TTIP kommt nur sehr langsam voran

Welthandel im Wandel - anstelle globaler Abkommen kommen kleinere Deals.
Es ist nicht fix, dass das EU-USA-Abkommen zustande kommt, sagt Handelsexperte Simon Evenett.
TTIP kommt nur sehr langsam voran

Russland ist Protektionismus-Weltmeister: Kein anderer Staat hat 2014 mehr Barrieren für den Handel errichtet, sagt Simon Evenett (45), Professor an der Universität St. Gallen. Der Brite hat bis Ende Juli 38 schädliche Maßnahmen für ausländische Wirtschaftspartner gezählt – und nur 7 mit positiven Folgen.

Penibel registriert der Ex-Weltbank-Ökonom alle Abwehrmaßnahmen, die Staaten ergreifen. So hat Russland seit Herbst 2008, dem Beginn der Krise, 104 Aktionen gesetzt, die österreichische Unternehmen behinderten – der Großteil davon waren Zollerhöhungen (47 Fälle) oder verzerrende Subventionen (31). Der KURIER sprach mit Evenett über die Auswirkungen der Sanktionen und die großen Handelsverträge wie TTIP und TISA, die derzeit ausverhandelt werden.

KURIER: Vor zwei Jahren erst ist Russland der Welthandelsorganisation beigetreten, schottet sich aber weiterhin ab. Welche Strategie verfolgt Moskau?

Simon Evenett: Eine einheitliche Strategie gibt es da nicht. Eine nationalistische Gruppe im Kreml will die eigene Industrie stärken, eine liberalere Gruppe rund um den Regierungschef (Medwedew) strebt die Öffnung in Richtung Weltwirtschaft an. Der Präsident (Putin) hat die Gruppen jahrelang ausbalanciert. Im Moment gewinnt wegen der außenpolitischen Zwänge die nach innen gerichtete, protektionistische Gruppe .

Worauf laufen die Sanktionen Ihrer Ansicht nach hinaus?

Gefährlich wäre ein Überbietungswettstreit. Bisher haben die USA und Europa aber maßvoll auf Moskaus Retourkutsche reagiert. Die Gefahr für den Westen ist, dass die Russen den Einsatz laufend erhöhen – solch ein Hin und Her könnte rasch außer Kontrolle geraten.

Wie groß ist diese Gefahr?

Ich rechne nicht damit, dass die Lage eskaliert, das wäre irrwitzig. Das Restrisiko würde ich mit 20 Prozent beziffern. Allerdings werden nicht alle Sanktionsmaßnahmen in einem Jahr aufgehoben sein. Das zieht sich wohl über zwei, drei Jahre hin.

Der Welthandel ist in der Sackgasse: Indien hat kürzlich das fix verhandelte Bali-Abkommen der WTO gekippt. Was nun?

Der Instinkt der Verhandler wird sein, weiterzuwursteln und sich im September auf irgendetwas zu einigen. Der Schaden, den die Inder angerichtet haben, ist aber enorm. Premier Narendra Modi ist viel nationalistischer eingestellt und weniger auf den freien Markt bedacht, als alle erwartet hatten.

Was hätte das Bali-Abkommen denn konkret gebracht?

Es hätte den Papierkram etwa für Österreichs Exporteure reduziert, wenn sie mit Schwellenländern handeln. Der Zeitaufwand und die Kosten wären gesunken.

Und was hätten die Schwellen- und Entwicklungsländer davon?

Viele dieser Länder exportieren selbst in andere Schwellenländer. Mit einfacheren Zollbestimmungen könnten sie rascher handeln. Alles, was die Abwicklung verzögert, erschwert es einem Land, von den globalen Lieferketten zu profitieren.

Wie wichtig ist die WTO überhaupt noch?

Sie läuft Gefahr, wie einst der Völkerbund zu einer Quatschbude zu werden, die wenig zustande bringt.

Die EU und USA wollen mit TTIP und TISA Abkommen ausverhandeln, die zu einem globalen Muster bzw. Standard werden. Ist das realistisch?

Das Ziel ist, die Handelsstandards für das 21. Jahrhundert zu definieren. Die Europäer und Amerikaner haben aber selbst allergrößte Probleme. Ein Bericht der EU-Kommission von Ende Juli zeigt: Bei zentralen Kapiteln wie Regulierung oder Dienstleistungen liegt bisher kaum Konkretes vor. Auch wenn die Regierungschefs anderes behaupten: Die Verhandlungen sind in Verzug – es geht viel langsamer voran als erwartet.

Warum?

