Schiffsfracht droht Chaos wegen ungeklärter Brexit-Frage

Schiffsfracht droht Chaos wegen ungeklärter Brexit-Frage
Die ungeklärte Brexit-Frage könnte die internationale Schifffahrt durcheinander bringen

Der 29. März 2019 könnte als einer der kuriosesten Tage in die Geschichte der internationalen Frachtschifffahrt eingehen. Nur noch knapp sechs Wochen dauert es bis zu diesem Tag, an dem es einen geordneten, ungeordneten oder gar keinen Brexit geben wird. Schiffe, die von Großbritannien nach Asien oder umgekehrt fahren, brauchen inzwischen jedoch länger und wissen somit bei ihrer Abfahrt noch gar nicht, unter welchem Zollregime sie ankommen werden – ob dann EU-Zölle, höhere WTO-Zölle oder ganz andere Tarife gelten.

Für Exporteure kann das zu horrenden Zusatzkosten führen, denn die Schiffe müssten entweder in Hafennähe in Warteposition gehen, die Güter im Hafen in „Quarantäne“ geben, einen anderen Hafen ansteuern oder gar wieder umkehren. Bleiben die Schiffe länger als gewöhnlich in den Häfen, wird Standgeld fällig, und das rechnet sich in der Regel nicht.

Totaler Kollaps

Kommt es zu einem Brexit ohne Abkommen mit der EU, droht sogar ein noch größeres Chaos. Da derzeit nicht genug Zollpersonal zur Verfügung steht und deshalb auf den Straßen mit Staus zu rechnen ist, dürfte sich das laut Experten auch auf die Häfen auswirken und auch dort zu Rückstaus führen.

Häfen funktionieren jedoch nach bestimmten Rhythmen. Wenn diese gestört werden – wenn sich ein Hafen etwa immer mehr mit Containern füllt und immer weniger Bewegungsspielraum für den Abtransport besteht –, kann es zu einem Kollaps kommen. Den Hafen wieder in Schwung zu bringen, dauert meist viel länger, Branchenkenner sprechen von einigen Tagen oder Wochen.

Das wiederum würde die internationale Schifffahrt aus dem Gleichgewicht bringen. Viele Schiffe fahren auf der ganzen Welt in Loops herum, zum Beispiel von China nach England, weiter nach Hamburg und wieder retour. Schiffe, die in England festhängen, würden auch andere Häfen verspätet erreichen.

Vorsorge treffen

„Für Großbritannien können die Rückstaus starke Auswirkungen haben, deutsche und holländische Häfen könnten indirekt betroffen sein. Für Österreich sehen wir somit ein minimales Risiko“, sagt Robert Hartmann, Geschäftsführer der Quehenberger Air & Ocean GmbH. Er rät dennoch zur Vorsorge. „Wichtig ist, dass die Spediteure vorbereitet sind und alternative Verkehrsträger anbieten oder über andere Häfen ausweichen können“, sagt Hartmann.

Drei Szenarien

Konkret sind drei Szenarien denkbar, die auf Exporteure zukommen können:

Abkommen: Akzeptiert    das britische Parlament  den mit der EU    bereits ausverhandelten Austrittsvertrag doch noch,   ist eine zweijährige Übergangsfrist vorgesehen, in der Großbritannien wie ein EU-Mitglied behandelt wird. In dieser Zeit muss ein neues Abkommen ausverhandelt werden.

Verschiebung: Der Austritt wird vom 29. März auf einen späteren Zeitpunkt  verlegt. Genannt wird hier  oft Juli. Am 2. Juli beginnt die   Legislaturperiode des neu gewählten  EU-Parlaments. Bis  dahin könnten theoretisch die britischen EU-Abgeordneten   interimistisch verlängert werden und es bräuchte im Mai keine EU-Wahl auf der Insel. Einer Verschiebung  müssten aber alle EU-Länder zustimmen.  Sollte sie  fixiert werden, bleibt Großbritannien bis dahin ein EU-Mitglied. 

Kein Abkommen: Großbritannien ist ab 30. März kein EU-Mitglied mehr, tritt bei einem harten Brexit  automatisch aus   Binnenmarkt und Zollunion aus. Nach  den Regeln der Welthandelsorganisation WTO wird das Land zu einem Drittstaat wie   etwa China oder Japan. In diesem Fall gelten Zölle  samt Warenabfertigungsverfahren bei der Ein- und Ausfuhr.

Die EU hebt  bei Drittstaaten Zölle in unterschiedlicher Höhe ein. Im Schnitt beträgt der EU-Drittland-Zollsatz 4 bis 5 Prozent –  bei Pkw sind es z.B. 10 Prozent, bei  Orangensaft 12 Prozent oder 8,8 Prozent auf Melonen. Viele Agrarprodukte   haben flexible Einfuhrzölle, abhängig von der Höhe des Einfuhrpreises. Weiters verlieren auf der Insel zugelassene Produkte ihre Gültigkeit in der EU.

Die Hersteller müssten eine Zulassung für z.B. Medikamente in einem EU-Land beantragen, sofern sie das noch nicht getan haben. Großbritannien kündigte an, mit allen wichtigen Handelspartnern  Abkommen abschließen zu wollen. Mit der Schweiz wurde ein solches schon unterzeichnet. Laut Spiegel  gibt es  noch Verträge mit den Färöer Inseln, Südafrika und Chile. Wie weit die Verhandlungen mit anderen Ländern sind und ob Post-Brexit-Verträge bereits am 30. März in Kraft treten, ist unklar.   anita staudacher

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