Was Europas GE-Chef an Österreich erstaunt

Der KURIER traf GE-Europa-Chef Stephan Reimelt anlässlich des Wiener Strategieforums zum Interview
TTIP: Nicht die Großkonzerne, der Mittelstand würde profitieren, sagt GE-Europa-Chef Stephan Reimelt.

Von Flugzeug-, Gas- und Windturbinen über Ölbohrtechnik bis zu Lokomotiven und Medizingerät: GE (General Electric), gegründet 1892 von US-Erfinderlegende Thomas Edison, ist einer der größten Mischkonzerne der Welt. Anlässlich des hochkarätig besetzten Wiener Strategieforums an der Wirtschaftsuniversität Wien sprach der KURIER mit dem neuen GE-Europa-Chef Stephan Reimelt: unter anderem über die digitalen Umwälzungen in der Industrie, das umstrittene EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP und die deutsche Energiewende.

KURIER: Woran würde Thomas Edison heute forschen?

Stephan Reimelt: Gute Frage. In irgendeiner Form würde er an der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die Industrie arbeiten. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem, was wir Industrial Internet nennen. Edisons Ansatz generell war: Schauen, was die Welt braucht, und es dann erfinden. Diese DNA ist bei GE noch sehr stark.

Derzeit wird viel über Industrie 4.0 diskutiert. Ist das mit Digitalisierung gemeint?

Nicht ganz, Smart Factorys kennen wir seit den 1980ern, das ist eine Frage der Automatisierungstechnik. Digitalisierung heißt, wir müssen Fachwissen mit enormen Datenmengen zu neuen Geschäftsmodellen kombinieren. Das wird für Europas Mittelstand die große Herausforderung. Leider sehe ich eine defensive Haltung: „Das können wir nicht, das müssen andere tun.“ Warum? Ich als Maschinenbauer kann heute genau die App schreiben, die ich brauche. Die Software Plattformen für App Developer gibt es.

Das ist mir zu wenig greifbar. Wie würde es das GE-Geschäft verändern?

Das tut es bereits. Wenn ich heute eine Windturbine verkaufe, dann liefere ich die Garantie, dass sie zu 97 Prozent verfügbar ist. Das kann ich nur, weil ich weiß, wann eine Flaute kommt, in die ich das fällige Wartungsintervall lege.

Das sind die Dienstleistungen, die sie mitverkaufen?

Genau. Ich verkaufe keine Maschine, sondern Strom. Wir müssen lernen: Der größte Hotelbetrieb hat kein Hotel mehr. AirBnB macht die meisten Reservierungen, weil es die Daten hat. Das größte Taxiunternehmen der Welt (Uber, Anm.) hat kein Taxi mehr. Apple hat die wenigsten Apps selbst geschrieben, es hat die Programmier Plattform für App Developer zur Verfügung gestellt, die alle nutzen.

Wie legt man das auf einen Industriebetrieb um?

Wir haben die Entwicklung einer Aufhängung für unsere Flugzeugturbine um 7500 Dollar weltweit ausgeschrieben. 500 Menschen haben sich online beworben. Gewonnen hat ein 18jähriger Junge aus Indonesien. Die Gewichtseinsparung war 82 Prozent. Das nennen wir global brain, den Zugang zur globalen Kreativität.

Die Digitalisierung und Industrie 4.0 nähren große Jobsorgen. Zu Recht?

Was Europas GE-Chef an Österreich erstaunt
Interview mit Stephan Reimelt, Chef der europäischen Energiesparte von General Electrics. Wien am 19.05.2015.
Bis 2030 werden neun von zehn Jobs eine digitale Ausbildung benötigen. Wir müssen die Berufs- und Ausbildungskonzepte entwickeln und rasch umsetzen, dass wir in Europa die richtige Expertise auf dem Markt haben, wenn wir sie benötigen.

Was tut GE? Oder ist der indonesische Student die Lösung?

Das ist eine Alternative. Wir sind ins Silicon Valley gegangen, weil es dort einen Typus Menschen gibt, der nicht für eine Firma, sondern an Herausforderungen arbeiten will. Wir brauchen Cluster, die sich mit Softwareentwicklung auf höchstem Niveau beschäftigen.

Ist da der US-Vorsprung nicht ohnehin schon uneinholbar?

