien von 30 Prozent im Vergleich zu Vorkrisenwahlen. Gleichzeitig sahen wir, dass sich die Parlamente fragmentieren, weil Protestparteien vom linken oder rechten Rand neu einziehen und Regierungsmehrheiten schwinden. Es kommt also zu einer stärkeren Polarisierung.

Das deckt sich mit Erfahrungen nach der Finanzkrise von 2008 aus vielen Ländern.

Ja, aber es gilt eben nicht nur für die Zeit nach 2008 oder die Weltwirtschaftskrise der 1930-Jahre. Sondern wir finden das Phänomen auch nach kleinen, regionaleren Krisen. Etwa in Skandinavien, in der Schweiz, wo die SVP stark gewachsen ist oder in Italien, wo die Lega Nord erstmals in den 1990ern nach einer Finanzkrise ins Parlament gekommen ist – um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Studie endet 2014, der Trend setzt sich – siehe jüngst die Zugewinne der Schwedendemokraten – aber fort. Lässt sich das noch ursächlich auf die Krise 2008 zurückführen? Wie lange wirkt das nach?

Die Frage ist berechtigt. Wir haben auch eine Zehn-Jahres-Projektion gemacht, da sieht man recht klar, dass es einen Höhepunkt der politischen Verwerfungen nach fünf Jahren gibt und diese dann abebben. Normal wären nach zehn Jahren keine signifikanten Effekte der Krise mehr sichtbar. Dieses Mal scheint es aber anders zu sein.

Worin liegen die Unterschiede?

Der Effekt scheint sehr viel persistenter zu sein. Die neuen Parteien fliegen nicht wieder aus den Parlamenten, die Rechtspopulisten legen weiter zu. Es findet also keine „Normalisierung“ in Richtung Vorkrisenstatus statt. Der Grund ist wahrscheinlich, dass die Finanzkrise nur einer von mehreren Schocks war – neben Flüchtlingsthematik, stagnierenden Realeinkommen, steigender Ungleichheit, oder Terrorismus. Die Finanzkrise hat gewissermaßen den Nährboden für eine dauerhaftere Veränderung der politischen Struktur geschaffen. Das verlorene Vertrauen in Institutionen, Regierung oder Parteien konnte nicht wieder zurückgewonnen worden, auch weil die Populisten bewusst dieses Vertrauen kaputtmachen.

 KURIER: Ist dafür das Beispiel der „Alternative für Deutschland“ (AFD)  sinnbildlich? Die hat schließlich als Euro-kritische Partei begonnen und sich dann zur rechtsextremen Anti-Migrationspartei entwickelt. Wurde da von einer Welle auf die nächste weiter gesurft?

Es ist ganz typisch, dass populistische Parteien das Misstrauen gegenüber den Eliten nutzen und umkanalisieren - in ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem politischen System, gegenüber offenen Grenzen und einer offenen Gesellschaft. Aus der Wut auf Eliten wird also eine Wut auf Minderheiten und Ausländer gemacht. Deutschland ist wegen der schwerwiegenden historischen Dimension jedoch eine Ausnahme. Es galt bis dato als fast unmöglich, dass eine rechte Kraft mit solch aggressiver Rhetorik so große Prominenz gewinnt. Dieser Aufstieg war möglich, weil die AFD als „Professorenpartei“ unter einem bürgerlichen Deckmantel und mit der Euro-Kritik begonnen hat. Dies hat die Tür geöffnet für eine Bewegung, die heute offen ausländerfeindlich ist, sich von der extrem Rechten kaum noch abgrenzt, und in der das NS-Regime verharmlost wird. Die AFD hat viele andere populistische Parteien in Europa mittlerweile rechts überholt. Das ist sehr beunruhigend.

Wie lautet dabei eigentlich Ihre Definition von rechtsaußen? Zählt die FPÖ dazu?

Wir reden vom rechten Rand der Parteienlandschaft. Wir sind Ökonomen, das heißt, wir bewerten keine Parteien oder maßen uns an, neu zu definieren, was Populismus ist. Deshalb folgen wir da eng dem politologischen Konsens. Parteien wie die FPÖ gelten da gemeinhin als rechtspopulistisch, als Teil der sogenannten „neuen Rechten“.

Warum gewinnen nach Finanzkrisen nicht Linkspopulisten? Das sollte doch eine gute Zeit für Kapitalismuskritik sein.

Das hat uns auch überrascht. Seit 2008 gab es das zwar vereinzelt wie in Spanien und Griechenland, aber über die lange historische Sicht scheinen linke Politiken nach Finanz-Crashes unbeliebt zu sein. Rechte Parteien sind tendenziell Gewinner von Wirtschaftsschwächen. Es scheint, als fiele die Polarisierung über die kulturelle Dimension und die Anti-Ausländer-Rhetorik nach Finanzkrisen auf fruchtbaren Boden. Man sucht Sündenböcke für Verfehlungen, sei es im Aufkommen der Krise oder in der Nachkrisenphase – und diese Wut kanalisiert sich auf Dritte. Dieses Muster scheint immer wieder zu funktionieren.

