„Sie haben Dollar, wir haben Allah“

Kapitaler Lira-Absturz: Investoren verlassen die Türkei in Scharen, Präsident Erdoğan wittert eine Verschwörung.

Dunkelgrauer Freitag für die Türkei: Die Landeswährung Lira stürzte gegenüber dem Dollar um bis zu 14 Prozent auf ein Rekordtief. Gegenüber dem Euro erging es der Lira nicht viel besser. Seit Jahresbeginn hat die Währung mehr als ein Drittel ihres Wertes verloren. Präsident Recep Tayyip Erdoğan rief seine Landsleute erneut auf, Euro, Dollar und Gold in die Landeswährung Lira zu tauschen, um sich gegen den „Wirtschaftskrieg“, der seiner Meinung gegen die Türkei geführt wird, zu stemmen. „Vergesst nicht: Wenn sie ihre Dollar haben, haben wir unseren Gott“, forderte er Einigkeit von den Türken ein.

Tatsache ist aber, dass die Probleme, in denen das Land steckt, vornehmlich hausgemacht sind. Tatsache ist aber auch, dass sich Wellen dieses Bebens bis nach Spanien ausbreiten könnten. Die Zutaten des türkischen Dilemmas:

Zentralbank

Die türkische Notenbank hat den Leitzins am 7. Juni zwar auf 17,75 Prozent angehoben. Es wäre aber ein viel rigoroseres Vorgehen nötig, um die galoppierende Inflation von zuletzt 15,4 Prozent in den Griff zu bekommen. Erdoğan hat aber immer wieder vor höheren Zinsen gewarnt, weil er nicht will, dass die Konjunktur abgewürgt wird. Damit hat er den Eindruck erweckt, dass er die Geldpolitik beeinflusst – ganz schlecht für ein Land, das Investitionen anziehen will. Die Rechnung für dieses Vorgehen, das viele verunsichert hat: Investoren ziehen scharenweise aus, Verkäufe setzen der Lira immer mehr zu. Eine Landeswährung im Keller bringt einen Teufelskreis: Importe werden immer teurer, die Inflation wird noch mehr angeheizt.

Sanktionen

Die US-Sanktionen gegen den Iran treffen auch die Türkei. Sind beide Länder doch wirtschaftlich eng verbunden. Jetzt wird aber die Türkei selbst von US-Maßnahmen getroffen. Im Streit um die Inhaftierung eines US-Pastors in der Türkei hat US-Präsident Donald Trump am Freitag die Zollkeule ausgepackt: Für Alu-Importe aus der Türkei sind ab sofort 20 Prozent, für Stahl-Einfuhren 50 Prozent Zoll fällig. Das bringt eine weitere Verunsicherung für türkische Wirtschaftspartner. Im Vorjahr ist die türkische Wirtschaft noch um rund sieben Prozent gewachsen. Die für heuer vorausgesagten 4,5 Prozent werden vermutlich nicht zu schaffen sein. Erste Experten sehen die Türkei sogar schon in die Rezession schlittern.

Milliardenlasten

Eine Türkei am Rande einer Wirtschaftskrise, das sich Waren aus dem Ausland nur noch schwer leisten kann, ist schon schlimm genug. Mit dem Lira-Verfall wird aber ein weiteres, viele Milliarden Euro oder Dollar schweres Problem immer größer: Banken rund um den Globus haben Unternehmen und Geldhäusern in der Türkei viel Geld geborgt. Die Kredite lauten oft auf Euro oder Dollar. Je billiger die Lira, desto schwerer wird es für die türkischen Kreditnehmer, ihre Schulden zurückzuzahlen. Aktuelle Zahlen der Bank für Internationale Zusammenarbeit zeigen, welche Summen Geldhäuser in der Türkei „im Feuer“ haben: Bei spanischen Banken sind es mehr als 82 Milliarden Dollar, bei französischen 38 Milliarden Dollar, bei britischen gut 19 Milliarden, bei italienischen und deutschen rund 17 Milliarden. Aus österreichischer Sicht ist dieses Problem mit rund einer Milliarde vergleichsweise winzig.

Mögliche Lösungen

Laut Experten könnte die Talfahrt der Lira durchaus gestoppt werden. Die Zentralbank müsse ihre Unabhängigkeit demonstrieren und den Leitzins rigoros um drei bis fünf Prozentpunkte anheben. Auch Kapitalverkehrskontrollen könnten eingeführt werden. Für Rhetorik allein ist es längst zu spät. Am Freitag half auch nicht, dass Finanzminister Berat Albayrak, Erdoğans Schwiegersohn, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank zusagte.

Türkei-Urlauber dürfen sich jedenfalls freuen: Für ihre Euro bekommen sie jetzt deutlich mehr Waren und Dienstleistungen als noch vor ein paar Tagen.

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