VIG-Chef Hartwig Löger: „Leistung muss positiv besetzt werden“

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Der CEO von Österreichs größtem Versicherungskonzern über Versäumnisse - er sieht aber auch Vorteile für Österreich

Wie beurteilen Sie als einer der wichtigsten Wirtschaftskapitäne dieses Landes den Standort?

Hartwig Löger: Österreich ist immer noch ein sehr guter und starker Standort, hat aber in den letzten Jahren deutlich an Qualität eingebüßt. Am stärksten sticht für mich die Produktivität heraus, die sich deutlich verschlechtert hat, auch in Relation zu anderen Ländern. Und man sollte das Thema Leistung wieder klarer definieren und positionieren. Ich habe als Politiker in einer Budgetrede gesagt: Leistung sollte etwas sein, das man erbringt und nicht bezieht. Jeder muss einen aktiven Beitrag liefern, Angestellte und Unternehmer. Nur wenn etwas erwirtschaftet wird, können daraus Leistungen für jene erbracht werden, die Ansprüche darauf haben.

Aber wird Leistung heute nicht vielfach negativ gesehen, als Auswuchs eines Maximal-Kapitalismus?

Das würde ich nicht sagen. Leistung muss im Kern positiv besetzt werden für die Gesellschaft, Leistung gibt Sinn und Motivation. Der Staat erbringt Leistungen für Gesundheit, Bildung und Sicherheit. Das kann nicht auf Druck aus dem Budget finanziert werden, sondern muss aus produktiver Arbeit erbracht werden. Stichwort Bankomat-Gedanke.

Der Staat als Bankomat?

Man kann nicht auf Dauer aus einem Bankomat Leistung beziehen, sondern braucht auch einen Beitrag, der das Konto dahinter befüllt.

Viele junge Menschen sagen heute, Leistung lohnt sich nicht. Ich werde mir, im Gegensatz zu meinen Eltern, ja doch nie eine Eigentumswohnung leisten können.

Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass Leistung ein positiver Beitrag zum Leben ist. Und gleichzeitig brauchen wir Rahmenbedingungen, die positiv motivieren und unterstützen.

Welche sind das?

Mehr Netto aus Brutto. Gleichzeitig sollte die Basis für Ansprüche aus dem sozialen Bereich kritisch geprüft werden, Stichwort Gießkanne. Also das Verhältnis prüfen zwischen aktiver Leistung und Netto versus Sozialleistung und der Möglichkeit, das Leben in anderer Form zu finanzieren.

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Hartwig Löger beim Interview im Ringturm mit Andrea Hodoschek

Das haben Sie jetzt sehr diplomatisch formuliert.

Lassen wir es mal so stehen.

Was wünschen Sie sich noch für den Standort?

Ich halte es für extrem wichtig, klare Schwerpunkte zu definieren. Wir sind zum Beispiel sehr stark im Bereich Erneuerbare Energie. Ebenso in der Medizintechnik und der Infrastruktur. Das sind positive Beispiele, wo unsere Unternehmen teilweise Weltmarktführer sind. Es wäre wichtig, diese Vorteile Österreichs besser zur Wirkung zu bringen. Es ist nett, wenn wir über Standort-Investitionen reden, aber wahllos investieren. Die aufgezählten Beispiele haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

Künstliche Intelligenz?

Natürlich muss in die Transformation investiert werden, in die Basis für die Infrastruktur, in Server-Standorte. Beispielhaft ist München, da wird nicht nur staatlich, sondern auch mit privatem Kapital eine Giga-City entworfen – Serverkapazitäten für die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz. Österreich sollte hier auch eine klare Position beziehen und Investitionen vorantreiben.

Also auch eine Giga-City in Österreich?

Die EU hat diesbezüglich Pläne für Standorte in Europa. Es ist wichtig, dass Österreich diese Chancen nutzt. Gleichzeitig braucht man natürlich auch noch Infrastruktur. Wir haben in Kleinstorten viele, viele Meter, wahrscheinlich Kilometer von Glasfaserkabeln verlegt. Andererseits haben wir an Wirtschafts- und Industriestandorten und Ballungszentren noch immer deutlich zu geringe Kapazität.

Ihr Konzern ist führend in Zentral- und Osteuropa (CEE). Wie sehen Sie Österreich im Vergleich zu CEE?

Die Öffnung Osteuropas war Anfang der 90er-Jahre eine Riesenchance, die unsere Gruppe auch erfolgreich genutzt hat. Wir sind in den Kernmärkten klare Nummer eins. Die Erweiterung der EU hat für einige Länder einen sehr positiven Effekt gebracht. Einige fehlen noch, die sich schon seit Jahren anstrengen, Mitglied zu werden.

Sehen Sie die Gefahr, dass Osteuropa Österreich als Standort überholen wird?

Viele Länder haben als Mitglieder der EU die Chance genutzt, ihre Produktivität deutlich zu verbessern. Es ist eine positive Chance für Österreich, durch gezielte Maßnahmen nicht nur mitzuhalten, sondern weiterhin auch eine wirtschaftliche Drehscheibe für die Weiterentwicklung dieser Märkte zu bleiben.

Aber werden wir nicht schon abgehängt, Stichwort Autoindustrie?

Die Industrie hat sich in diesen Ländern stark entwickelt, aber was den Technologie-Standort betrifft, ist Österreich immer noch aufgrund von Wissenschaft und Forschung ein Vorreiter.

Relevant für einen Standort ist auch ein Kapitalmarkt.

Österreich ist geprägt vom eher klassischen Sparverhalten. Hunderte Milliarden an Privatvermögen werden nicht für Kapitalmarkt und Wachstum eingesetzt. Und es wird notwendig sein, das Wissen über Finanz- und Risikosituationen zu fördern. Das beginnt in den Schulen, geht aber bis in die Erwachsenenbildung.

Über mangelndes Finanzwissen wird schon ewig diskutiert.

Aber in der Bildung ist es immer noch nicht angekommen.

Wie kann die Politik den Kapitalmarkt forcieren?

Es gibt eine lange Diskussion, die ich schon als Finanzminister geführt habe, über Erleichterungen bei den Bindefristen der KESt. Das wird meines Wissens auch in der Regierung diskutiert.

Bei diesem Budget?

Die Frage der Refinanzierung ist eine Herausforderung, aber man muss Anreize schaffen. Auch für die ergänzende private Vorsorge. Ein konkreter Wunsch ist die Halbierung der vierprozentigen Versicherungssteuer in der Lebensversicherung.

Sie ziehen gerade den größten Deal des VIG-Konzerns durch, die Übernahme der Nürnberger Versicherung. Was erwarten Sie sich?

Die Chance, ein seit vielen Jahren in Deutschland tätiges Unternehmen mit einer 140-jährigen Geschichte und einer sehr, sehr starken Marke zu erwerben. Wir sehen Deutschland trotz struktureller Schwierigkeiten auch in Zukunft als Trägerland der Europäischen Union. Für uns ist der Markt Deutschland mittel- und langfristig eine profitable Basis, um den weiteren Ausbau unseres Geschäfts in Zentral- und Osteuropa zu unterstützen und zu finanzieren. Wir sehen auch die Chance, mit der Nürnberger vor allem ihr starkes Know-how in der Risiko-Lebensversicherung in unseren anderen Märkten zu nutzen. Also nicht die klassische Kapitalanlage-Versicherung, sondern die Themen Biometrie, Ableben und Gesundheit. Nürnberger ist annähernd in derselben Größe wie die Wiener Städtische in Österreich, also schon ein zusätzliches starkes Standbein für unsere Gruppe in einem wichtigen und bedeutsamen Markt.

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