 

Warum von Finanzkrisen immer Rechtspopulisten profitieren

Prof. Christoph Trebesch, Institut für Weltwirtschaft, Kiel

Letztlich tragen somit Finanzregulatoren, die Krisen verhindern sollten, große demokratiepolitische Verantwortung. Wo hat die Aufsicht nach der Krise funktioniert, wo gibt es Nachholbedarf?

Ein weites Feld. Es wurde viel gemacht, um den europäischen Rettungsrahmen robuster zu gestalten. Die strengeren Liquiditäts- und Eigenkapitalanforderungen sollten die Banken grundsätzlich robuster dastehen lassen. Aber es gibt auch Risiken, etwa im Schattenbankenbereich oder in China. Und jede Finanzkrise ist anders. Genau deshalb sind diese Krisen ja so ein großer Schock, weil sie keiner vorhersagen kann. Das macht es schwierig einzuschätzen, wie resilient das System wirklich ist.

Und wo wurden in der Krisenbewältigung Fehler gemacht?

Aus deutscher Perspektive war es ein Fehler, die Banken alleine durch Garantien und Kredite zu retten. Die Amerikaner haben das viel konsequenter gemacht.

Sie meinen, durch die direkte staatliche Beteiligung über Aktienpakete?

Genau. Mit dem Ergebnis, dass die US-Steuerzahler in der Bankenrettung sogar gewonnen haben, weil die Anteile mit Gewinn verkauft werden konnten. Es gibt in Deutschland allerdings kaum öffentliche Aufarbeitung zu dem Thema und eine unzureichende Kenntnis, was die Rettung von Hypo Real Estate etc. gekostet hat und warum. Die Amerikaner sind immer sehr schnell mit massiven Hilfspaketen zur Hand. In Deutschland gab es erstmal eine lange ordnungspolitische Debatte, ob der Staat überhaupt Banken übernehmen sollte, und das Resultat waren sehr viel höhere Kosten für die Steuerzahler. Auch in der Eurokrise gab es eher eine Salamitaktik mit immer neuen Rettungspaketen. Das war viel teurer, als wenn man gleich zu Anfang massiv interveniert hätte. Die EZB-Ankündigung (man „werde alles tun, was nötig ist“, um den Euro zu retten) hätte früher gesetzt werden sollen. Aber das ist heute leicht gesagt, es war damals politisch schwierig.
 
Was fehlt heute noch?

„Too big to fail“ (zum Scheitern zu groß) bleibt ein Thema, zumal die Banken eher noch größer geworden sind. Der Doom-Loop (Teufelskreis), dass Banken zu viele Staatspapiere ihres Heimatlandes halten, ist ebenfalls noch schwerwiegend. Auch hier erscheint die Lösung einfacher als sie ist, denn das kann auch Vorteile haben, weil es kurzfristig für Stabilität sorgt und in einer Krise mit weniger ausländischen Gläubigern verhandelt werden muss.

Wie kann man politisch verhindern, dass im Kampf gegen die Krise bereits die Grundlagen für die nächste Krise und damit politische Radikalisierung gelegt werden? Schließlich ist durch die Niedrigzinsen die soziale Ungleichheit noch gestiegen.

Jetzt, wo die Situation nicht mehr wirklich instabil ist, könnte man sich fragen, ob man nicht einige der Kürzungen wieder zurücknehmen sollte – etwa in der Sozialpolitik. Der soziale Wohnungsbau wurde in Deutschland in den letzten 10 bis 15 Jahren massiv abgebaut, viele Kommunen haben in Finanznöten Wohnungen verkauft. Gerade in den südlichen Krisenländern wurde massiv gekürzt, was zur sozialen Schieflage beigetragen hat. Ähnliches kann man in England erkennen, wo die Sparpolitik mit dazu beigetragen hat, dass es zum Brexit kam. Es gäbe also viel zu tun, um dem Nährboden für politische Unzufriedenheit entgegenzuwirken. Zwar wird jetzt oft darüber geredet, Globalisierungsverlierer zu kompensieren, aber passiert ist da bisher nicht viel. Das ist eher schöne Rhetorik.

Wo sehen Sie Bedarf für weitere Forschungen?

Mir als Ökonom ist in den letzten Jahren klar geworden, wie wichtig es ist, soziale und politische Aspekte im Detail anzuschauen. Woher kommt diese Wut? Was macht populistische Parteien so erfolgreich? Wie agieren Sie in Regierungsverantwortung? Warum werden sie wiedergewählt? Das haben die Sozialwissenschaften bisher nicht ausreichend beantwortet.

 

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