Staat verliert 1,5 Milliarden Euro
Der Arbeiter aus Bulgarien, der Fliesen im neuen Einfamilienhaus verlegt; der slowenische Lkw-Fahrer, der Mischbeton zur Baustelle führt; oder der ungarische Kellner, der Speisen im Restaurant im Burgenland serviert. Nur drei Beispiele von 150.000 Arbeitskräften aus den osteuropäischen EU-Ländern, die dank der seit 2011 für diese Staaten geltenden Dienstleistungsfreiheit hier zu Lande arbeiten (im Durchschnitt drei Monate im Jahr). Dies ist in der sogenannten Entsenderichtlinie geregelt. Was für die osteuropäischen Arbeitnehmer eine gute Verdienstmöglichkeit darstellt, wird für Österreich und seinen Arbeitsmarkt zunehmend zur Belastung. Das untermauert nun erstmals eine Studie der KMU-Forschung Austria im Auftrag der Wirtschaftskammer.
Ein Viertel in Wien
Demnach entgehen Österreichs Betrieben dadurch 4,4 Milliarden Euro an Umsätzen, dem Staat 983 Millionen Euro an Steuern und Abgaben. Infolge der steigenden Arbeitslosigkeit entsteht eine weitere Mehrbelastung von 535 Millionen Euro.
Laut Forschungsleiter Thomas Oberholzner kommen die meisten Entsendungen aus Ungarn, Slowenien, Slowakei und Deutschland und betreffen vorwiegend den Bausektor. Ein Viertel der rund 150.000 Ost-Arbeitskräfte (plus weitere geschätzte 50.000 nicht gemeldete) würden in Wien tätig sein. Umgekehrt würde die Zahl der Österreicher, die im EU-Ausland werken, nur rund die Hälfte ausmachen. "Sie werden dort teurer bezahlt, weil sie Spezialisten sind", sagt der oberste Baugewerkschafter und SPÖ-Abgeordnete Josef Muchitsch.
Er selbst sei von einem 52-jährigen Lkw-Fahrer damit konfrontiert worden, dass er arbeitslos sei und mit dem Lkw nun ein Osteuropäer fahre. "Ist das die EU, die wir uns erwartet haben?", fragt sich Muchitsch. "Es kann nicht das Ziel sein, Arbeitslosigkeit von einem zum anderen Land zu verschieben." Bis 2011 sei er der Meinung gewesen, die Ostländer würden den Aufschwung schaffen und die Lohnlücke sich schließen. Das geschah aber nicht.
Lohnnebenkosten
Laut Josef Witke, Sprecher vom Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Wien, sind bis auf Vorarlberg alle Bundesländer betroffen. Kostet einer österreichischen Firma eine Arbeitsstunde 39 bis 55 Euro, seien es bei den Ost-Kollegen nur 18 bis 22 Euro. Grund seien vor allem die ungleichen Lohnnebenkosten, die in Bulgarien 18,6 Prozent betragen würden (Österreich: 35,7). Hier wollen Kammer und Gewerkschaft ansetzen. "Entsendungen sollen nicht verhindert werden", wird betont.
So sollen die Abgaben nicht erst nach 183 Tagen der Entsendung, sondern von Anfang an an das Niveau von Österreich angepasst werden. "Das ist weitaus realistischer umzusetzen als gleiche Löhne", so Muchitsch. Zudem soll, wünscht sich Gewerbe-Spartenobfrau Maria Smodics-Neumann, bei öffentlichen Aufträgen das Bestangebots- statt des Billigstangebotsprinzips konsequent umgesetzt werden. Wichtig seien auch weiterhin Kontrollen bezüglich Unterentlohnung und Schwarzarbeit.
Geschehe nichts, warnt Witke, werde in zwei Jahren die Spirale nach unten nicht mehr zu stoppen sein. Schon jetzt würden Betriebe mit weniger als 30 Mitarbeitern mit Jobabbau beginnen und mit der Lehrlingsausbildung aufhören.
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