Treichl: "Schaden durch Negativzinsen ist größer als gedacht"
KURIER: Wenn Sie Ihre Zeit als Erste-Group-Chef Revue passieren lassen: Worauf sind Sie besonders stolz?
Andreas Treichl: Die beste Zeit war gar nicht die Wachstumsphase, sondern die härteste Zeit von 2008 bis 2014. Die Zeit, in der wir die Finanzkrise hatten. Es war scheußlich. Den Moment zu erleben, in dem man das Gefühl hat, dass alles, was man in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat, wieder weg ist. Und das langsam wieder aufzubauen, seine eigenen Fehler wieder gut zu machen. Das ist schon toll.
Was waren denn diese Fehler?
Man kann ja nicht alles, was in der Finanzkrise passiert ist, auf die Finanzkrise schieben. Wir haben auch viele nicht gute Entscheidungen getroffen. Eine Bank ist ein extrem komplexes Gebilde, da haben wir manches übersehen, das uns in der Finanzkrise auf den Kopf gefallen ist. Das waren die Fragen: Was macht man mit den Staatsanleihen, mit den faulen Krediten. Wir mussten in diesen Jahren Milliarden an faulen Krediten abschreiben und Milliarden von Firmenwerten, die nicht mehr haltbar waren.
Ist die Erste Group jetzt resistenter gegen Krisen?
Ja, das sind wir. Wenn es schlecht wird, wird es viel schlechter, als man glaubt. Das heißt: Man muss viel stärker sein, als man glaubt, um krisenresistent zu sein. Das war eine unheimlich lehrreiche Zeit. Das hat uns wirklich sehr stark gemacht.
Ist die Krise wirklich überstanden?
Diese Krise haben wir mal überstanden. Jetzt warten wir auf die nächste. Aber die Banken sind insgesamt sehr viel krisenresistenter. Es gibt noch einige Schwachstellen, eine große Frage ist jetzt die Profitabilität der Banken, aber nicht mehr das Risiko. Das verschwindet in einen anderen Bereich, in jenen der Schattenbanken. Die Regulatoren sollten besser bei den Banken leiser treten und viel mehr Energie auf den unregulierten Bereich aufwenden – also auf die FinTechs, Hedgefonds oder Unternehmen, die Kredite aufkaufen. Und diese dann wieder in Tranchen zu schneiden und zu verkaufen. Das erinnert mich an etwas….
Bauen nicht auch die Banken mit der leichtfertigen Vergabe von Billigkrediten Risiko auf?
Das ist eine gute Frage. Wie würden manche Kreditnehmer performen, wenn die Zinsen steigen? Die Wirtschaftsentwicklung hat Auswirkungen auf die Bonität der Kreditnehmer. Aber ich glaube nicht, dass man sich mit diesem Problem so intensiv auseinandersetzen muss, weil die Erwartung, dass in den nächsten Jahren die Zinsen steigen, ist bei mir nicht vorhanden.
Heißt das, dass man dauerhaft mit Sparen kein Vermögen aufbauen kann?
Wir leben in einer Region mit einer Sparkultur. Aktien gibt es bei uns fast nicht, Rohstoffe mit Ausnahme von Gold sind nur etwas für Experten. Alternativen zu Zinsprodukten sind bei uns im Wesentlichen Immobilien. Das ist ein ganz ungesundes Verhältnis. Die Politik sagt, Aktien sind etwas für Spekulanten und Reiche. Es ist total unvernünftig, den Menschen nicht beizubringen, ein bisschen Aktienrisiko einzugehen. Der Kollateralschaden von Nullzinsen ist größer als man glaubt.
Warum?
Es gibt viele, die sagen, die Nullzinsen sind gut, weil viel konsumiert und investiert wird. Als Kreditgeber kann ich aber zwischen gutem und schlechtem Investieren und Konsumieren keinen Unterschied machen. Jetzt kann man sagen, der Konsument kann seinen Benziner schneller in ein E-Auto eintauschen und das ist gut. Aber jemanden dazu zu bringen, ein E-Auto zu kaufen, macht man durch niedrigere Steuern und nicht Zinsen. In Wirklichkeit entfällt durch die Nullzinsen der Strafzins für schnellen Konsum. Und schneller und hoher Konsum ist umweltschädlich. Also haben die Nullzinsen auch eine direkte Korrelation zur Umweltverschmutzung.
Was sagen Sie 20-Jährigen? Wie sollen sie vorsorgen?
Sie müssen auch bei Nullzinsen sparen. So wie in Japan. Die Japaner fangen früh an zu sparen, bis sie 45 sind und haben dann die zehn Prozent Eigenkapital für den Kredit für eine Wohnung. Für den Kredit zahlen sie dann aber auch keine Zinsen. So kommen sie mit Null heraus. Das ist eine ganz neue Welt. Wir müssen also extrem viel tun, um die jungen Menschen darauf vorzubereiten. Die Politik wird nicht viel dafür tun, denn damit gewinnt man keine Wahlen.