Nein, aber wir dürfen keine Mauer rund um Europa bauen. Es gibt das Denken: Wir müssen die Googles und Apples der Welt fernhalten. Falscher Ansatz. Wir müssen anerkennen: Eine Region und eine Universität (Stanford) schreiben Software, die die Welt verändert hat. Das Consumer Internet ist für uns in Europa verpasst worden. Dafür sind wir im Maschinenbau weiter. Wir haben Engineering-Cluster, wo die besten Köpfe sitzen.

In Österreich wird über eine Maschinensteuer diskutiert. Ihre Meinung dazu?

Ich bin kein Politiker. Aber fördern wir doch erst einmal Sachen, und regulieren erst später, wenn nötig.

GE-Chef Jeff Immelt hat Europa kürzlich bei einer Rede in Brüssel zwar wohlwollend, aber letztlich vernichtend kritisiert: Zu fragmentiert, zu kompliziert, zu teuer, zu wenig innovativ. Bleibt noch was Positives?

Aber ja! Europa ist ein sehr interessantes Gebilde und extrem wichtig für unser Geschäft. Wir haben gelernt, uns in diesen fragmentierten Märkten zu bewegen und machen beträchtliches Geschäft mit 90.000 europäischen Mitarbeitern. Der Wettbewerb in Europa hält uns innovativ.

Haben wir diesen Wettbewerb in Europa überhaupt?

Den haben wir. Bereiche wie Healthcare und Energie sind an manchen Stellen zu reglementiert. Alle großen Mitbewerber sind in Europa vor Ort.

Welche Hausaufgaben hat Österreich zu lösen?

Wir sind erstaunt, dass Österreich bei Themen wie TTIP so negativ denkt. Österreichs Mittelstand würde am meisten von dem Abkommen profitieren.

Das müssen Sie sagen: Großer Konzern, großer Profiteur.

Am meisten profitiert der Mittelstand. GE hat doch schon in jedem Land eine Rechts- und Finanzabteilung. Der Mittelstand hat aber kein Lobbybüro in Washington oder eine Rechtsabteilung in San Francisco. Für den Mittelstand ist TTIP das wichtigste Konjunkturprogramm der nächsten Jahrzehnte.

Warum dann der große Widerstand?

Was Europas GE-Chef an Österreich erstaunt
German farmers and consumer rights activists perform as the take part in a march to protest against the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), mass husbandry and genetic engineering in front of the Reichtsgas building Berlin, January 17, 2015. REUTERS/Fabrizio Bensch (GERMANY - Tags: AGRICULTURE CIVIL UNREST POLITICS)
TTIP wird von Globalisierungsgegnern zur Stimmungsmache und für Antiamerikanismus benutzt. Mit dem Handelsthema hat das gar nichts mehr zu tun, die Beispiele sind teilweise unrealistisch. Es geht nicht um Chlorhühner, sondern darum, in einen der größten Märkte exportieren zu können. Wir und alle Großen können das. Das Wegfallen der Handelshemmnisse ist vor allem ein Mittelstandsthema.

Auch die TTIP-Verhandler haben viel Porzellan zerschlagen. Muss die Geheimniskrämerei sein?

Das stimmt doch teilweise gar nicht. Sie können sich im Internet jedes TTIP-Dokument anschauen. Leider ist die Nachfrage nach dieser Information bislang sehr gering.

Das sind keine Dokumente, sondern nur Zusammenfassungen (die EU-Infos zu TTIP finden Sie hier).

Mehr ist es ja auch noch nicht. Ich bin vor drei Wochen beim Verhandlungsteam der USA in Washington gewesen. Die haben mir gesagt: Wir hätten von den Europäern gerne ein einheitliches Einfuhrformular, ob für Athen, Rotterdam oder Hamburg - das ist für unseren Mittelstand wichtig. Die Antwort war: Das fällt in nationale Zuständigkeiten, das können wir nicht besprechen. Da muss man sensibler werden, auf beiden Seiten.

Die Konsumenten machen sich aber Sorgen um Europas höhere Standards. Zu Recht?

Glauben Sie, dass für Amerikaner der Standard ein anderer ist als für den Österreicher? In vielen US-Betrieben ist die Lebensmittelsicherheit sogar höher.

Was wäre der Hauptauftrag an Europa?

Wir müssen weg von den Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten, sonst kommen wir zu keinen Ergebnissen. Und wir müssen unsere „Say-do-ratio“ erhöhen: Das, was wir sagen, auch tun. Wir liegen in Europa bei den Investitionen um 15 Prozent hinter 2007.

