Grüner und digitaler nach der Krise
KURIER: Wie ist Siemens als internationaler Konzern durch die Krise gekommen? Sie sind ja auch Zulieferer heikler Branchen wie Auto- und Flugzeugindustrie.
Wolfgang Hesoun: Wir haben ausreichend Liquidität und einen guten Mix bei Auftraggebern, Kunden und Zulieferern. Daher haben wir die ersten Monate gut geschafft. Aber das dritte Quartal wird wegen der Auftragsrückgänge sicher spannend. In Österreich ist es ein bisschen besser. In den sechs Werken wird voll produziert und keine Kurzarbeit benötigt.
Könnte in einzelnen Bereichen Kurzarbeit kommen?
Ja. Das hängt davon ab, ob wir unsere Produkte weiterhin verkaufen können und, ob es Unterbrechungen bei den Lieferketten gibt. Wir hatten Probleme in Italien, konnten diese aber durch die wieder angelaufene Lieferung aus China ausgleichen. Aber so glückliche Zufälle wird es nicht immer geben.
Welche Sparten laufen gut?
Die Nachfrage nach Automatisierungssystemen und Digitalisierung ist gut.
Gepusht durch Corona?
Nach der Krise wird die Digitalisierung sicher noch breiteren Raum einnehmen, weil das in der Regel die Produktivität steigert. Was für die Zeit danach wesentlich wird.
Was schwächelt?
Teile der Maschinen- und Autozulieferindustrie.
Die Autobranche hat schon vor Corona geschwächelt.
Die Zahl produzierter Autos wird nicht so schnell das Niveau von früher erreichen. Die Autobranche arbeitet daran, Europa als Produktionsstandort attraktiv zu halten.
Die Wirtschaftsministerin hat ein Infrastrukturpaket angekündigt, um die Wirtschaft zu stützen. Es gilt das Motto „kauft regional“. Das muss wie Musik in den Ohren einer in Österreich gut verankerten Firma klingen.
Es ist natürlich gut, wenn man sich auf lokale Produzenten besinnt. Für uns als Unternehmen ist aber die Nachhaltigkeit wichtig, um längerfristig zu planen. Da kommen wir mit vielen europäischen Regeln in Konflikt.
Etwa mit den EU-Wettbewerbsregeln?
Zum Beispiel. Aber ein Ziel ist es schon, ganz Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Es müsste das Prinzip des wechselseitigen Marktzugangs verbessert werden.
Wenn verstärkt in Europa produziert wird, werden aber auch die Waren teurer – wodurch man wieder weniger wettbewerbsfähig am globalen Markt ist.
Genau da spielen die Probleme hinein, über die man nachdenken muss. Wir sehen uns umgekehrt aber schon mit marktverzerrenden Situationen konfrontiert. Beispiel China: Es hat noch immer den Status als Entwicklungsland und darf subventioniert exportieren.
Die Corona-Krise hat Globalisierungsskepsis ausgelöst. Wie „böse“ ist die Globalisierung?
Es gibt sehr gute Aspekte der Globalisierung. Aber wenn ich an die Pharmaindustrie denke, wo nur noch ein oder zwei asiatische Unternehmen Wirkstoffe produzieren, sollte man schon fragen, ob das eine gesicherte Versorgung von Medikamenten ist, die uns in Europa ruhig schlafen lässt.
Haben Sie es als großer Konzern nicht leichter, Regierungshilfen abzuholen, als Kleinere, die mit Liquiditätsproblemen kämpfen?
Siemens wird nicht in die Situation kommen, sich unter dem Aspekt der Liquidität an die öffentliche Hand zu wenden.
Also auch keine Verstaatlichungsgefahr.
