Sozialer Aufstieg dauert in Österreich fünf Generationen

Sozialer Aufstieg dauert in Österreich fünf Generationen
Morsche Karriereleiter: Kinder mit armen Eltern erreichen laut OECD im Normalfall keine normalen Einkommensverhältnisse.

Sozialer Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen funktioniert heute nicht mehr - oder nur in Ausnahmefällen. Zu diesem Urteil kommt ein 355-Seiten-Bericht, den die Industriestaaten-Organisation OECD am Freitag veröffentlichte. Fazit: Der soziale "Lift" sei kaputt bzw. in vielen Ländern zum Stillstand gekommen (deutsche Zusammenfassung hier).

Wer zwischen 1955 und 1975 in ein armes Elternhaus geboren wurde, hätte noch gute Chancen gehabt, selbst eine berufliche Top-Position zu erreichen – Talent und Ehrgeiz vorausgesetzt. Jenen mit einem Geburtsdatum nach 1975 helfen selbst diese Tugenden kaum: Sie „kleben am Boden fest“, lautet der Befund. Der soziale Status ist nämlich hochgradig vererbt.

Konkret heißt das: Wessen Vater zu den 10 Prozent mit den niedrigsten Einkommen zählte, der braucht in Österreich ganze fünf Generation, um auf das durchschnittliche Landesniveau zu kommen – das ist etwas länger als im OECD-Durchschnitt. In den USA sind es ebenfalls fünf, in Deutschland und Frankreich sogar sechs Generationen.

Noch dramatischer ist die Schieflage in Schwellenländern wie China und Indien (7 Generationen) oder Brasilien und Südafrika (9 Generationen). Am höchsten ist die soziale Durchlässigkeit noch in Dänemark ausgeprägt. Dort ist der Einkommens-Aufstieg aus ärmlichen zu normalen Verhältnissen in „nur“ zwei Generationen möglich.

Abstieg von ganz oben ist selten

Umgekehrt laufen auch reiche Kinder kaum Gefahr, einen sozialen Abstieg durchzumachen. Diese Starrheit in beide Richtungen ist nicht nur eine Frage von Ungerechtigkeit – sie ist ein ernsthaftes ökonomisches Problem, schreiben die  OECD-Experten: „Es bedeutet, dass viele Talente unterentwickelt bleiben und Geschäftsideen nie das Licht der Welt erblicken.“
Diese Perspektivenlosigkeit führe zu weniger Zufriedenheit und Wohlbefinden, steigere somit die Anfälligkeit für radikale Positionen und politischen Populismus. Der schürt wiederum bewusst Zukunftsängste, um die negativen Emotionen mit Scheinlösungen zu kanalisieren – eine Unheilsspirale.

Höheres Risiko für die Mittelschicht

Vergleichsweise größer ist die Einkommensmobilität für die Mittelschicht. Das bedeutet freilich nicht nur Aufstiegschancen, sondern auch höhere Abstiegsrisiken bei unerwarteten Schicksalsschlägen wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung. Über alle OECD-Länder betrachtet ereile dieses Schicksal (der Abstieg ins untere Fünftel) einen von sieben Mittelklassen-Haushalten über einen Zeitraum von fünf Jahren. Diese Bedrohung habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen, analysieren die Experten. Es zeichne sich eine "Spaltung" der Mittelschicht ab.

Dass größere Ungleichheit zwischen Arm und Reich einen Ansporn zum Aufstieg darstellt, wird von der OECD als Mär entlarvt. Es sei eher anders herum: In Ländern, wo die Ungleichheit geringer ist, ist die soziale Mobilität im Regelfall größer. Allerdings gibt es es Ausnahmen wie Österreich, Frankreich, Deutschland oder Ungarn: Dort sei die (Einkommens-)Ungleichheit zwar verglichen mit anderen OECD-Ländern gering, es sind allerdings auch die Aufstiegschancen nicht sehr ausgeprägt.

Jedes dritte Kind, dessen Vater Geringverdiener ist, wird ebenfalls Geringverdiener – in Deutschland sind es sogar 42%. Bei den restlichen zwei Dritteln beschränken sich die Aufstiegsmöglichkeiten hauptsächlich auf die nächsthöhere Einkommensgruppe.

Zuversicht eine Frage des Alters

Die Folgen der eingeschränkten Zukunftsperspektiven werden bereits sichtbar. Optimismus galt bisher als Domäne der Jugend: Wer sein Leben wie eine weiße Leinwand  vor sich hat, dem stehen alle Möglichkeiten offen. Nicht mehr. Heute sind die Schwarzmaler unter den Jüngeren zu finden. Eine US-Umfrage illustriert einen dramatischen Stimmungswandel:  Im Februar 2018 schauten Über-55-jährige US-Bürger erstmals mit mehr Zuversicht in die Zukunft als die Unter-35-Jährigen. Das gab es seit 1960, als diese Umfrage an der Universität von Michigan begonnen wurde, noch nie.

Nach 2015 ist die Erwartungshaltung der Millennium-Generation  konstant abgestürzt.  Ist das nur ein US-Phänomen? Nein, sagt die OECD. Ähnliches  lasse sich in allen reichen Nationen erkennen. So sehen auch  58 Prozent der Deutschen ein großes Risiko, dass ihre Kinder später einmal nicht denselben sozialen Status wie sie selbst erreichen werden.

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