Schelling will Karussellbetrug stoppen

Karussellbetrug: Waren werden zwischen EU-Ländern im Kreis geschickt, der Steuerbetrüger taucht inzwischen ab.
Österreichs Fiskus verliert Hunderte Millionen Euro - EU soll jetzt Kompetenzen abgeben.

Des is a Hetz und kost’ net vü“: Das alte Wienerlied mag für Kinder-Ringelspiele gelten, aber sicher nicht für Umsatzsteuer-Karusselle. Diese Form der organisierten Kriminalität kostet die EU-Finanzminister jährlich geschätzte 50 Milliarden Euro an Steuereinnahmen, rechnete Tschechiens Finanzminister Andrej Babis vor: „Das ist mehr als das EU-Budget.“

Von Karusselbetrug ist die Rede, weil dabei Waren zwischen mehreren Ländern im Kreis geschickt werden. Die Umsatzsteuer wird von einem oder mehreren Lieferanten in Rechnung gestellt, aber nie an den Staat abgeführt. Der Empfänger der Ware, der die Steuer bezahlt, kann sie sich beim Weiterverkauf vom Finanzamt zurückholen (Vorsteuerabzug). Weil meist viele Zwischenhändler beteiligt sind, ist der Betrüger kaum auszuforschen.

Österreich als Pilotland

Genaue Zahlen lägen nicht vor, der Schaden für Österreich betrage aber jedenfalls „mehrere Hundert Millionen Euro“, sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling am Montag nach dem Treffen mit vier Amtskollegen in Wien. Diese fordern von der EU mehr nationale Kompetenzen, um gegen den Betrug aktiv werden zu können.

Österreich will diese Allianz mit Tschechien anführen. Die beiden Nachbarländer wollen in Pilotprojekten austesten, ob sich der Betrug durch die Umkehr der Steuerschuld („Reverse Charge“) wirksam bekämpfen ließe. Dabei führt nicht der Lieferant, sondern der Empfänger die Steuer ab. Das sei innerhalb von 24 Monaten realisierbar.

EU-Kommission skeptisch

Wenn da nicht noch ein kleines Hindernis wäre. Bei der Mehrwertsteuer hat nämlich die EU das Sagen. Und in Brüssel reagierte man über die Schelling-Ankündigungen in Wien zunächst einmal überrascht. Bisher hatte die EU-Kommission stets Bedenken, ob die Umkehr der Steuerpflicht nicht zu neuen Problemen führt. Deshalb ist das Betrugsbekämpfungsrezept bisher nur für einzelne, in der Vergangenheit besonders anfällige Produktkategorien zugelassen – in Österreich sind das etwa der Bausektor, Handel mit Handys oder Laptops oder Schrott. Auch beim Großhandel mit Strom und Gas oder bei CO2-Zertifikaten gelten Sonderregeln.

Das reicht aber nicht, sind die fünf Finanzminister überzeugt: Sie wollen, dass die EU-Staaten selbst Schwellenwerte einführen dürfen, ab denen sich die Steuerpflicht umdreht – die Rede war von 5000 oder 10.000 Euro. Oder sie wollen zumindest selbst definieren, bei welchen Produkten und Branchen „Reverse Charge“ greift.

Rund zehn Länder

Schelling und Co. erhöhen dafür den Druck auf die EU-Kommission. Schon in den nächsten Tagen wollen sie ihr Positionspapier an Brüssel übermitteln. Bis Juni erwarten sie die Entscheidung der EU-Kommission darüber.

Neben seinen Kollegen aus Osteuropa weiß Schelling in dieser Sache „rund zehn Länder“ an seiner Seite – darunter seien auch die baltischen Staaten, Rumänien Deutschland, Italien, mit Abstrichen auch Polen.

Fünftel mehr Umsatzsteuer

Für Ungarns Wirtschaftsminister Mihaly Varga steht außer Frage, dass sich der Vorstoß bezahlt macht. Sein Land habe gute Erfahrungen mit der umgekehrten Steuerpflicht gemacht: 2014 sei um gut 20 Prozent mehr Umsatzsteuer hereingekommen.

Das wird Schelling freuen. Er hat eingeplant, dass Österreichs Umsatzsteuer-Einnahmen bis 2019 um ein Fünftel steigen – von zuletzt 25,5 auf fast 31 Milliarden Euro. Darin ist freilich nicht nur der Karussellbetrug enthalten, sondern auch die Registrierkassenpflicht, die SOKO Versandhandel und die höheren Umsatzsteuertarife für Produkte wie Saatgut, Kinotickets und Ab-Hof-Wein.

Warum sind die Umsatzsteuer- Betrüger so schwer greifbar? Weil Scheinfirmen gegründet werden, die verschwunden sind, noch bevor sie belangt werden können. Im Schnitt betrage deren Lebenszeit in seinem Land 23 Tage, sagte Tschechiens Finanzminister. „Der Rekord ist acht Stunden – jemand hat die Firma gegründet, Mehrwertsteuer nicht bezahlt, ist pleitegegangen.“

Umkehr der Steuerschuld

Noch bevor die Zahlungspflicht anfällt, ist der Importeur schon untergetaucht („Missing Trader“). Verhindern lässt sich das, wenn nicht der Lieferant, sondern der Empfänger von Waren oder Leistungen die Steuer abführen muss. Weil so die Steuerpflicht vom Anfang der Lieferkette ans Ende wandert, ist auch von „Reverse Charge“ die Rede.

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