Ob bei Billa, Lidl, Spar, Hofer oder Ikea – überall steht derzeit „Veganuary“ auf dem Kalender. Der „vegane Jänner“ wurde erstmals 2014 in Großbritannien zelebriert. Bei der einmonatigen Challenge geht es darum, bewusst auf Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Käse und Co. zu verzichten. Und das scheint zu funktionieren: Seit zehn Jahren verdoppelt sich die Zahl der Teilnehmenden Jahr für Jahr.
In Österreich gibt es derzeit laut dem Smart Protein Report 2023 fünf Prozent vegan lebende Menschen. 2021 waren es noch drei Prozent. Flexitarier, also jene, die sich überwiegend vegetarisch ernähren, aber auch gelegentlich hochwertiges Bio-Fleisch essen, sind sogar 37 Prozent unserer Landsleute.
Diese stark wachsende Gruppe ist für den Lebensmittelhandel besonders spannend, weiß Retail-Expertin Tanja Hacker, die früher Einkaufsleiterin bei Lidl International war.
„Die Gruppe von Menschen, die sich für vegetarische und vegane Produkte interessieren, wird immer größer", so Hacker. Und der Handel reagiert. „Allein von 2021 auf 2022 hatten wir einen Anstieg von zehn Prozent bei den Fleischersatzprodukten, fünf Prozent bei den alternativen Milchprodukten.“ Der Hype der veganen Produkte, sagt sie, „ist gekommen, um zu bleiben, und wird sich auch die nächsten Jahre nicht nur stabilisieren, sondern noch wesentlich stärker werden.“
Einer, der schon auf Fleischersatzprodukte gesetzt hat, als es noch kein Trend war, ist Johann Tanzer. 2015 gründete er im niederösterreichischen St. Georgen die Firma VeggieMeat. Das Ziel: hochwertige, pflanzliche Fleischalternativen auf Erbsenbasis herzustellen. Der gelernte Molkerei-Wirtschafter etablierte die hauseigene Marke „vegini“. Die ersten Produkte: Geschnetzeltes und Pulled Chunks aus Erbsenprotein. „2015 gab es für Fleisch-Verweigerer nur Tofu“, erinnert sich Tanzer.
Dennoch dauerte es zwei Jahre, bis seine Produkte bei Spar und Rewe gelistet wurden, ein Jahr später zogen deutsche Supermärkte nach. Als 2019 auch andere Firmen auf den Zug aufspringen, musste sich Tanzer eingestehen, dass die Nische zu klein wurde. Auch er ließ sich daher von den Flexitariern inspirieren: „Viele, die zwei bis dreimal die Woche auf Fleisch verzichten, wollen aber nicht auf den typischen Fleischgeschmack verzichten. Das hat uns auf die Idee gebracht, fleischähnliche Produkte zu produzieren.“
Fleischersatzprodukte
Vom veganen Schnitzel aus Kichererbsen- und Erbsenprotein bis hin zu veganen Fischstäbchen auf Reisbasis findet man bei vegini so ziemlich alles, was das Pflanzen-Herz begehrt. Dem Vorwurf, dass Fleischersatzprodukte häufig mit bedenklichen Zusatzstoffen daherkommen, entgegnet Tanzer gelassen: „Wir verwenden Erbsenprotein aus Europa, Erbsenstärke, Kartoffelstärke, Salz, Wasser und verschiedene Gewürze – das war’s.“ Rund 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt sein Betrieb mittlerweile. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz des Unternehmens bei über 10 Millionen Euro.
Wolfgang Richter, Geschäftsführer bei RegioData Research, sieht den aktuellen Hype um Fleischersatzprodukte dennoch skeptisch: „Dem Bereich, Produkte nachzubauen, die wie Fleisch schmecken, aber keines sind, dem würde ich nicht allzu viel Potenzial einräumen.“
Umsatz vegane Produkte Im Jahr 2020 lag der Umsatz mit pflanzenbasierten Lebensmitteln weltweit bei 29,4 Milliarden US-Dollar (Rund 27,01 Mrd. Euro). Laut Prognose soll der Marktwert im Jahr 2030 auf 161,9 Mrd. US-Dollar ansteigen.
V-Label Das V-Label ist ein einheitliches Gütesiegel der Europäischen Vegetarier-Union zur Kennzeichnung von vegetarischen und veganen Produkten. Derzeit sind in Österreich über 7.500 Produkte (Stand Frühjahr 2022) durch die Vegane Gesellschaft mit dem V-Label lizenziert.
Fleischersatzprodukte Sechs von zehn Österreichern haben bereits einmal Fleischersatzprodukte probiert. 14 Prozent konsumieren diese mehrmals pro Woche, rund 31 Prozent monatlich – am häufigsten die 18- bis 29-jährigen Städter. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von marketagent im Auftrag von foodora. Erbsen sind übrigens die beliebteste Basis von Fleischersatzprodukten (36 Prozent), gefolgt von Pilzen (33,1 Prozent) und Soja (29,7 Prozent).
42 Prozent der Österreicher wollen laut EU Smart Protein Report den Fleischkonsum reduzieren
Richter sieht eher den Markt für die „von Natur aus“ veganen Produkte wie Obst, Gemüse und bestimmte Brot- und Backwaren wachsen: „Gesunde Lebensmittel, dafür geben die Leute auch mehr Geld aus.“
Carina Rahimi-Pirngruber setzt mit ihrer Firma Nussyy auf genau diese Strategie. Die Idee für ihre veganen, laktose- und glutenfreien Produkte wurde aus einer Lebensmittelunverträglichkeit heraus geboren. In ihrer eigenen Küche fing sie vor rund zehn Jahren an, aus Nüssen, Gewürzen und Fruchtresten gesunde Müsliriegel herzustellen, die im Freundes- und Bekanntenkreis gut ankamen. Bei einer Charity-Veranstaltung, wo sie ihre Snacks verteilte, wurde ein Produktmanager von Spar auf sie aufmerksam.
Supermarkt-Riese
Im Rahmen der Initiative „Young&Urban“ nahm der Supermarkt-Riese sie unter seine Fittiche. Für die junge Geschäftsführerin, die eigentlich aus dem Grafikdesign kommt, eine große Chance – die aber mit kontinuierlicher Arbeit verbunden ist, erinnert sie sich: „Viele verlieren ihre Listung im Einzelhandel wieder, weil ihre Produkte nicht gesehen werden. Man muss immer dranbleiben.“
Das bedeutete für die Jungunternehmerin, sich auch einmal von eigenen Ideen und Konzepten zu lösen und den Handelsexperten zu vertrauen. „Anfangs wollte ich ein unauffälliges, weißes Design. Bei Spar haben sie mir davon aber abgeraten, weil bunte Verpackungen viel mehr hervorstechen“, erzählt sie. Mittlerweile umfasst das Sortiment von Nussyy rund 100 Produkte – von veganen Müsliriegeln bis hin zu Smoothies und Haferdrinks. 2023 hat das Unternehmen mit derzeit sechs Mitarbeitern rund 7 Millionen Euro Umsatz gemacht.
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