Voest-Chef: Umweltpolitik gefährdet Millionen Jobs
Warum die Konkurrenzfähigkeit heimischer Unternehmen leidet und was er von den amtierenden Politikern hält, sagt Wolfgang Eder im KURIER. KURIER: Die voestalpine investiert zunehmend außerhalb Europas. Was zieht das Unternehmen nach Brasilien, in die Türkei, Saudi-Arabien, USA und Südafrika? Wolfgang Eder: Das ungleich stärkere Wachstum in diesen Ländern. Beim Börsegang 1995 arbeiteten nur 450 von insgesamt 15.000 Konzernmitarbeitern außerhalb Österreichs. Bis 2020 soll der Umsatz in- und außerhalb Europas 50:50 betragen. Wir werden auch in Europa bleiben, weil es der innovativste Markt ist. Die größten Wachstumschancen gibt es aber in Brasilien, in Südostasien, teilweise in China und in Nischensegmenten sogar in den USA, etwa im Eisenbahnbereich.Was spricht denn gegen den Standort Europa? Die überzogene Vorreiterrolle in der Umweltpolitik. Und beim Sozialsystem, das einen hohen Wert hat, das wir uns aber bald nicht mehr leisten können. Ein Thema ist auch die Inflexibilität der Arbeitszeitgesetzgebung.Europa übertreibt in diesen Bereichen? Ja, Europa übertreibt. Man kann natürlich wie der französische Präsidentschaftskandidat Hollande sagen: Dann kassieren wir halt bei den Reichen 75 Prozent. Aber wir werden in Zukunft keine Reichen mehr haben. Große Teile der europäischen Industrie sind wegen der ständig wachsenden Kostenbelastung kaum mehr konkurrenzfähig. Wir stehen im globalen Wettbewerb. Mit China können heimische Firmen im Lohnbereich ohnehin nie konkurrieren. Die Lohnkosten sind im Vergleich zu China gar nicht das Thema. Es geht da um Rohstoffe, um Steuern und um gesetzliche Auflagen. Allein die Wartung und Instandhaltung unserer Umwelteinrichtungen kostet den Konzern in Österreich 250 Millionen Euro jährlich. Schon hinter der früheren Grenze, in Tschechien, Polen oder der Slowakei, haben wir Konkurrenten, die diese 250 Millionen Euro bisher nicht zahlen müssen.
Ihre Gegenstrategie? Wir können natürlich Effizienz und Innovation noch steigern, aber da stößt man zunehmend an Grenzen. Das heißt: Wir können die Belastungen aus dem europäischen Gesellschafts- und Sozialsystem nur mehr sehr begrenzt abfedern. In Europa beginnt damit ein Prozess der Entindustrialisierung.Soll Österreich aus dem Kioto-Prozess aussteigen, das uns zur Senkung der Treibhausgase verpflichtet? Ich trete nicht für Raubbau an der Natur ein. Ganz im Gegenteil. Die voestalpine ist weltweit das Stahlunternehmen mit den besten Umweltstandards. Wenn die Auflagen aber so hoch sind, dass wir nicht mehr konkurrenzfähig sind, dann müssen umweltkritische Bereiche – dazu gehört die Flüssigphase von der Kokerei über Hochofen und Stahlwerk – woanders hin verlegt werden. Nur noch der Rest, in dem etwa ein Drittel der Mannschaft arbeitet, würde bleiben.
