Als Wolfgang Anzengruber 2009 den Chefsessel im Verbund einnahm, rang die Welt mit den Folgen der schwersten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Heuer zu Jahresende verlässt er den Verbund – inmitten der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Ein Gespräch über falsche Prognosen, Krisen-Strategien und den durchaus gefährlichen Grenzgang der Energiewirtschaft zwischen dezentralen, erneuerbaren Energien und Versorgungssicherheit.
KURIER: Herr Anzengruber, mit welchen Erwartungen haben Sie 2009 beim Verbund begonnen?
Wolfgang Anzengruber: Meine Zeit hier ist begrenzt von zwei Krisen. Der Finanzkrise und der CoVid-19-Krise. Damals war das große Problem die Finanzierung. Es gab ja die Angst, dass Banken insolvent werden. Kredite sind teuer geworden, Ratings waren extrem wichtig.
Wie hat sich der Verbund damals finanziert?
Auch über Unternehmensanleihen, so wie jetzt. Aber die Zinsen waren bei 4,5 bis 4,8 Prozent, Jetzt, zwölf Jahre späten hat man den Eindruck, Geld kostet nichts mehr. Aber die Strompreise waren noch hoch.
Und man glaubte, die Preise steigen weiter?
Die Megawattstunde kostete 70 Euro. Und die Prognosen lauteten, die Preise gehen in Richtung 100 Euro. Mein erster Zugang war also: Du brauchst dir gar keine Sorgen machen. Das Geschäft läuft.
100 Euro? Jetzt ist er nicht mal ein Drittel so hoch. War Strom jemals so teuer?
Nein. Aber zuvor lief es wirklich gut und wir kauften die Innkraftwerke von der deutschen E.ON und auch die Geschäfte in der Türkei waren erfolgreich. Das Land war damals prosperierend, sehr liberal und hatte große Perspektiven. Dann kam die europäische Staatsschuldenkrise und vieles ging bergab, auch die Strompreise. Der fiel kurzfristig unter 20 Euro je Megawattstunde. Da beschlossen wir, aus den Auslandsgeschäften auszusteigen, und setzten intern Einsparungspläne um. Das hilft uns heute.
In diesen Krisen gab es aber auch schon die Ideen, dass die Wirtschaft „grüner“ werden müsse. Klimawandel war ein Thema. Warum ist seither wenig passiert?
Der Verbund hat damals beschlossen, nicht mehr in -emittierende Stromerzeugung zu investieren, Aber der Markt honorierte dies nicht. war viel zu billig. Auch E-Mobilität wurde diskutiert. Die Politik schwelgte in großen Zahlen. Das Ganze kommt aber erst jetzt in Schwung.
Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise?
Das muss so sein. Wir müssen Klima- und Wirtschaftsmaßnahmen verzahnen. Auch wenn die Strompreise jetzt in der Krisen wieder gefallen sind, müssen wir investieren. Wenn es uns nicht gelingt, das gesamte Wirtschaftssystem nachhaltiger zu gestalten, werden die nächsten Krisen noch schwieriger zu bewältigen sein als die aktuelle. In einer Klimakrise hilft ein Shutdown nicht.
Die E-Wirtschaft müsste viel investieren, erneuerbare Stromerzeugungsanlagen bauen. Von den Ausbauzielen bis 2030 redet man schon lange. Aber es passiert nichts. Warum?
Ich sehe dafür drei Gründe: Das Erneuerbaren Ausbau-Gesetz fehlt noch immer. Diesen Rahmen brauchen wir aber. Der zweite Grund ist, dass zwar gewisse Technologien wie die Fotovoltaik günstiger werden. Aber gleichzeitig fällt der Strompreis. Somit ist die Wirtschaftlichkeit der neuen Technologien schlechter geworden. Und drittens brauchen wir als zentrales Steuerungselement einen höheren -Preis. ist zu billig, um einen Anreiz zum Umstieg auf Erneuerbare zu bieten.
Zwölf Jahre
Der gebürtige Oberösterreicher Wolfgang Anzengruber (64) lenkte zwölf Jahre lang die Geschicke des Verbund, Österreichs größtem Stromerzeuger aus Wasserkraft. Ende 2020 übergibt er an seinen Nachfolger Michael Strugl.
Karriere
Maschinenbau, Antriebe, Motoren, Elektrotechnik faszinierten Anzengruber schon früh: Nach der HTL in Steyr, dem Studium an der TU Wien führten ihn seine Karriereschritte von Simmering-Graz-Pauker über ABB und Palfinger an die Verbund-Spitze.
