Tief wie nie: EZB vor historischem Zinsschritt

Tief wie nie: EZB vor historischem Zinsschritt
Neues Zinstief, Strafgebühren, Kreditankurbelung - was EZB-Boss Mario Draghi noch im Köcher hat.

Wird es ein historischer Tag? Selten waren die Erwartungen in die Europäische Zentralbank so hoch gesteckt wie vor der aktuellen Zinssitzung am 4. und 5. Juni. Am Donnerstag gibt die EZB ihre geldpolitischen Entscheidungen um 13.45 Uhr bekannt, ab 14.30 Uhr erklärt EZB-Chef Mario Draghi in Frankfurt die Maßnahmen in einer Pressekonferenz. Die wichtigsten Fragen:

Warum muss die EZB jetzt handeln?

Erwartungen: Eine Notenbank macht schon mit Worten Politik. Anfang Mai hat sich EZB-Chef Mario Draghi zu weit aus dem Fenster gelehnt, um jetzt einen Rückzieher zu machen. Er hat quasi angekündigt, dass die EZB handeln wird. Die Märkte erwarten fast schon einen Paukenschlag – sollte gar nichts nachkommen, würde das ein ordentliches Minus an den Börsen verursachen. Noch schlimmer: Es würde den Eurokurs steigen lassen, was schädlich für die Ziele der Notenbank wäre und die Gefahr von Deflation verstärken würde.

Preise: Diese Angst ist zuletzt sogar noch gestiegen. Mit Deflation ist gemeint, dass die Preise auf breiter Front und dauerhaft sinken. Warum wäre das so schädlich? Erster Grund: Fallende Preise sind schlecht für alle, die hohe Schulden haben. Der Abbau der staatlichen Schuldenberge käme nicht voran, weil die aufgenommenen Kredite immer mehr wert würden. Zweitens: Deflation gehe meist mit wirtschaftlicher Stagnation einher, warnen Notenbanker: Die Konjunktur komme zum Erliegen, weil Unternehmen ihre Investitionen und Konsumenten ihre Anschaffungen aufschieben. Drittens: Die Notenbanken haben wenig Erfahrung mit Deflation und tun sich schwer gegenzusteuern – siehe Japan. Die Möglichkeiten, Deflation zu bekämpfen seien limitiert, hat OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny kürzlich bei einer Veranstaltung von Agenda Austria eingeräumt.

Tief wie nie: EZB vor historischem Zinsschritt
Kreditklemme:Neben der Deflation bereitet den Notenbankern Kopfzerbrechen, dass die Geldhäuser des Euroraums immer weniger Darlehen vergeben. Im April 2014 waren es um 1,8 Prozent weniger im April 2013. Einerseits kein Wunder: Die Banken sollen ihr Risiko reduzieren und gesundschrumpfen. Gleichzeitig ist die Kreditnachfrage schwach, weil die Unternehmen mit Investitionen abwarten oder diese aus ihren Cash-Reserven finanzieren. Kritisch ist die Situation vor allem in Ländern wie Spanien oder Griechenland – da muss sich die EZB etwas überlegen.

Zu (starker) Euro: Mantra-artig beteuern Zentralbanker, dass es nicht zu ihrem Geschäft gehört, Wechselkurse zu beeinflussen. Allerdings hat der Euro-Dollar-Kurs Einfluss auf die Preisstabilität: Je stärker der Euro, umso billiger die Importe (wie Öl oder Gas) und umso niedriger die Inflation. Wenn die EZB den Euro schwächt, bekämpft sie also indirekt die Deflationsgefahr. Dass das die Exporte ankurbelt, wäre ein erfreulicher Nebeneffekt.

Was kann/wird die EZB unternehmen?

Sehr wahrscheinlich

  • Zinssenkung: Die Banken werden sich noch günstiger Geld bei der EZB leihen können: Die Erwartung ist, dass der Leitzins von 0,25 Prozent auf 0,15 oder 0,1 Prozent sinkt. Ob das alleine sehr viel bewirken würde, ist aber fraglich. Es ist schon genug billiges Geld im Umlauf. Deshalb steht ein Novum im Raum, nämlich Strafzinsen.
  • Strafzinsen: Wenn sich Banken billiger Geld borgen können, erhalten sie üblicherweise weniger Zinsen für ihre Depots bei der EZB. Da der Leitzins aber schon nahe Null ist, müsste der Einlagenzinssatz (seit November bei 0 Prozent) negativ werden. Das kommt Strafgebühren gleich: Wenn die Banken überschüssiges Geld bei der EZB parken, zahlen sie buchstäblich drauf. Das soll ein Anreiz sein, mehr Kredite an Kunden zu vergeben. Ob das funktioniert, wird intensiv debattiert: Manche befürchten, dass die Banken das Geld trotzdem bei der EZB belassen und die Kosten über Gebühren auf die Kunden abwälzen. Andere erwarten, dass das Geld von den EZB-Konten bis auf die Mindestreserve abgezogen, aber in andere sichere Anlageklassen -wie deutsche Bundespapiere – gesteckt wird. Damit käme es erst nicht in der Realwirtschaft an. Was mit Sicherheit ausgeschlossen ist: Dass die Sparer mit negativen Zinsen rechnen müssen, also auch die Kunden draufzahlen, wenn sie Geld auf der Bank haben. Die absehbare Folge wäre nämlich ein Bankrun: Es wäre lukrativer, Bargeld zuhause unter die Matratze zu legen. Freuen würden sich nur die Hersteller von Kleintresoren.
  • Beruhigende Worte: Draghi wird einmal mehr betonen, dass die EZB ihre lockere Geldpolitik noch für längere Zeit aufrecht erhält. Womöglich stellt er zusätzliche Maßnahmen für später in Aussicht.