Was ist der Grund: Zu wenig Risikokapital, zu wenige Investoren?

Nein. Das Geld ist da, die Glaubwürdigkeit fehlt. Ein Investor will Rechtssicherheit, Transparenz, Nachhaltigkeit und Profitabilität.

Sie wollen Alstom akquirieren (zur Story), die EU-Prüfung dauert noch an. Der französische Staat redet bei der Industrie bekanntermaßen ganz gerne mit. Erfüllt Sie das nicht mit Sorge?

Wir haben schon viele erfolgreiche Investitionen mit Staatsbeteiligung gemacht. Die Erfahrungen waren sowohl bei Healthcare als auch im Triebwerksbereich nachhaltig sehr positiv.

Worin liegt eigentlich der Sinn der Übernahme: Geht es Ihnen bei Alstom nur um mehr Größe?

Das ist keine Übernahme, sondern eine Allianz. Die Ergänzung unseres Portfolios zählt: Wir sind bei Gas stark, Alstom bei Kohle- und Dampfturbinen. Wir sind Nummer eins bei Onshore-Windanbietern, Alstom hat Offshore-Anlagen. Wir sind bei Energienetzen nur mit Software vertreten, Alstom hat ein Grid-Thema. Wir sind im Wasserthema unterrepräsentiert, Alstom ist führend. Das ergänzt sich perfekt.

Gutes Stichwort, die deutsche Energiewende. Die Kosten für die Verbraucher sind hoch. Viele Firmen sind inzwischen pleite. Und: Es wird mehr umweltschädliche Kohle verfeuert als zuvor. Was ist schiefgelaufen?

Was Europas GE-Chef an Österreich erstaunt
Hybridkraftwerk Berlin-Marienfelde
Ja, es wurden Fehler gemacht, aber ich sage das nicht als Kritik. Wir haben fünf Prozent unserer Energiekosten in die Wende investiert. Bei den Subventionen und Regulatorien wurde der Zeitpunkt des Ausstiegs verpasst. Man wollte einen raschen Stimulus, das hat einiges gekostet – die technologische Entwicklung ging dann aber schneller als gedacht. Jetzt geben wir viel mehr für Subventionen aus, als für Forschung und Entwicklung.

War es falsch, die Tarife zu stützen, statt Forschung zu fördern?

Wir geben in Deutschland 22 Mrd. Euro für den Zubau Erneuerbarer Energie aus und nur 320 Mio. für Forschung und Entwicklung. Jetzt hat die deutsche Bundesregierung das richtige, degressive Anreizsystem geschaffen. Wir wollten eine Blaupause schaffen – die ganze Welt hat viel gelernt, die Deutschen hat es Geld gekostet. Aber das ist okay: Im Labor macht man Fehler. Wenn es wer verkraften kann, dann Deutschland.

Deutschland ist aber keine Insel, die Wende betrifft auch die Nachbarländer.

Wir wurden selbst von der Dynamik des Marktes überrascht. Heute sind fast 100 Gigawatt erneuerbare Energie im System, das ist gewaltig. An einem sonnigen, windigen Tag können wir unseren gesamten Strom so erzeugen.

Was ist die Zukunft: Jeder Haushalt sein eigenes Kraftwerk?

Dezentralität war einer der Ursprünge der Energiewende. Verbraucher und Erzeuger sollten nah beieinander liegen, nur so kann ich Energieeffizienz nachhaltig bekommen. In Industriebetrieben mit eigener Energieproduktion werden 5 bis 25 Prozent an Effizienz gehoben.

Für GE ist Fossilenergie, Öl und Gas, noch wichtig. Ist das nicht das Geschäft der Vergangenheit?

Die fossilen Energieträger werden noch auf lange Jahre unerlässlich sein, ein Miteinander aller Erzeugungsformen ist wichtig.

Momentan werden aber Gaskraftwerke stillgelegt, weil die Kosten zu hoch sind.

Die Kostenhierarchie der Kraftwerke war so nicht geplant. Es ist aber die Realität. Da haben sie völlig recht. Wir haben gedacht, dass durch die CO2-Zertifikate sich Investitionen in saubere Technologie auszahlen. Die Realität hat aber dafür gesorgt, dass am billigsten das abgeschriebene Braunkohle-Kraftwerk ist. Das müssen wir korrigieren.

