Währungsverfall: Zarter Sonnenstrahl in der türkischen Krise

Währungsverfall: Zarter Sonnenstrahl in der türkischen Krise
Wie gehen österreichische Firmen in der Türkei damit um, dass die Währung nur noch halb so viel wert ist? Ein Lokalaugenschein.

War das der ersehnte Befreiungsschlag? Seit Monaten wurde die türkische Lira auf ständig neue Rekordtiefs geprügelt. Die Notenbank tat ... nichts. Auch der Donnerstag begann denkbar schlecht. Präsident Recep Tayyip Erdoğan feuerte heftige Breitseiten gegen die Währungshüter ab: Höhere Zinsen seien ein „Mittel zur Ausbeutung“. Und obendrein schuld an den rasant steigenden Preisen (was jeder ökonomischen Vernunft widerspricht).

Doch diesmal hielten die Notenbanker überraschend dagegen und hoben die Zinsen von 17,75 auf 24 Prozent an. Ein starkes Signal der Unabhängigkeit. Aber ob damit eine dauerhafte Trendwende eingeläutet ist?

Währungsverfall: Zarter Sonnenstrahl in der türkischen Krise

Arabische Touristen stürmen Istanbul. Leuchtballone sind der jüngste Trend

Preise steigen rasant

Wie lebt es sich mit einer Währung, die binnen weniger Monate fast die Hälfte ihres Wert zum Euro oder Dollar eingebüßt hat? In Istanbuls Touristenvierteln ist davon wenig zu spüren. Die schicken Fischrestaurants am Bosporus sind gesteckt voll – im September hat die Angelsaison im Schwarzen Meer begonnen. Die Lokale locken Gäste, indem sie den Fang des Tages ausbreiten. Das wäre gar nicht nötig: „Ich habe drei Lokale um einen Tisch angefragt, keine Chance“, sagt ein Manager.

Vor allem Araber stürmen die Luxusboutiqen der teuren Bagdat Caddesi. In der Fußgängerzone Istiklal Caddesi stechen drei Männer ins Auge. Furcht einflößend. Ihre Köpfe sind in groteske, dick wattierte Bandagen gewickelt, als wären sie in ein Gemetzel geraten. „Haartransplantation“, klärt der ortskundige Begleiter auf. Viele Touristen ließen sich in Istanbul das lichte Haupt aufforsten. Das ist billiger denn je.

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Zentraler Taksim-Platz: An jeder Ecke entstehen Moscheen

Die wahren Dramen spielen sich für die türkische Bevölkerung im Verborgenen ab. „Viele meiner Mitarbeiter, die seit Jahren in Griechenland urlauben, mussten heuer kurzfristig stornieren. Es wäre zu teuer geworden“, sagt ein Firmenchef. Das gilt auch für das Reiseziel Österreich: Die Zahl der ausgestellten Touristenvisa ist im August um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken.

Besonders die aufstrebende Mittelschicht tut sich schwer, den Lebensstandard zu halten. Es trifft auch jene, die nie ins Ausland fahren. Ob Fleisch, Getreide oder Benzin: Die Türkei ist extrem von Importen abhängig. „In der Boomphase wurden unzählige Einkaufszentren gebaut, aber kaum Produktionsbetriebe“, klagt ein Industrieboss. Deshalb sind viele Einfuhren nötig, die in harter Währung (Euro und Dollar) zu zahlen sind. Das lässt die Preise explodieren – die Inflation betrug im August 18 Prozent. Offiziell. „30 Prozent sind realistischer, wenn ich den Spritpreis ansehe“, sagt der Manager. Vor den Wahlen im Juni, die Erdoğan wohlweislich vorgezogen hatte, hatte der Staat die Preise kleingehalten.

Rot-weiß-roter Grüntee

Besonderes Pech hat ein junges Unternehmerpaar, das den österreichischen Grüntee-Drink „All i need“ zum Renner machen will. Ein Jahr lang rangen Julia Idziorek und ihr türkischer Partner Gurkan Kucuk mit der Bürokratie, bevor sie alle Genehmigungen in der Tasche hatten. Eine Handelskette mit 50 Outlets hat den Biodrink ins Regal genommen, Istanbuler In-Lokale begeisterten sich für den Wellness-Drink. Im Juni 2018 kamen die ersten Paletten aus Österreich an. Dann machte der Lira-Absturz einen Strich durch die Kalkulation. „Die Preise sind unser größtes Problem“, sagt Idziorek. Die gesundheitsbewusste Alternative ist doppelt so teuer wie Red Bull . Da wird es selbst für eine junge, kaufkräftige Zielgruppe eng. Jetzt hoffen die zwei auf die Sommersaison, auf die Partyszene von Izmir.

