Seit Jahresanfang sind in den USA für die Zulassung eines neuen Medikaments Tierversuche nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Es obliegt ab sofort den Pharmaherstellern, ob sie neue Wirkstoffe und Therapien zunächst am Tier erproben oder neue, alternative Methoden dafür einsetzen.
An Ersatzmethoden für Tierversuchen wird weltweit geforscht. Zehn Alternativmethoden sind in der EU bereits zugelassen. In Österreich entwickelt Peter Ertl und seine Cell-Chip-Forschungsgruppe vom Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien Biochips (Organs-on-a-Chip), in denen sich humane Minigewebe unterschiedlicher Größen gleichzeitig erzeugen lassen. Im Biochip kann getestet werden, wie die Zellen einer bestimmten Person auf unterschiedliche Medikamente reagieren.
KURIER:Bis wann, glauben Sie, können Tierversuche gänzlich durch alternative Methoden, wie Sie sie entwickeln, ersetzt werden?
Peter Ertl: Die ehrliche Antwort ist: Nie. Tierversuche werden in der medizinischen Ausbildung, für das Testen von neuen chirurgischen Methoden und in der Gewebe-Regenerationsforschung auch in Zukunft unverzichtbar sein. Dies betrifft jedoch nur einen geringen Anteil der weit über zehn Millionen alljährlichen in der EU durchgeführten Tierversuche.
In welchen Bereichen wird es rascher gehen, wo wird es länger dauern?
Es ist sehr wohl möglich, mit alternativen Methoden, wie etwa humane Minigewebe, Tierversuche in den kommenden Jahren zu ersetzen. Rasch wird es voraussichtlich in den vorklinischen Studien gehen, in denen etwa Nebenwirkungen von Medikamenten getestet werden.
Ein weiterer Bereich ist die Qualitätskontrolle von Medikamenten und Impfstoffen. Wo es etwas länger dauern könnte, ist die Toxikologie, in der Chemikalien und bioaktive Substanzen auf deren Effekte auf den Organismus getestet werden müssen. Hier könnten Alternativmethoden aber komplementär eingesetzt werden, was zu einer Reduktion von Tierversuchen führen würde.
Das Tierversuchsgesetz 2012 (TVG 2012) definiert einen Tierversuch als „jede Verwendung von Tieren zu Versuchs-, Ausbildungs- oder anderen wissenschaftlichen Zwecken […], die bei den Tieren Schmerzen, Leiden, Ängste oder dauerhafte Schäden […] verursachen kann“. Ein Tierversuch liegt bereits dann vor, wenn die Beeinträchtigungen, die den Tieren voraussichtlich zugefügt werden, zumindest jener Belastung entsprechen, die durch einen Kanüleneinstich (Nadeleinstich) verursacht werden.
Tierversuche dürfen nur nach vorheriger Genehmigung zu bestimmten, im Gesetz angeführten Zwecken. Dazu zählen insbesondere die Grundlagenforschung, die angewandte Forschung (Human- und Veterinärmedizin) sowie die Prüfung von Arzneimitteln oder Chemikalien. Tierversuche zur Testung von Kosmetika sind verboten.
Braucht es noch bessere Rahmenbedingungen?
Wichtige Schritte wurden bereits von den europäischen Zulassungsbehörden, Förder- und Gesetzgebern in den letzten Jahren gesetzt, was zur Entwicklung vieler innovativer Produkte geführt hat. Die EU setzt auf Harmonisierung und Standardisierung. Es gibt daher in Europa, auch in Österreich, eine Reihe von Start-ups, die sich auf den Ersatz von Tierversuchen spezialisiert haben.
Vor gut 10 Jahren gab es vielleicht eine Handvoll Forschungsgruppen in den USA, Deutschland, Niederlande und Österreich, die Vorreiter in der Entwicklung von Alternativmethoden waren. In den letzten Jahren sind besonders die USA und Deutschland führend, wobei die EU nicht weit hinter den USA steht.
Entscheidend sind auch die Kosten. Sind die Alternativen günstiger als Tierversuche?
Keine leichte Frage. Streng betrachtet ist die Entwicklung von Alternativen nicht wirklich billiger als ein etabliertes Mausmodel, jedoch ist dies der falsche Denkansatz. Wenn man es schafft, die Ausfallrate von neuen Medikamenten unter der Verwendung von humanen Gewebemodellen zu senken, wird die gesamte Entwicklungskette des Medikamentes viel günstiger.
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