US-Notenbank lässt Leitzinsen weiter nahe Nullpunkt
Fast auf den Tag genau sieben Jahre ist es her, dass die US-Investmentbank Lehman zusammenkrachte und die globale Finanz- und anschließend Wirtschaftswelt in ihren Grundfesten erschütterte. Sieben Jahre steuerte die US-Notenbank Fed im Krisenmodus dahin – mit Zinsen nahe der Nulllinie und immensen Wertpapier-Aufkaufprogrammen.
Die Zinsen bleiben mit 0 bis 0,25 Prozent auch weiterhin an der Null-Linie. Die weltweite wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung , vor allem die Schwäche Chinas, könnte das Wachstum in den USA dämpfen, begründete Fed-Chefin Janet Yellen die Entscheidung. Der Fed-Entscheid schickte den Dollar auf Talfahrt, der Euro stieg auf 1,1420 Dollar. Die US-Börsen reagierten kaum.
Für eine Erhöhung der US-Leitzinsen – die viele Beobachter jetzt erst im Dezember erwarten – gibt es nach wie vor viele Argumente:
Konjunktur Der Wirtschaft der USA geht es vergleichsweise gut. Von Wachstumsraten von 2,4 Prozent heuer und 2,6 Prozent im kommenden Jahr (laut OECD-Ausblick) können andere Industrieländer nur träumen.
Arbeitsmarkt Bei einer Arbeitslosenrate von zuletzt 5,1 Prozent kann von Krise keine Rede mehr sein.
Aktienmarkt Viel des billigen Notenbankgeldes ist auch an die Börsen geflossen. Ohne baldige Zinserhöhung könnten sich hier Kursblasen bilden.
Es gibt auch etliche Argumente gegen höhere Zinsen:
Inflation Wie die Europäische Zentralbank hat auch die Fed zum Ziel, die Teuerungsrate nahe unter zwei Prozent zu bringen. Auch durch die Preisstürze bei vielen Rohstoffen wie etwa Erdöl ist die Inflationsrate aber weit unter die Zwei-Prozent-Marke gerutscht.
Lohnentwicklung Es wurden zwar viele neue Jobs geschaffen, die Löhne kommen aber kaum vom Fleck. Mit ein Grund dafür ist die Digitalisierung der Arbeitswelt. Höhere Zinsen könnten Unternehmen daran hindern, zu investieren und weitere Jobs zu schaffen, wird befürchtet.
Höherer Dollar Wird die US-Währung durch höhere Zinsen attraktiver, könnte viel Investorengeld Richtung USA umgelenkt werden – etwa aus Schwellenländern, die ohnehin unter Druck stehen.
"Die Fed hat es definitiv schwer", sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria. Auf keinen Fall wolle Yellen die Finanzmärkte verschrecken. Auf der anderen Seite aber wolle sie auch vermeiden, dass sich der Zeitdruck weiter aufbaue. Eine Anhebung im Dezember hält Rosen-Philipp für "extrem unwahrscheinlich". Bei dünnem Aktienhandel würden dann Neuigkeiten für extreme Ausschläge sorgen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat offiziell nur einen Auftrag: auf Preisstabilität zu achten. Die US-Notenbank Federal Reserve, kurz Fed, hat ein duales Mandat: Sie muss auf Preisstabilität achten UND auf maximale Beschäftigung. Seit Donnerstagabend müsste man ergänzen: und auf alles, was irgendwo in der Welt passiert.
Die Begründung, warum US-Notenbankchefin Janet Yellen das Zinstief weiterhin beibehält ist nämlich alles andere als überzeugend. Indirekt räumt die Fed sogar ein, dass die Börsenturbulenzen in China und die Sorgen, dass darunter die globale Wirtschaft leiden könnte, sie davon abgebracht haben, die Zinsen anzuheben.
Die US-Arbeitslosigkeit ist nämlich tief wie lange nicht, der Inflationspfad ist zwar noch weit unter der Zielmarke von 2 Prozent - vor allem wegen des Ölpreises. Aber auf mittlere Sicht (der entscheidende Zeitraum) würden diese 2 Prozent erreicht. Die Fed erwähnt mit keinem Wort Deflationssorgen. Der Anlass für das Nichthandeln waren also "finanzielle und internationale Entwicklungen". Die Fed werde "Entwicklungen im Ausland beachten".
