Schluss mit "grauslichem Kaffee"
Wo gibt’s schon so einen perfekten Mix aus Fifties, Italo-Stehkaffee und österreichischer Institution? Der frühere Mobilfunk-Manager Patrick Schönberger hat vor einem Jahr das Naber Kaffee in Wien-Wieden übernommen. In dem winzigen, 1958 gegründeten und mittlerweile denkmalgeschützten Lokal pflegt er Kaffee-Kultur auf höchstem Niveau. Mehr als 40 verschiedene Röstungen aus italienischen und österreichischen Privatröstereien lassen sich verkosten – und natürlich auch kaufen. Dazu gibt’s perfekte Croissants. Außerdem einen Schanigarten.
Die Stimmung ist familiär. Um neun Uhr morgens schaut die Stammkundschaft auf einen Kaffee vorbei, Eilige holen einen Coffee to go. RTL-Journalistin Antonia Rados schneit herein und lässt sich beim Bohnen-Kauf beraten; ein amerikanisches Folk-Musik-Duo auf Europa-Konzertreise scherzt mit dem Besitzer.
Nespresso ist kein Feind
Barista-Kurse gibt es hier übrigens auch. Und selbst jene, die daheim nur eine Nespresso-Maschine stehen haben, können dafür eigene Naber-Kapseln kaufen. Nespresso sieht Schönberger nicht als "Feind": Der Weltkonzern Nestlé habe die Sinne der Konsumenten geschärft, dass Kaffee unterschiedlich schmecken und cool sein kann.
Schon vor 20 Jahren hat Schönberger in einem Aufnahmegespräch für T-Mobile als Traumziel "ein eigenes Kaffeehaus" genannt. Den Job bekam er damals trotzdem. Seine laut Eigendefinition "goscherte" Art gefiel danach aber nicht allen Kollegen. Und er selbst hatte auch irgendwann einmal von der Management-Mühle genug. Ihn plagte ein Gefühl, das Führungskräften nicht fremd sein dürfte: "14 Stunden in sinnlosen Besprechungen sitzen, dann Dutzende Mails beantworten, und danach noch immer das Gefühl haben, nichts gearbeitet – und außerdem viel grauslichen Kaffee getrunken – zu haben."
Bittere Wahrheiten
Aber warum schmeckt der Kaffee selbst in angesehenen Kaffeehäusern oft so schlecht und bitter? Schönbergers Erklärung: zu wenig Hygiene. Bei ihm wird die Maschine täglich eine halbe Stunde lang geputzt. Außerdem enthalte eine Tasse Espresso hier deutlich mehr Kaffee als bei der Konkurrenz, behauptet er.
Schönbergers vorläufige Bilanz: "Ein Kaffeehausbetrieb ist unplanbar." Am liebsten habe er Demos, die halb Wien lahmlegen, scherzt er. Denn dann sei bei ihm die Bude voll. Was ihn stört? Dass die Lohnkosten so hoch sind, dass er keine Vollzeitjobs schaffen könne. Ganz zu schweigen von den bürokratischen Auflagen. Wobei: "Haben Sie schon einmal in einem deutschen Großkonzern gearbeitet? Dagegen ist der österreichische Beamtenstaat hocheffizient!"
Früher habe er gut verdient, das Geld habe er nun "verbraten". Jammern ist dennoch seine Sache nicht. "Ich habe Riesenspaß."
Wer gut drei Tassen Kaffee am Tag trinkt, liegt genau im Österreich-Schnitt. Zumindest laut den Zahlen des Tchibo-Kaffeeberichtes, der den Österreichern einen Pro-Kopf-Konsum von 8,4 Kilo im Jahr zuschreibt. Noch mehr Kaffee trinken nur die Finnen, der europäische Durchschnittsverbrauch liegt bei jährlich knapp fünf Kilo.
Dass die Österreicher Kaffeetrinker sind, haben auch Supermarktmanager bemerkt. Nicht zufällig setzen sie Kaffee traditionell als Lockmittel ein und bieten großzügige Rabatte für Vorratskäufe. Ein relativ neues Phänomen ist aber, dass sich parallel dazu verstärkt Spezialröstereien etablieren, die sich im Hochpreissegment positionieren. Johannes Hornig, Chef der gleichnamigen Grazer Kaffeerösterei, spricht von einem Revival der kleinen Röstereien. Ein Phänomen, das es auch in Deutschland gibt, belegen Aufzeichnungen des Deutschen Kaffeeverbandes.
Deutlich mehr Röster Demnach haben in den 50 Jahren bis zur Jahrtausendwende zahlreiche Röster das Handtuch geworfen: In Deutschland ging die Zahl der Röstereien von 2000 auf etwa 100 zurück. In den vergangenen 16 Jahren stieg die Zahl allerdings wieder auf 600, so die Schätzungen der Branchenvertreter. Wie es dazu gekommen ist, liegt für den Stuttgarter Wirtschaftswissenschaftler Henry Schäfer auf der Hand: Es ist wieder chic, regional einzukaufen. Die Bohnen kommen zwar aus fernen Ländern – das größte Kaffee-Anbauland der Welt ist Brasilien – durch die Röstung vor Ort bekommt die Bohne aber ein Lokalkolorit. Viele Röstereien werben zudem damit, dass sie ihre Kaffeelieferanten kennen und die Anbaugebiete genau unter die Lupe genommen haben. Diesen Weg schlägt auch der Grazer Röster Hornig ein, der seit 2011 zu 75 Prozent dem Hamburger Großröster J. J. Darboven gehört. „Rund 10.000 Kilometer ist Johannes Hornig, Geschäftsführer der Österreichischen Rösterei J. Hornig, geflogen, um sich direkt vor Ort anzusehen, woher die Bohnen für JOHO’s Guatemala, einem der drei Direct-Trade-Spezialitätenkaffees aus seinem Unternehmen, kommen“, ließ das Unternehmen kürzlich ausrichten. Der Rohkaffee werde ohne Zwischenhändler direkt beim Produzenten gekauft.
Laut Hornig ist es den Konsumenten immer wichtiger zu wissen, woher die Bohnen kommen und unter welchen Bedingungen sie geerntet wurden. Das zeigen auch die Verkaufszahlen von Fairtrade-Kaffee, die seit Jahren steigen. In Österreich mitunter um Raten jenseits der 20-Prozent-Marke.
Der Oldenburger Umweltökonom Niko Paech lässt sich von all dem nicht beeindrucken und betont, dass Kaffee trotz allem einen „signifikanten ökologischen Fußabdruck“ hat. Wer wirklich nachhaltig handeln wolle, solle den Konsum einschränken, meint er. Den Hype um Spezialitäten-Kaffee hält er für modernen Hedonismus. Paech: „Es gehört zur Selbstdarstellung, sich mit einem Produkt zu schmücken, das krass anders ist.“
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