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"All i need"-Pioniere: Gurkan Kucuk, Julia Idziorek

 

Es wird schärfer gerechnet: Das spürt auch Ali Gökhan, charismatischer Kaffeehaus-Betreiber in Karaköy. Vor ein paar Jahren galt das alte Istanbuler Hafenviertel abends noch als No-Go-Zone: „Obdachlose und Junkies wurden hierher vertrieben“, erzählt Ali. Die Leute hätten in den Straßen ihr Geschäft verrichtet – „das Große“. Er räumte auf, so konnte „Karabatak“ (Kormoran) zum hippen Treff für Studenten und Reisevögel werden. Ali ist zugleich Generalimporteur für Meinl Kaffee, hält 10 Prozent an der Vertriebsfirma. An die 500 Abnehmer versorgt er mit der österreichischen Kaffeemarke – inklusive Hotels wie Hilton oder Starwood. Früher waren Premium-Sorten um 35 Euro pro Kilogramm der Renner, heute müssen es billigere Bohnen um 15 Euro auch tun. Auch sein eigenes Lokal musste am Vortag die Getränke- und Speisenpreise um 25 Prozent anheben. Drei von zehn Gästen machen seither nach einem Blick auf die Karte wieder kehrt.

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Ali Gökhan, Julius-Meinl-Importeur und Betreiber des hippen Karabatak-Cafe

  

Nachfrage gibt nach

Die Nachfrage lässt nach, das spürt auch Böhlerit. Der Hartmetall-Spezialist hat seit 1967 ein Werk in der Türkei, wo aktuell 135 Leute arbeiten. Die zu halten werde jetzt die große Herausforderung, sagt Cüneyt Dik. Zwei große Kunden – einer fertigt Traktoren, der andere Haushaltsgeräte – kündigen 250 bis 300 ihrer Arbeiter pro Werk, erzählt der im deutschen Münster aufgewachsene Manager. An Investitionen sei aktuell nicht zu denken. Die schwankenden Wechselkurse machten jede Finanzplanung zum „Lottospiel“.

Aber ermöglicht die günstige Lira nicht zumindest einen Exportboom? Kaum, denn fast alle Kosten bis auf die Löhne fielen in Euro an, sagt Dik. Und auf die Einnahmen müsse man noch länger warten. Dabei sind Zahlungsziele von 120 Tagen in der Türkei ohnehin die Regel. Die Firmen beschäftigen mittlerweile ganze Abteilungen zum Geldeintreiben.

Nicht alle sehen die Lage so dramatisch. „Wir haben eine Abschwächung, keine Krise“, sagt Ender Özatay, Chef des Schalungsspezialisten Doka. Er erinnert an 2000, als die Übernachtzinsen auf 2600 Prozent stiegen: „DAS war eine Krise.“ Die Tochter des Amstettener Bauriesen ist beim gigantischen Istanbuler Flughafen, der im Oktober eröffnet, höchst aktiv gewesen.

„Ja, wir profitieren“

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Serhat Görgün und Erdem Özogul, CEO und CFO Trenkwalder Türkiye

Einen Krisengewinner gibt es doch. „Ja, wir profitieren von der Lage“, gibt Trenkwalder-Türkei-Chef Serhat Görgün zu. Der Personaldienstleister betreibt Callcenter für europäische Kunden. Einnahmen in harten Euro, Lohnkosten in billiger Lira – ergibt hohe Gewinne. Die würden mit den Kunden und Beschäftigten geteilt, beteuert Görgün. „Wir sind selbst nicht so glücklich, denn auf Dauer wird das Geschäft schwieriger.“ Trenkwalder will türkische Software-Experten für Deutschland und Österreich programmieren lassen und so den Fachkräftemangel mildern.

Vertrauen und Kooperation – das ist es, was die Türkei jetzt brauche, sagte Christoph Leitl, Präsident der europäischen Wirtschaftskammern (Eurochambres), in Istanbul. Er spricht sich für eine Zusammenarbeit der türkischen Nationalbank mit der EZB aus. Die seit 1995 bestehende Zollunion mit der EU könnte auf Dienstleistungen ausgeweitet werden, so Leitl. Das ist freilich Zukunftsmusik. Fixiert ist indes ein mit fünf Millionen Euro dotiertes EU-Projekt, das bis 2020 die wirtschaftliche Zusammenarbeit forciert.

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Türkischer Wirtschaftskammerchef Rifat Hisarciklioglu, stv. Wirtschaftsminister, Eurochambres-Präsident Christoph Leitl

 

Die Lage der Türkei bleibt indes heikel. Im Oktober müssen hohe Auslandsschulden zurückgezahlt werden. Tritt das Öl-Embargo der USA gegen den Iran in Kraft, fällt der wichtigste Öllieferant aus. Und dann ist da noch der unberechenbare Präsident, der Ende September in Berlin empfangen wird. Da lauern viele Fettnäpfe und Gelegenheiten für Provokationen.

Die Reise wurde von Außenwirtschaft Austria organisiert.

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