Das ist vor allem aus einem Grund bedenklich: Das wertvollste Instrument einer Notenbank ist die Glaubwürdigkeit. Sie kann mit Ankündigungen, nur mit Worten also, die Erwartungen des Marktes steuern und beeinflussen - aber nur, wenn ihr geglaubt wird. Janet Yellen wird es künftig schwer haben, dass ihr noch geglaubt wird.
Forward misguidance
Die Fed hat selbst das Instrument der "forward guidance" eingeführt. Das heißt, sie wollte den Märkten möglichst klare Hinweise darauf geben, wie sich ihre Geldpolitik entwickelt und woran sie sich orientiert - und zwar basierend auf harten Fakten. Allerdings wurden diese Ziele so oft geändert, umdefiniert oder neu gesteckt, dass diese Orientierungshilfe praktisch zum Krenreiben geworden ist. Ein Wegweiser, der im Zweimonatstakt umgesteckt wird, ist sinnlos.
Es stimmt schon: Die Finanzkrise hat die Notenbank rund um den Globus gezwungen, Experimente zu wagen, die zuvor undenkbar gewesen wären. Zu groß war die Furcht, aus Untätigkeit die Fehler der Großen Depression zu wiederholen, wo die restriktive Geldpolitik aus einer Krise eine Katastrophe gemacht hat. Deshalb wurden alle Schleusen geöffnet: die Zinsen auf Null gesenkt, Währungsaustausch-Programme der Banken untereinander gestartet, unbegrenzte Kreditlinien für die Banken und gewaltige Wertpapierankaufprogramme beschlossen.
Nur: Irgendwann muss damit wieder Schluss sein - idealerweise bevor man sich damit die nächste Krise einhandelt. Denn zur Erinnerung: Die Basis für die Subprime-Immobilien-, Finanz- und Verschuldungskrise hat Yellen-Vorvorgänger Alan Greenspan mit seinen ultratiefen Zinsen gelegt. Jetzt droht sich das zu wiederholen, wenn die Fed weiterhin Angst vor der Courage hat.
Börsenreaktion
Die unmittelbare Reaktion der US-Börsen nach der Bekanntgabe war ein deutliches Absacken. Das ist ungewöhnlich, denn der Nullzinssatz sollte die Börsenkurse eigentlich anschieben. Offenbar ist die Wahrnehmung: Wenn die Fed nicht handelt, dann muss sie sich ernsthafte Sorgen um die Entwicklung der globalen Wirtschaft machen.
Das eigentlich Besorgnis erregende: Die US-Wirtschaft präsentierte sich in den abgelaufenen Monaten konträr zu jener der Eurozone, nämlich äußerst stabil und solide. Wenn die US-Notenbank es jetzt nicht wagt, die Zinswende zumindest mit einem ersten, ohnehin nur symbolischen Minischritt zu starten, wie soll dann jemals eine Normalisierung der Zinsen zustandekommen?
Oder will man warten, bis die nächste Blase - Börsen, Anleihen, Immobilien, wo immer - platzt? Was dann, wenn der Zinssatz immer noch bei Null grundelt? Alles keine sehr ermutigenden Aussichten. Ein höherer Zinssatz würde zwar theoretisch die Konjunktur dämpfen und den Dollar stärken, es wäre aber auch als Zeichen der Stärke und Kalkulierbarkeit der US-Geldpolitik verstanden worden.
Jetzt geht die Unsicherheit weiter: Wann wird Yellen die Zinsen anheben - im Oktober? Nein, waren Fed-Kenner bisher überzeugt: Da ist keine Pressekonferenz angesetzt und Yellen würde einen Zinsschritt doch wohl erklären wollen. Doch möglich, sagt Yellen jetzt - die Konferenz ließe sich kurzfristig einberufen.
Oder im Dezember, vor dem Weihnachtsgeschäft? Oder doch erst irgendwann 2016? Und wenn ja, wie rasch wird es dann gehen (müssen)? Fragen über Fragen, die die Märkte verunsichern und damit auch destabilisieren werden. Denn nichts ist so schädlich wie Ungewissheit.
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