Kein Thema für uns. Wir sind sehr stark aufgestellt. In den letzten Monaten haben wir Anleihen zu sehr guten Konditionen aufgelegt. Unser Börsenkurs hat sich im Vergleich zum Mitbewerber recht gut erfangen. Das zeigt auch ein gewisses Vertrauen des Kapitalmarkts in die Siemens-Aktie. Trotzdem ist es wichtig und gut, dass die Staatshilfe greift. Wir haben Kunden und Lieferanten, die sie rasch brauchen.
Auch die Lufthansa stellt sich um Staatshilfe an. Wie groß wäre der Schaden, wenn es die AUA nicht gäbe?
Groß. Siemens lenkt von hier aus 20 Länder Südosteuropas, und ich habe die Möglichkeit, über Tagesrandverbindungen in fast alle am selben Tag hin- und wieder zurückzufliegen. Wir reisen 20.000 Mal im Jahr – wenn es nur einen Tag mehr kostet, weil wir über München oder Frankfurt fliegen müssten, würde das 20.000 zusätzlich zu bezahlende Arbeitstage bedeuten. Es ist wichtig für Wien, ein Drehkreuz zu sein. Österreich ist ja auch Standort für Headquarter für ganz viele Länder Osteuropas, so wie Siemens es auch betreibt.
Wird nach dieser Krise in den Konzernen nicht sowieso weniger geflogen?
Ja, es wird mehr virtuell stattfinden, aber sicher nicht alles. Persönliche Treffen schaffen schon eine andere Form der Kommunikation.
Wie geht es weiter beim Thema Ökologisierung? Vor der Corona-Krise hat Siemens-Chef Joe Kaeser einer „Fridays for future“-Aktivistin nach Kritik durch Umweltorganisationen sogar – vergeblich – ein Aufsichtsratsmandat angeboten.
Der Treiber für einen Wiederaufschwung nach der Krise wird auch das Thema Ökologisierung der Infrastruktur sein. Da haben wir ein gutes Portfolio bei Siemens. Es geht dabei auch um Smart City.
Wie smart ist eigentlich der Industriestandort Wien?
Sehr. Siemens ist mit Wien zum Beispiel seit vielen Jahren in der Seestadt Aspern im Rahmen der Aspern Smart City Research verbunden. Dort werden Dinge entwickelt, die weltweit zum Einsatz kommen. Da sind wir Frontrunner. Auch bei der Digitalisierung der Produktion waren wir immer vorne mit dabei.
Zu Jahresmitte wird ein neuer Präsident der Industriellenvereinigung gewählt. Als ehemaliger IV-Wien-Präsident sind Sie da auch mit im Gespräch. Nun wird auf offener Bühne ein Schaukampf um die Nachfolge von Georg Kapsch ausgetragen. Wer soll es werden?
Zu Namen möchte ich nichts sagen. Ich glaube, dass die Funktion des Präsidenten der Industriellenvereinigung in den nächsten Jahren wichtig ist. Dafür braucht es eine Person, die Erfahrung im Umgang mit allen – Regierung, Gewerkschaften, Arbeiter- und Wirtschaftskammer – hat.
Und was braucht der Standort Österreich jetzt?
Nach den Liquiditätsmaßnahmen und deren einfacher Umsetzung geht es darum, die Industrie- und Wirtschaftsstruktur zu erhalten.
Einen zweiten Shutdown können wir uns nicht leisten.
Ich fürchte, wir werden nicht gefragt, aber ich hoffe, er wird nicht stattfinden.
Gab es Erkrankungen bei Siemens?
Wir haben sehr rasch Maßnahmen ergriffen, 6.000 Mitarbeiter sind in Homeoffice gegangen, und bei der Produktion wurden sofort Distanzmaßnahmen und Masken eingesetzt. Hut ab und danke allen! Von 11.000 Mitarbeitern hatten wir 41 Infizierte, 35 davon haben sich daheim angesteckt.
Wo haben Sie selbst Ihr Zelt gerade aufgeschlagen?
Ich habe ein abbaubares Zelt und schwanke zwischen Homeoffice, Büro und einzelnen Terminen außer Haus. Meine Maske ist immer dabei.
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