Der CO2-Ausstoß soll teurer werden: Kann die EU-Reform des Emissionshandels das richten?

Richtig ist, dass wir hier einen europäischen Ansatz brauchen. Ein Kohle- und Gaskraftwerk haben unterschiedliche volkswirtschaftliche Gesamtkosten. Zudem kann ein Gaskraftwerk rasch hochfahren, um Schwankungen auszugleichen.

Kürzlich hat der E-Autobauer Tesla angekündigt, Energiespeicher für die Haushalte zu entwickeln. Kommt da völlig neue Konkurrenz auf Sie zu?

Selbstverständlich gibt es neue Player. Es stimmt schon: Fünf Jungs aus der Garage können heute mein Geschäftsmodell bedrohen. Das wird auch uns verändern.

Ist da ein fast 140 Jahre alter Industrietitan wie GE flexibel genug?

Haben Sie das Gefühl, wir sind nicht so agil? Ein Beispiel: Wir haben mit Partnerunternehmen ein Hybridkraftwerk in Berlin gebaut. Idee, Entwicklung, Bau – alles in einem Jahr.

Jenes, das vor wenigen Tagen gestartet ist, mit Fotovoltaik am Dach und einer gasbetriebenen Jenbacher Kraft-Wärme-Kopplung?

Genau. Wir sind zwei Eurocent billiger als der lokale Stromanbieter.

Zur Slideshow: So funktioniert das Hybridkraftwerk (Sonne und Gas) in Berlin-Marienfelde

Der Deutsche Stephan Reimelt ist seit 1. Jänner 2015 Chef von GE Europa und somit für mehr als 90.000 Mitarbeiter und gut 20 Mrd. Euro Umsatz zuständig. Davor war er Chef der deutschen GE-Energiesparte in Frankfurt. Der Wirtschaftsingenieur ist zudem Professor an der TU Berlin.

Der Gesamtkonzern GE (General Electric) machte im abgelaufenen Geschäftsjahr mit 305.000 Mitarbeitern rund 149 Mrd. Dollar Umsatz. Angefangen hat alles mit der Glühbirne: 1892 fusionierte der legendäre US-Erfinder Thomas Alva Edison seine Edison General Electric Company mit Mitbewerber Thomson-Houston – das war die Geburtsstunde von GE.

In Österreich ist GE seit ungefähr eineinhalb Jahrzehnten maßgeblich vertreten. Der größte Standort ist in Jenbach (Tirol). Dort wurde 2003 der Gasmotorenhersteller Jenbacher übernommen, der rund 1500 der mehr als 2000 Mitarbeiter in Österreich beschäftigt.

"Die letzten zehn Jahre waren ein fantastischer Erfolg, wir haben einen globalen Markt entwickelt", sagt Reimelt. Jenbacher sei "sicher eine der modernsten Gasmotorenfabriken der Welt" und innerhalb des GE-Konzerns bei der Energieerzeugung "ein zentraler Baustein".

Der Umsatz hat sich seit der Übernahme mehr als vervierfacht. 2014 hat Jenbacher einen früheren Zulieferer, den Zündkerzenhersteller Francesconi in Kapfenberg, geschluckt.

Was Europas GE-Chef an Österreich erstaunt
Schon 2001 hatte GE inZipf (Oberösterreich)Kretztechnik übernommen, heute das GE-Entwicklungs- und Kompetenzzentrum für drei- und vierdimensionalen Ultraschall. Im Oktober 2011 kamen die PAA Laboratories inPasching bei Linz dazu, ein Spezialist zur Herstellung von Zellkulturen.

In Wien hat GE (neben Audi und Infineon) soeben acht Millionen Euro in TTTech Computertechnik investiert (zur Story), einen 1998 entstandenen TU-Wien-Spin-off, der sich mit Industrial-Internet-Anwendungen im Flugzeug- und Autobereich beschäftigt.

In der Bundeshauptstadt hat GE obendrein vor einer Woche seine drei bisher verstreuten Bürostandorte gebündelt: Die Büros von GE Jenbacher waren bis dato in Schwechat angesiedelt, ein Corporate Office war im Wiener Andromeda-Tower und GE Healthcare hatte seine Räumlichkeiten schon im Euro Plaza auf dem Wienerberg. Dort sind künftig alle 90 Wiener Mitarbeiter zu finden (Insgesamt zählt GE in Wien zwar 150 Mitarbeiter, viele davon arbeiten aber in Home-offices).

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