Die EU und die USA regulieren ihre Wirtschaft sehr unterschiedlich. Darauf haben sich alle Unternehmen bei ihren Investitionen eingestellt – es wäre teuer, das zu ändern. Deshalb wollen die USA, dass die EU ihre Regeln übernimmt und umgekehrt. Das wird aber nicht passieren. Und sogar die wechselseitige Anerkennung stößt auf Widerstände. Daran sind übrigens alle Anläufe der letzten 25 Jahre gescheitert.

Also viel Lärm um Nichts?

Genau. Ein Abschluss von TTIP vor dem Ende der Obama-Amtszeit (Jänner 2017) ist unwahrscheinlich – wenn es überhaupt dazu kommt. Gut möglich nämlich, dass sich in ein, zwei Jahren herausstellt, dass die großen Abkommen nie abgeschlossen werden. Stattdessen könnte es kleinere Deals geben, die direkt bei den Lieferketten ansetzen – etwa Regeln für den Handel mit Baumwolle. Oder einige Regierungen öffnen sich in Eigenregie, weil sie wettbewerbsfähiger werden wollen.

Wie würden Sie die Kritiker der Abkommen überzeugen?

Die große Sorge lautet, dass die Regierungen den Konzernen keine Vorschriften mehr machen dürfen. Ironischerweise haben die Verhandler aber schon 1995 clevere Lösungen gefunden, wie das möglich bleibt und der Schaden für den Wettbewerb gering ist. Das waren die Übereinkommen über technische Handelshemmnisse und sichere Nahrung. Würde man darauf aufbauen, wäre den Kritikern der Wind aus den Segeln genommen. Und wir könnten die Vorteile mitnehmen, die intensivere Handelsbeziehungen und billigere Importe bringen.

Warum dann die Geheimniskrämerei? Das macht misstrauisch.

Ich verstehe die Kritik. Aber die Verhandlungen können nicht vor den Augen der Öffentlichkeit geschehen. Da sind taktische Manöver im Spiel, die Kompromisse ermöglichen sollen. Die Verhandler müssen es schaffen, das Vertrauen der Zivilgesellschaft zu gewinnen und die oft technokratischen Inhalte behutsam erklären. Das klappt derzeit nicht.

Am Ende muss das EU-Parlament zustimmen. Könnte der öffentliche Widerstand die Abkommen platzen lassen?

Absolut. Die letzten 12 Monate haben eindrucksvoll gezeigt, wie mächtig Interessensgruppen in Europa gegen TTIP mobil machen können.

Helfen die Abkommen nur den multinationalen Konzernen?

Diese Kritik ist einseitig. Selbst wenn, würden zumindest auch die Mitarbeiter dieser Konzerne von sicheren Jobs profitieren. Vorteile haben ebenso alle Zulieferer und Firmen, die Waren importieren. Und die Konsumenten erhalten Zugang zu billigeren und besseren Produkten.

Was soll das Dienstleistungsabkommen TISA konkret bringen?

Die geltenden GATS-Regeln sind ein Flickwerk, das nur wenige Bereiche umfasst, die noch dazu von Land zu Land unterschiedlich sind. TISA soll diese Lücken füllen. Oft gibt es Obergrenzen, wie viele ausländische Firmen ein Land zulässt. Oder Anbieter werden unter Vorwänden der Sicherheit oder Qualität ferngehalten. TISA würde den Wettbewerb verstärken.

Droht durch TISA die Privatisierung der Wasserversorgung?

Da werden zwei Dinge vermischt: Es ist das eine, ausländischen Unternehmen den Zugang zu Services der Wasserversorgung zu ermöglichen. Etwas völlig anderes wäre es, Privatisierungen zu erzwingen. Ich wäre absolut verblüfft, wenn es dazu käme. Das ist nämlich gar nicht nötig für ein faires Abkommen über offene Märkte.

Gilt das nur für Wasser oder alle öffentlichen Dienstleistungen?

Es wird sicher substanzielle Ausnahmen geben. Das ist nicht nur in Europa ein sensibles Thema, das Ängste verursacht.

Wann ist ein TISA-Abschluss realistisch?

Frühestens 2016. Das Abkommen wird aber wohl weniger ambitioniert sein als viele erwarten.

Der geplante Investorenschutz würde den Konzernen vor Schiedsgerichten viel Macht gegenüber den Staaten einräumen. Ist das unbedingt nötig?

Es gibt viele Möglichkeiten, um die Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten ausgewogen zu gestalten. So könnte festgelegt werden, dass Regierungen bei Streitfällen auch nicht-wirtschaftliche Überlegungen geltend machen dürfen.

Schön und gut. Wir wissen aber leider nicht, was geplant ist.

Stimmt. Deshalb können ja die Kritiker mit den Ängsten der Bevölkerung spielen. Das ist ein taktischer Vorteil. Sachlich begründet ist es nicht.

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