Schramböck zu zweitem Lockdown: "Habe keine Glaskugel"
KURIER: Müssen die Menschen jetzt mehr Angst vor dem Virus oder vor einem Jobverlust haben?
Margarete Schramböck: Die Menschen sollen sich weder vor dem einen noch vor dem anderen fürchten. Aber es geht da auch um die Eigenverantwortung. Jeder kann mit dem eigenen Verhalten die Jobs der Eltern oder der Geschwister retten. Denn die meisten Ansteckungen geschehen im familiären Umfeld.
Und wenn die Zahlen weiter steigen?
Wir müssen die Zahl der Neuinfektionen unbedingt senken. Gerade die Reisewarnungen zeigen, dass diese nicht nur ein Thema für den Tourismus sind, sondern für die gesamte Wirtschaft.
Könnten Sie sich also vorstellen, dass es außerhalb der eigenen vier Wände eine generelle Maskenpflicht gibt?
Welche Maßnahmen notwendig sind, ist Aufgabe des Gesundheitsministeriums. Ich sehe aber die Dringlichkeit, die Infektionen im privaten Bereich zu reduzieren.
Droht ein zweiter Lockdown?
Ich habe keine Glaskugel. Auch in Israel hat sich niemand einen zweiten Lockdown vorstellen können. Und mit Sorge blicke ich auch nach Tschechien oder New York und Madrid.
Aber ein zweiter Lockdown wäre der Tod für die Wirtschaft.
Natürlich muss ein zweiter Lockdown unter allen Umständen vermieden werden. Deshalb werden jetzt massiv Cluster rasch identifiziert und entsprechend isoliert.
Sie wollen eine Vorverlegung der Sperrstunde in Wien von 01.00 Uhr auf 22.00 Uhr. Rettet das die Wirtschaft?
Wien ist keine Insel, sondern eine der größten Städte in Europa mit einem entsprechenden Mobilitätsfaktor. Zehntausende Menschen pendeln trotz Homeoffice täglich nach und aus Wien. Das hat einen gewaltigen Impact. Auch auf die Wirtschaft. Gerade deswegen müssen in Wien die Infektionszahlen gesenkt werden. Da muss mehr getan werden.
Aber dann feiern die Leute halt privat weiter....
Und genau da setzt die Eigenverantwortung ein. Jeder muss sich bewusst sein, dass es nicht nur um die eigene Gesundheit oder die der Mitmenschen geht. Da geht es auch um die Wirtschaft.
Wäre nicht der schwedische Weg auch ein Ansatz: Eigenverantwortung und offenlassen, was geht?
Ich bin weit vom schwedischen Weg entfernt. Die Todeszahlen dort sind enorm hoch und die Wirtschaft liegt dort ja am Boden. Unser Weg ist da sicher der bessere. Also eine Kombination aus generellen Maßnahmen und Eigenverantwortung.
Kommen wir zu den Hilfsmaßnahmen: Die Hälfte der 50 Milliarden ist bereits ausgegeben.
Das sehe ich nicht negativ. Es wurde viel Geld beansprucht, um konjunkturell positive Maßnahmen zu setzen. Ein Beispiel: Die bisher ausbezahlten 1,5 Milliarden an Investitionsprämien haben bereits 15 Milliarden an Folgeinvestments aus der Wirtschaft ausgelöst. Das wird noch mehr. Also trotz Krise wird mehr investiert.
Aber was, wenn die 50 Milliarden aufgebraucht sind?
Die Geschwindigkeit mit der die Gelder abgeholt und beansprucht werden, ist geringer geworden. Etwa im Bereich der Garantien.
Also werden vielleicht gar nicht alle 50 Milliarden benötigt?
Das hängt von den Wintermonaten ab. Da wird es spezielle Maßnahmen brauchen. Sollten die 50 Milliarden tatsächlich nicht reichen, wird man nachschießen müssen.
Sie setzen zur Schaffung von neuen Jobs voll auf die Digitalisierung. Soll eine arbeitslose Flugbegleiterin jetzt Programmiererin werden?
Wir müssen allen Menschen helfen, die jetzt durch die Krise in die Arbeitslosigkeit geraten sind. Wir haben 700 Millionen für Umschulungen bereitgestellt. Und ja: es erhöht einfach die Chancen am Arbeitsmarkt, wenn man sich im Bereich der Digitalisierung ausbilden und schulen lässt.
Kommen wir zum Streit zwischen der Regierung und der EU wegen des Fixkostenzuschusses. Zunächst hatte die EU die direkten staatlichen Zuschüsse auf 800.000 Euro pro Unternehmen begrenzt. Nach Protesten vom Finanzminister sind es jetzt zwei Millionen.
Das zeigt Bewegung in die richtige Richtung. Wir wünschen uns fünf Millionen. Wir werden weiter Druck machen.
Sollte sich der Staat bei strukturell gesunden Unternehmen nicht vorübergehend beteiligen, bevor sie durch die Krise in die Pleite schlittern?
Wir haben durch verschiedene Maßnahmen wie etwa die Garantien versucht, das Eigenkapital in den Unternehmen zu stärken. Solche Mechanismen helfen eher als direkte staatliche Beteiligungen.
Es wird oft kritisiert, dass durch die Hilfspakete jetzt auch Firmen mitgetragen werden, die eigentlich insolvent sind.
Ich verstehe diese Kritik überhaupt nicht. Die österreichische Wirtschaft und die KMU waren vor der Krise sehr gesund. Im Durchschnitt gab es in Österreich in den vergangenen zehn Jahren 5.200 Insolvenzen pro Jahr. Das ist in Relation zu den hunderttausenden Betrieben ein sehr geringer Anteil.
Wie lange wird die Krise dauern?
Dazu gibt es keine seriöse Antwort. Was ich aber erkennen kann, sind weltweit die intensiven Anstrengungen der Forschung, um rasch Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. Das stimmt mich positiv.
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