Und was sagen Sie jungen Menschen, die gar nichts zur Seite legen können? Für junge Menschen, die nicht das Glück haben zu erben, brauchen wir andere Lösungen. Sie haben derzeit keine Möglichkeit, zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen etwas dazu zu verdienen. Zusätzlich wird die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Pensionen erhalten bleiben, bestimmt nicht höher. Wir könnten in eine ernste Situation kommen, wo plötzlich viele 65-Jährige da sind, die nicht wissen, wie sie finanziell in der Pension auskommen. Ein Grundeinkommen ist nicht die Antwort.
Wären Vermögenssteuern eine Antwort?
Nein. Ich bin gegen neue Steuern. Besser wäre eine Steuerentlastung auf Arbeit für junge Menschen unter 35, damit sie für das Alter vorsorgen können.
Zurück zur Erste Group. Wo kann sie bei anhaltenden Nullzinsen Geld verdienen? Die Japaner haben gelernt mit Nullzinsen zu leben. Das hat dazu geführt, dass es jetzt nur noch fünf große Banken gibt. Früher waren es 20 bis 25. Das sehe ich in Europa auch. Fusionen sind wegen der unterschiedlichen Regulierungen in den Ländern schwieriger. Die Erste Group hält sich aus diesen Diskussionen heraus. Wir haben überhaupt kein Interesse an Fusionen. Wir haben ein großes Osteuropa-Geschäft außerhalb der Eurozone. Das Kreditvolumen dort wächst stärker als in unserem Rest-EU-Portfolio. Daher nimmt der Anteil der Kredite mit guter Marge bei uns zu.
Um die Erste Group machen Sie sich also keine Sorgen?
Wir arbeiten ausschließlich daran, dass wir das bestmögliche Service für unsere Kunden anbieten können. Da investieren wir extrem viel hinein. In Zukunft werden Kunden wahrscheinlich 90 Prozent ihres Finanzlebens über das Smartphone abwickeln. Aber zehn Prozent eben nicht. Und darauf bauen wir sehr stark. Deswegen investieren wir auch sehr viel in unsere Mitarbeiter, weil wir daran glauben, dass auch in 50 Jahren die wirklich wichtigen Finanzentscheidungen nicht digital gemacht werden.
Was genau heißt das für die Bank? Das heißt für uns, wir dürfen keine Verkaufsaktionen mehr machen. Wir müssen uns von Anbietern abheben, bei denen es heißt: verkaufen, verkaufen, verkaufen.
Wie viele Mitarbeiter werden dafür gebraucht?
Das ist schwer zu sagen. Wir brauchen hoch qualifizierte Mitarbeiter. Daher glaube ich nicht, dass unser Personalaufwand sinken wird. Wir werden auch nicht mehr so viele Filialen brauchen. Wenn man vier oder fünf Mal im Jahr in die Bank geht, muss sie nicht unbedingt um die Ecke sein.
Glauben Sie, dass Junge tatsächlich in eine Bankfiliale kommen. Sie haben ja gar keine Beziehung mehr zur Bank?
Da gibt es unterschiedliche Beobachtungen. Junge gehen in die Erste Bank, weil sie sehen wollen, wer hinter George steckt. Schauen Sie sich die e-Gamer an. Sie sitzen jeden Tag zehn Stunden vorm Computer und spielen wie die Wahnsinnigen. Aber sie treffen sich auch vier Mal im Jahr, weil sie die Menschen sehen wollen. Das völlige Depersonifizieren, ich glaube, das muss nicht so kommen.
Aus Ihrer Sicht wird es also auch in 30 Jahren noch Bankfilialen geben? Im Endeffekt wird es davon abhängen, als was die Menschehen die Bank sehen. Wenn ein Wohnbaukredit einfach ein Produkt wird, dann kann es schon sein, dass es Banken in 30 Jahren nicht mehr gibt.
Zur Persoan
Andreas Treichl
Er wurde 1952 als Sohn des Bankers Heinrich Treichl (1970 bis 1981 Chef der Creditanstalt, geboren. Er studierte nach der Matura am Schottengymnasium Volkswirtschaft.
Klavierspieler
Treichl ist ein hervorragender Klavierspieler und liebt Jazzmusik. Er spielte sogar mit dem Gedanken, Dirigent zu werden.
Bank-Karriere
Treichl arbeitete als Trainee bei der Citibank und Morgan Stanley in New York. 1977 begann er bei der Chase Manhattan Bank. 1994 wechselte er in die Erste Bank. Seit 1997 ist er deren Generaldirektor.
Kommentare