Sind die Förderungen für Kohle oder Atom zu hoch?
Auch das. Diese Förderungen müssten weg. Wenn wir bei Atomkraftwerken Kostenwahrheit hätten, würde niemand eines bauen. Das würde dann die Kalkulation für die Erneuerbaren massiv verbessern.
Nun sind aber die Ausbaumöglichkeiten für Erneuerbare in Österreich sehr begrenzt. Der WWF sagt, für Wasserkraft gibt es kein Potenzial mehr ...
Wir sehen rund sieben Terawattstunden an Wasserkraftausbaupotenzial. Aber: Der Großteil davon ist nicht Neubau von Kraftwerken, sondern Effizienzsteigerung bei bestehenden Kraftwerken. Und wir werden mehr Speicherkraftwerke brauchen, um die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen.
Investitionen der E-Wirtschaft wären ein willkommenes Konjunkturprogramm. Wie viel will der Verbund investieren?
3,5 Milliarden Euro haben wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen. Darüber hinaus gibt es aber eine Projektpipeline, die wir derzeit wegen fehlender Rahmenbedingungen nicht in Angriff nehmen können. Bei der Fotovoltaik fehlen die Rahmenbedingungen für Freiflächen. Wir werden es mit den Dächern allein nicht schaffen. Wenn der Rahmen passt, könnten wir schon zwei, drei Milliarden zusätzlich investieren.
Wohin soll das Geld fließen?
In Wind- und Sonnenenergie, aber auch in Leitungen und in die Wasserstoff-Technologie. Denn wir werden nicht alles mit Pumpspeichern schaffen, Wasserstoff ist da ein guter Energieträger. Sonst wird sich das -Ziel nicht ausgehen.
Wird sich die Versorgungssicherheit mit diesem Modell ausgehen?
Der Nachteil der Erneuerbaren sind die großen Erzeugungsschwankungen. Daher müssen wir aufpassen, dass wir auf dem Weg zur erneuerbaren Stromwelt nicht kollabieren. Wenn die Versorgungssicherheit nicht mehr passt, können wir das alles vergessen.
Wie könnte das verhindert werden?
Mit Gaskraftwerken. Wir werden einige dezentrale kleinere Gaskraftwerke, so wie Flugzeugturbinen, brauchen, die rasch einspringen können, wenn die Erneuerbaren fehlen. Auch dafür brauchen wir eine gesetzliche Basis. Denn dafür brauche ich ein wirtschaftliches Modell, sonst baut diese keiner. Denn diese Klein-Gaskraftwerke würde ja nur warten, bis sie gebraucht werden.
Steuern wir geradewegs in ein Blackout?
Im Moment reichen die Kraftwerkskapazitäten noch. Aber wenn wir so weitermachen, wird bald zu wenig da sein. Es geht nicht nur um genügend Strommenge, wir müssen auch die Frequenz halten. Fotovoltaik kann das nicht. Kalorische Kraftwerke oder Wasserkraftwerke schon. Wir brauchen also noch 20, 30 Jahre fossile Einheiten, um die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Andere Möglichkeiten sehen Sie nicht?
Wasserstoff. Dieses Gas wird einen wichtigen Beitrag leisten. Aber bis zur wirtschaftlichen Umsetzung dauert das noch Jahre. Aber es ist eine Preisfrage: Wenn das nicht wirtschaftlich ist, wird nichts passieren.
Fazit: Strom muss viel teurer werden?
Ich sehe eher, dass der Preis steigen muss. Das ist der Motor der Energiewende.
Damit wird aber auch der Strom teurer ...
Ganz klar, das macht den Strom unmittelbar teurer. Aber Wind oder Wasserkraft, die ohne -Emissionen Strom erzeugen, würden durch den höheren -Preis profitieren. Der relative Wettbewerbsvorteil ist das Thema. Und wir kommen in Österreich schon in eine spezielle Situation. Deutschland schaltet im Jahr 2022 die letzten Atomkraftwerke des Landes ab. Und ich wüsste nicht viele Kraftwerke, die neu gebaut werden.
Also sind wir doch mit einer zunehmenden Blackout-Gefahr konfrontiert?
Österreich importiert zunehmend Strom aus dem Ausland. Ich glaube, dass es nicht zu großflächigen Ausfällen kommt, eher zu regionalen. Wenn das passiert, brauchen wir im besten Fall zehn bis zwölf Stunden, bis wir wieder das System hochfahren. Dafür brauchen wir auch die Speicherkraftwerke. Denn sie können ohne Strom starten. Ein Kohle- oder Gaskraftwerk kann das nicht.
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