„Dadurch ist ein Teil der energieintensiven Produktion in Deutschland nicht mehr rentabel und dürfte es voraussichtlich auch nicht wieder werden“, teilt das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in seiner aktuellen Konjunkturprognose mit. „Damit geht Produktionspotenzial verloren, während Wertschöpfungsketten neu ausgerichtet werden müssen.“
Zwischen April und Juni wurde mit 18,5 Mrd. Kilowattstunden (kWh) so viel Strom eingeführt wie noch nie in einem Quartal seit Beginn der Zeitreihe 1991, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Nach Abzug der Exporte ergibt sich auch der höchste Importüberschuss für diese Zeitspanne von 7,1 Mrd. Kilowattstunden. Das entsprach etwa der Strommenge der drei deutschen Atommeiler im zweiten Quartal des Vorjahres.
Teure Finanzierungen
Neben dem Energiethema leidet laut dem IfW das industrielle Exportgeschäft zudem unter der derzeit globalen Investitionsschwäche. "Im Baubereich schlagen die erheblich verteuerten Finanzierungskonditionen zu Buche, die vor allem den Wohnungsbau weiter auf Talfahrt schicken dürften."
In der Industrie brachen im Juli die Aufträge mit minus 11,7 Prozent zum Vormonat so stark ein wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr. Einen stärkeren Rückgang gab es zuletzt zu Beginn der Pandemie im April 2020. Im Juni und im Mai hatte es dank Großaufträgen noch kräftige Zuwächse gegeben. Diese fielen nun weg. „Im Hurrastil der beiden Vormonate konnte es nicht weitergehen“, sagt der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. „Jetzt ist wieder Post-Corona-Normalität mit Wasser und Brot angesagt.“
Deutliche Kritik kommt vom Außenhandelsverband BGA. Nach Ansicht von Verbandspräsident Dirk Jandura ist Deutschland derzeit in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig genug. „Und unsere Politik ist es auch nicht.“ Jandura warf der Bundesregierung vor, sich zu wenig für den Abbau der Bürokratie einzusetzen. Zudem sei die deutsche und europäische Politik dabei, mit Zurückhaltung bei neuen Freihandelsabkommen die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu gefährden. „Kanada, Kenia, vielleicht Neuseeland und Chile. Das reicht im Zeitalter der Zeitenwende nicht aus“, sagte Jandura.
Bestenfalls Stagnation
Für den weiteren Jahresverlauf geht der BGA davon aus, dass der deutsche Außenhandel in seinem Umfang „bestenfalls“ stagnieren wird. Im dritten und vierten Quartal könnte es aber auch noch deutlich schlechter werden. Nach einer Verbandsumfrage rechnen mehr als 60 Prozent der Firmen mit einem rückläufigen (57 Prozent) oder stark rückläufigen (6) Außenhandel. „Nur gut jedes zwanzigste Unternehmen geht noch von einer besseren Entwicklung aus“, sagte Jandura.
Das Bruttoinlandsprodukt wird dem IfW zufolge heuer um 0,5 Prozent fallen und damit fast doppelt so stark wie noch im Frühsommer angenommen. Von den 20 Euro-Ländern dürften nur Irland und Estland ebenfalls schrumpfen, alle anderen dagegen mehr oder weniger wachsen (Österreich dürfte ein Mini-Plus erzielen). „Deutschland bekommt jetzt zu spüren, dass sein altes industrielles Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert“, sagt IfW-Präsident Moritz Schularick. Für nächstes Jahr wird zwar wieder ein Wachstum erwartet, das mit 1,3 Prozent aber geringer ausfallen soll als bisher mit 1,8 Prozent angenommen.
Präsident beschwichtigt
Bundesbankpräsident Joachim Nagel hält trotz der Konjunkturflaute nichts von einem Abgesang auf den Standort. „Wir sollten uns 'Made in Germany' nicht kleinreden lassen“, sagte er dem Handelsblatt. „Das deutsche Wirtschaftsmodell ist kein Auslaufmodell. Aber es braucht ein Update.“
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