Wien-Tourismus-Chef Kettner: "Sehe mich in der Rolle des Spielverderbers"

Tourismus darf die Bevölkerung nicht zu sehr nerven, so das Credo des Wien-Werbers. Ein Gespräch über Fiaker, Polterabend-Touristen und Zinshäuser, in denen niemand mehr wohnt.
KURIER: Seit Montag hat auch Österreich die Einreisebeschränkungen aufgehoben, 3-G-Kontrollen an der Grenze sind damit Geschichte. Der Startschuss in einen guten Sommer?
Norbert Kettner: Das ist wie ein Booster für den Tourismus. Sobald Reisebeschränkungen fallen, packen alle ihre Koffer. Weltweit und unabhängig vom Reisebudget. Wir müssen jetzt alle Chancen nutzen, aber zugleich aufpassen, dass uns das später nicht um die Ohren fliegt.
Stichwort „Overtourism“. Wie wollen Sie verhindern, dass zu viele Touristen auf zu kleinem Gebiet sind?
Es ganz zu verhindern, ist unmöglich. Es werden nie alle zufrieden sein. An bestimmten Plätzen ist einfach wenig Platz und wenn dann beispielsweise auch mal ein Filmdreh dazu kommt, kann es auch eng werden. Das gehört zur Stadt. Aber es gibt ein paar Problemfelder, die man im Griff haben muss.
Zum Beispiel?
Die Kurzzeitvermietung in der Stadt. Wir sind nicht generell dagegen, dass Wohnungen an Touristen vermietet werden, aber das darf es nur in einem gewissen Rahmen geben. Wenn ganze Zinshäuser an Urlauber vermietet werden, verändert das den Charakter des ganzen Grätzels. Das geht nicht. Ich sehe mich oft in der Rolle des Spielverderbers. Zum Beispiel, als vor einigen Jahren ein Segway-Vermieter meinte, dass der WienTourismus ihn und seine geplanten Führungen am Zentralfriedhof unterstützen soll. Dafür gibt es aber keine Unterstützung mit öffentlichen Geldern. Da sag’ ich nein.
Sollen nur Fiaker und Co. beworben werden?
Die Fiaker-Pferde gehören zur Kulturstadt Wien (mehr zur aktuellen Debatte hier). Das kann man von diesen aufgeblasenen Golf-Carts nicht behaupten, die in der Innenstadt mit Gästen herumfahren. Sie machen das Stadtbild nicht wertiger. Eine Stadt ist kein Themenpark. Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht verramschen.
Aber auch mehr als die Oper und die Hofreitschule, oder?
Wir positionieren uns als Kongress- und Kulturstadt, wobei ich mit Letzterem nicht nur die Hochkultur meine. Wir müssen aber auch elegant dazu sagen, dass Wien eben nicht die Stadt der Wahl ist, wenn ich bloß billig Biertrinken und Polterabende feiern will.
Das Problem, dass Wien als billig gilt, hat die Stadt ja wohl kaum, oder?
Stimmt. Wir haben das Image, sehr formal – manchmal etwas steif – und teuer zu sein. Vor zehn Jahren hätte man gesagt, dieses Image müssen wir dringend korrigieren. Aber warum? Wenn die richtigen Leute uns so empfinden, ist es doch gut.
Apropos teuer. Es landen weniger Billigflieger in Wien Schwechat. Ist das Fluch oder Segen?
Also unter dem Strich haben wir jetzt nicht viel weniger Flugverbindungen als vor der Pandemie. Das ist gut so. Man darf aber nicht glauben, dass mit Billigfliegern ausschließlich Gäste kommen, die billig Urlaub machen wollen. Im Gegenteil. Was sie beim Flug sparen, geben sie in der Stadt aus. Was uns derzeit hart trifft, ist das Ausbleiben mancher Langstreckenflüge.
In den Hotelbetrieben fehlen währenddessen österreichweit kolportierte 25.000 Mitarbeiter. Was muss hier passieren?
Das ist kein Problem, das nur der Staat lösen kann. Hier müssen sich die Unternehmen auch selbst fragen, wie sie qualifizierte Leute bekommen und wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen. Wenn die Branche so ernst genommen werden möchte wie die Industrie, muss sie auch als Arbeitgeber so auftreten wie die Industrie.
Konkret?
Ganzjahresjobs mit guten Bedingungen schaffen. Es gibt auch so etwas wie soziale Nachhaltigkeit, diese wird im Wettbewerb um Mitarbeiter immer wichtiger. Immer nur nach Förderungen zu rufen, halte ich jedenfalls für den falschen Weg.
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