Eder: "Können nicht immer Nein sagen"
Die voestalpine investiert wegen niedriger Energiekosten in den USA. Und hofft, dass die europäische Stahlindustrie ihre Überkapazitäten abbauen kann.
KURIER: Die EU will die europäische Stahlindustrie, die an Überkapazitäten leidet und zunehmend unter Preisdruck kommt, wieder aufrüsten. Der Aktionsplan ist aber recht vage ausgefallen ...
Wolfgang Eder: Da wurden von der EU-Kommission im Vorfeld hohe Erwartungen geweckt, die dann nicht erfüllt wurden. Das war auch schwierig, die Kommission kann ja nicht direkt in eine Industrie eingreifen, sie kann nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Der Aktionsplan bringt also nicht wirklich etwas?
So kann man das nicht sagen. Das Papier enthält schon Ansätze, wie die Probleme zu lösen sind. Etwa den Aufruf an die Energiewirtschaft, bei den Preisen auf die Bremse zu treten. Oder der Appell, beim Klimaschutz auch Rücksicht auf die Möglichkeiten der Industrie zu nehmen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Wie groß sind diese Möglichkeiten?
Wir können den Kohlendioxid-Ausstoß in den nächsten Jahren vielleicht um acht bis zehn Prozent reduzieren. Aber es gibt keine Technologie, die das CO2 auf einmal um 50 Prozent reduziert.
Die Stahlindustrie hat aber in den letzten Jahren mit dem Handel von CO2-Zertifikaten ganz gut verdient ...
Die voestalpine nicht. Wir haben in der ersten Phase bis 2008 rund 15 Millionen Euro pro Jahr gezahlt, in der zweiten Periode bis 2012 hat uns das noch einmal rund 50 Millionen gekostet.
War die Voest zu ehrlich oder zu dumm dazu?
(lächelt gequält) Weder noch, das war die österreichische Politik. Wir haben im Gegensatz zu den Mitbewerbern zu wenige Gratis-Zertifikate bekommen und mussten zukaufen, um die Produktion konstant zu erhalten. Wir haben von 2008 bis 2012 zwischen 5 und 15 Millionen Euro pro Jahr gezahlt, in Summe waren das rund 50 Milionen.
Zurück zum Aktionsplan ...
Es geht schlicht um die Frage, ob man sich in Europa auch in Zukunft eine Stahlindustrie leisten will.
Will man?
Ich glaube schon. Ohne Stahl geht in vielen Wirtschaftsbereichen überhaupt nichts. Das gilt für die Autoindustrie, wenn man im großen Stil zu leichteren Autos kommen will. Das gilt auch für die Elektromobilität und für die Infrastruktur. Es gibt keinen alternativen Werkstoff. Es stellt sich schon die Frage, ob sich ein Kontinent leisten kann, ganz auf diese Industrie zu verzichten.
Kann man?
Meiner Meinung nach nicht. Die Amerikaner haben eines erkannt: Wenn ich langfristig stabile Arbeitsplätze will, kann ich nicht auf den Dienstleistungssektor bauen. Das einzige, was in diesen Sparten Kostenflexibilität erlaubt, ist das Personal. Jedes Mal, wenn es einer dieser Branchen schlecht geht, wirkt sich das sofort bei den Arbeitslosenzahlen aus.
Und in der Industrie?
Wenn es der Industrie schlecht geht, reduziert man zuerst in anderen Bereichen die Kosten. Das Personal ist das letzte, an das man herangeht, denn das bedeutet immer Kompetenzverlust. Die Amerikaner sehen das und tun daher viel für die Reindustrialisierung. Wenn die EU das nicht auch macht, wird es sehr schwer, eine Zukunft für die Industrie in Europa zu sehen.
Wie groß ist diese Gefahr?
Europa steht bei den Arbeitskosten, den Energiekosten und den Pensionskosten weltweit an der Spitze. Wenn sich da nicht rasch etwas ändert, wird sich die Absiedlung beschleunigen. Da geht es nicht um zehn bis 15 Jahre, sondern um höchstens drei bis fünf Jahre, in denen wir das schaffen müssen. Die Autoindustrie wird in Europa bald ohnehin nur noch die Autos bauen, die hier verkauft werden. Die Produktion wird noch stärker in die Absatzmärkte verlagert.
Sie verlagern selbst Produktionen nach Amerika ...
Wenn wir die europäischen Standorte auf Dauer erhalten wollen, kommen wir darum nicht herum. Das bringt uns massive Kostenentlastungen. Wir gehen ja nicht aus Trotz gegen Europa dorthin, es ist der Versuch, dadurch die Produktion in Europa zu halten.
Sie investieren wegen der niedrigen Energiepreise auf der Basis von Schiefergas in den USA. Es gibt Studien, die sagen, dass dieser Boom bald vorbei ist ...
Diese Geschichten, dass das in zehn Jahren alles vorbei ist und die Amerikaner wieder hohe Energiekosten haben, die den Export unmöglich machen, ist zum Teil europäisches Wunschdenken. Weil wir in Europa nicht diese progressive Haltung haben. Ich teile das nicht uneingeschränkt, aber wir können nicht überall nur Nein sagen. Ob das die Gentechnik ist oder Shalegas ...
Es macht bei Schiefergas einen Unterschied, ob ich große unbesiedelte Landstriche habe wie in den USA oder in Australien oder einen so dicht besiedelten Kontinent wie Europa ...
Das ist schon richtig, aber es gibt sicher einen Mittelweg, den man sich in Europa zumindest anschauen sollte. Mit dem sogenannten Clean Fracking, bei dem man keine giftigen Chemikalien in den Boden pumpt, gibt es in einigen Regionen die Möglichkeit, umweltschonend zu fördern. Entscheidend für die Zukunft der Energiepreise in Europa wird es sein, ob es gelingt, einen gesamteuropäischen Masterplan zu entwickeln.
Gibt es dafür Ansätze?
Es gibt derzeit nichts, was weiter weg ist. Die Mitgliedsstaaten sind nicht bereit, sich freiwillig im großen Stil zu koordinieren. Daher gibt es ein paar Sachen, die sind geradezu aufreizend: Es gibt Windenergie in Norddeutschland und rund um die britischen Inseln. Aber es gibt keine Leitungen, um den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird. Und der Kohlepreis ist so unter Druck gekommen, dass es billiger ist, alte Kohlekraftwerke zu betreiben als moderne Gaskraftwerke.
Zur Person
Konzern Die voestalpine setzte im Geschäftsjahr 2012/’13 mit 46.330 Mitarbeitern 11,5 Milliarden Euro um.
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