Die voestalpine-Mannschaft schrumpft hierzulande auf ein Drittel? Das habe ich so nicht gesagt. Wir versuchen dem entgegenzuwirken. Aber es stellt sich schon die Grundsatzfrage: Wie gescheit ist etwa diese extrem progressive Umweltpolitik, wenn Europa nur für zwölf Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist und seit Jahren niemand anderer folgt? Muss denn nicht irgendjemand Vorreiter sein? Aber es wird sich international niemand anschließen. Statt auf Extrempositionen zu verharren, wäre es vernünftiger, die anderen mit einem etwas niedrigeren, aber chancenreicheren Niveau ins Boot zu holen. Wenn die Stahlindustrie aus Europa abwandert, dann werden das in der Folge auch Schlüsselindustrien tun wie Auto, Maschinenbau, Energie. Es wird nicht funktionieren, sich aus China Stahl für europäische Autos zu holen. Das versuche ich auch in Brüssel zu kommunizieren: Es geht nicht nur um 450.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, sondern um weitere 25 Millionen in den nachgelagerten Industrien. Wenn die verschwinden, hat Europa ein Riesenproblem. Wohlstand und Sozialstandards würden sinken, soziale Spannungen zunehmen. Man kann nicht ewig betriebswirtschaftliche Grundsätze ignorieren.Manche Experten glauben, dass Österreich auf alternative Energiemodelle setzen sollte, auf green jobs. Das sagt man seit 20 Jahren, ich kann es nicht mehr hören. Die Wertschöpfung der gesamten Umweltindustrie liegt nach wie vor unter dem, was allein die voestalpine für Österreich schafft. Stellen wir uns doch der Realität!
Was raten Sie also? Bevor man Illusionen nachläuft, muss man die hypertrophen Staatsapparate in Europa angehen. Aber dazu fehlt der heutigen Politikergeneration der Mut. Hatte ERSTE-Group-Chef Treichl also recht, als er sagte, die österreichischen Politiker seien "zu feig und zu blöd"? Diese Schlagzeile gebe ich Ihnen nicht (lacht). Es macht mich aber nachdenklich, dass die Politik stärker als je zuvor nur in Wahlzyklen denkt. Niemand hat große, langfristige Ziele. Wo sind die europäischen Visionäre? Wer würde heute noch zu sagen wagen: "Grenzen nieder in Europa?" Es fehlt an Leadership, an Ideen und Umsetzungswillen – in der europäischen und auch in der österreichischen Politik.Gibt es starke wirtschaftsfeindliche Strömungen? Man ist sich der Bedeutung, die die Wirtschaft für das Funktionieren dieses Kontinents hat, heute weniger bewusst als vor 20 Jahren.
Und wer ist an dieser Entwicklung schuld? Das ist eine gesellschaftspolitische Entwicklung. Es könnte auch mit einer gewissen Saturiertheit zusammenhängen. Das Wort Leistung ist verpönt. In anderen Weltregionen ist das aber oberstes Ziel.Wo rekrutieren Sie Ihre Mitarbeiter? Wir haben – noch – keine Probleme, weder im Facharbeiterbereich noch bei Akademikern. Aber es wird enger, der Technikermangel ist mittlerweile chronisch.Tun Sie genug, um ältere Mitarbeiter im Betrieb zu halten? Es gab einmal das vielbeachtete Vorzeigemodell "Life" der voestalpine. Das ist nach wie vor ein Vorzeigemodell, auch wenn es nach zehn Jahren nicht mehr so im Mittelpunkt steht. Der Prozentsatz der über 60-jährigen Beschäftigten liegt bei uns über dem österreichischen Schnitt. Auch der Anteil der Invaliditätspensionisten ist um die Hälfte geringer – auch weil wir uns intensiv um einen weniger belastenden Schichtbetrieb bemühen. Auf der anderen Seite gibt es etwa einen Betriebskindergarten, weil wir uns auch um junge Menschen, um Familien verstärkt kümmern müssen.
Zur Person: Wolfgang Eder Karriere Der 60-jährige Jurist ist voestalpine-"Urgestein". Er trat bereits 1978 in den damals noch zu 100 Prozent verstaatlichten Stahlkonzern ein. 1991 wurde er Generalsekretär, in dieser Funktion war er 1995 auch Projektleiter für den Börsegang des Unternehmens. Ende 1995 rückte Eder in den Vorstand auf, seit April 2004 ist er Vorstandsvorsitzender. Eder ist verheiratet und hat zwei Kinder.Konzern Die seit 2003 vollständig privatisierte voestalpine setzte im Geschäftsjahr 2010/’11 mit weltweit 40.700 Mitarbeitern 10.9 Milliarden Euro um. Unterm Strich stand ein Gewinn nach Steuern in Höhe von 594,6 Millionen Euro. In den ersten neun Monaten des bis Ende März laufenden aktuellen Geschäftsjahres stieg der Umsatz um 12 Prozent auf 8,9 Milliarden Euro, das Betriebsergebnis auf 676 Millionen.
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