Wahrscheinlich

  • Zweckgebundene Großkredite: Auch beim Notenbankertreffen in Sintra (Portugal) machte es die Runde: Die EZB könnte den Banken noch einmal günstige Langzeitkredite (LTRO) anbieten, allerdings unter der Bedingung, dass diese als Darlehen weitergegeben werden - etwa an Klein- und Mittelbetriebe, die besonders schwer an Kredite herankommen. Der Vorteil: Es gibt damit bereits viele Erfahrungen, etwa bei der Bank of England (seit Juli 2012) oder bei Ungarns Notenbank.

Wenig wahrscheinlich

  • Wertpapierkäufe: Dass die EZB in großem Stil in Anleihenkäufe (quantitative easing) wie ihr US-Pendant Federal Reserve einsteigt, ist unwahrscheinlich. Der Widerstand vor allem aus Deutschland wäre gewaltig. Allerdings wälzt die EZB seit Monaten Pläne, den brachliegenden Markt mit verbrieften Wertpapieren (Asset backed securities/ABS) wiederzubeleben. Die Idee: Banken könnten Kredite an klein- und mittelständische Unternehmen bündeln und als Wertpapiere an die EZB verkaufen (oder als Sicherheit hinterlegen). So würde in der Bilanz Platz für neue Darlehen geschaffen, die Kreditklemme wäre gelöst. Allerdings gibt es zwei Probleme. Diese Finanzprodukte, die an sich dazu dienen, Risiken zu reduzieren, haben seit 2007 einen verheerenden Ruf: Die Bündelung giftiger US-Immobilienpapiere hat die Finanzkrise mitverursacht. Die EZB wird es schwer haben, diese Maßnahme zu erklären. Und sie stößt auf große technische Hürden, berichten Insider. Jedes Land und jede Finanzaufsicht habe nämlich andere Spielregeln, wie solche Papiere zu bewerten sind.

Ausgeschlossen

  • Zinsanhebung: Die Zeit für höhere Zinsen ist noch lange nicht gekommen. „Es ist schwer vorstellbar, wie die EZB aus der Niedrigzinspolitik herauskommen wird“, sagt Ulrich Kater, Chefökonom der deutschen Dekabank, zum KURIER. Er sieht drei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, bevor die EZB den Schalter umlegt. Die Inflation müsste anziehen, die Konjunktur eine stabile Erholung zeigen und die Banken müssten stabil sein. Erst dann sei es vorstellbar, dass sich die EZB aus den Niedrigzinsen herauswindet – „aber nur in Zeitlupe; über zwei oder drei Jahre hinweg“.

Was sind die Risiken und Gefahren?

Mehr Risiko

Mit niedrigen Leitzinsen und negativen Einlagezinsen animiert die EZB die Banken mehr Risiko einzugehen. Eigentlich konterkariert das die Rolle als Bankenaufseherin, die die EZB ab November 2014 übernehmen wird.

Arme Sparer

Die Zeche der Niedrigzinsen zahlen die Sparer, die noch höhere (reale) Verluste mit ihren Guthaben verzeichnen. Vor allem in Deutschland regt sich heftige Kritik: Sparkassenchef Georg Fahrenschon spricht von einer schrittweisen Enteignung. Der oberste Konsumentenschützer Klaus Müller warnt, dass die Verbraucher ihre Altersvorsorge ausgeben oder spekulativ veranlagen werden.

Gefährliche Blasen

Es ist unübersehbar, wohin das billige Geld fließt: Die Börsen verzeichnen Allzeithochs, Immobilienpreise steigen in den Himmel. In Deutschlands größten Städten hätten die Wohnungspreise seit 2010 um fast 30 Prozent angezogen, sagt Guntram Wolff von der Denkfabrik Bruegel. Allerdings gebe es wenige Anzeichen, dass diese Käufe auf Pump finanziert seien. Solche Finanzblasen zu verhindern, sei zudem nicht Sache der Zinspolitik, betonen Notenbanker bei jeder Gelegenheit: Das sei Sache der Aufsichtsbehörden, die strengere Regeln vorgeben müssten. Die Vergangenheit hat freilich gezeigt: Entweder, Blasen werden überhaupt erst aufgedeckt, wenn es zu spät ist und sie geplatzt sind. Oder aber es will niemand der Spielverderber sein, der eine Anleger-Party frühzeitig abdreht.

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