Schellhorn: "Ohne Markt kein Sozialstaat"

Schellhorn: "Ohne Markt kein Sozialstaat"
Der Journalist Franz Schellhorn baut eine neue liberale Denkfabrik auf.

KURIER: In Österreich soll das Wasser vor Privatisierung geschützt werden. Was denkt sich da ein Wirtschaftsliberaler?

Franz Schellhorn: Das ist eine aufgebauschte Nicht-Debatte, während wirkliche Probleme unangetastet bleiben.

Die da wären?

Der Bevölkerung sind sie ohnehin bekannt: Sicherung der Altersversorgung. Oder: Wie ist der soziale Sektor dauerhaft zu finanzieren? Wie ist das öffentliche Bildungsangebot zu verbessern?

Wer sich so wie Sie liberal nennt, kommt schnell in den Geruch, „neoliberal“ zu sein.

Das typische Totschlagargument, das gerne von den Gegnern jeglicher Veränderung benutzt wird. Wir sind keine ideologische Veranstaltung, sondern marktwirtschaftlich orientiert. Und wir arbeiten ergebnisoffen.

Österreicher sind staatsgläubig. Wollen Sie das verändern?

Das kann ein Ergebnis unserer Arbeit sein. Im Zentrum steht die Frage, wie der Wohlstand in diesem Land mit kleinen Korrekturen abgesichert werden kann.

Reichen kleine Korrekturen? Die Ratingagentur Fitch warnt Österreich vor einer kommenden dramatischen Alterskrise.

Hier sind entweder immer wieder schrittweise kleine Korrekturen nötig, oder es wird – wenn man längere Zeit nichts tut – eine sehr große Korrektur nötig sein.

Sie sind kein Freund des Kammerstaats. Viele Experten sehen die Sozialpartnerschaft aber als Stärke Österreichs.

Die grundsätzliche Frage ist, ob es zu Beginn des dritten Jahrtausends eine gute Idee ist, Leute zu einer Mitgliedschaft zu zwingen. Die Sozialpartnerschaft hat ihre Verdienste als Instrument vergangener Zeiten. Die Bevölkerung braucht aber neue Antworten, und wir werden sie liefern.

Werden Sie Themen wie das Wasser behandeln?

Schellhorn: "Ohne Markt kein Sozialstaat"
Wie man mit Wasser umgeht, wird auch ein Thema sein. Oder wenn eine Partei sagt: Sieben Euro pro Quadratmeter Miete reichen. Dann werden wir in relativ kurzer Zeit aufzeigen, was das bedeutet.

Marktwirtschaft bedeutet in den Augen vieler Österreicher, nur etwas für die Starken und wenig für Schwache zu tun. Die Marktwirtschaft ist eine fehleranfällige Wirtschaftsordnung, aber immer noch die beste, die wir kennen. Und die einzige, die das Geld erwirtschaftet, das dann großflächig umverteilt werden kann: ohne Marktwirtschaft kein funktionierender Sozialstaat!

Ist die Umverteilung zu hoch?

Es fällt auf, dass es noch immer Armut gibt in Österreich, obwohl jährlich 90 Milliarden Euro umverteilt werden, um die Armut zu senken.

Steigt die Armut in Österreich wirklich? Oder glauben wir das wegen tendenziöser Studien?

Ja. Zum Beispiel hat die Studie eines bekannten Wirtschaftsforschungsinstituts ergeben, dass die realen Lohneinkommen stark gesunken sind. Man hat die Statistik nicht um den wachsenden Teilzeit-Sektor bereinigt. Dadurch sank der Median-Lohn, obwohl die Haushalte mehr verdient haben.

Könnte Migration ein Faktor sein, weshalb Armut in Österreich wachsen könnte?

Österreich schafft es bisher leider am schlechtesten von allen Kern-EU-Ländern, qualifizierte Arbeitskräfte von außerhalb der EU anzuziehen. Auch hier braucht es neue Lösungen.

Gibt es Bereiche der Daseinsvorsorge, die in öffentlicher Hand bleiben sollten?

Wir gehen ohne Scheuklappen an das Thema heran. Wenn aber eine gemeinnützige Wasserversorgung binnen drei Jahren wie in Wien 191 Millionen Gewinn erwirtschaftet, dann ist der Begriff gemeinnützig vielleicht verkehrt. Das ist ein gewinnorientiertes Wasser-Unternehmen. Warum muss das die Gemeinde machen? Müllabfuhr wird von Privaten hervorragend erledigt. Ein öffentliches Monopol ist übrigens nicht besser als ein privates – beide gehen zulasten der Verbraucher.

Privatisierungsbefürworter bekommen immer ein Gegenargument zu hören: In Großbritannien sei die Eisenbahn privatisiert worden, worauf das Schienennetz herunterkam und die Preise explodierten.

Gegen Privatisierung gibt es einen guten Schutz: ordentliche Haushaltsführung der Kommunen. Verkauft wird ja immer erst dann, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, weil man sich die Investitionen schon jahrelang nicht mehr leisten konnte, wie dies bei der britischen Bahn der Fall war. Die mangelhafte Infrastruktur wurde dann den Privatbetreibern angelastet. Natürlich gibt’s auch Beispiele, wo Privatisierungen nicht funktionierten.

Im Telekommunikationsbereich haben heimische Konsumenten vom Wettbewerb profitiert.

Es hat meistens funktioniert. Wobei es zum Beispiel bei der Gesundheitsvorsorge kaum ein Land gibt, das so stark privatisiert hat wie Österreich: Wir gehören zu den Ländern mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für die private Zusatzversicherung. Ein starkes Zeichen, dass diese Debatte nicht ehrlich geführt wird.

Wären Sie eine Woche Finanzminister, was würden Sie tun?

Wir machen zwar keine Politik, aber um das Potenzial in diesem Land zu heben, müssten die Staatsausgaben unter 50 Prozent und die Abgabenbelastung unter 40 Prozent des BIP gedrückt werden. Die Menschen brauchen mehr Freiraum, damit sie aus eigener Arbeit wieder zu einem bescheidenen Vermögen kommen können. Wenn man dann auch noch wie in der Schweiz die Brutto-Bruttolöhne ausweist (Bruttogehalt zuzüglich der Arbeitgeberbeiträge, Anm.), würden die Arbeitnehmer sehen, wie hoch ihr Markteinkommen eigentlich wirklich ist, und wie wenig ihnen netto davon übrig-bleibt. Das, was da abgezogen wird, ist einfach zu hoch.

Gibt es Leute in der heimischen Politik, die die Fahne des Marktliberalismus hoch halten?

Derzeit ist das marktwirtschaftliche Denken unterdurchschnittlich ausgeprägt, die Staatsorientierung dominiert. Wir sind überzeugt, dass in diesem Land enormes Potenzial liegt, dass Österreich weit besser dastehen könnte. Man muss den Automatismus durchbrechen, dass steigende Einnahmen immer mit steigenden Ausgaben verbunden sind. Der Staat hat noch nie so viel kassiert, und es reicht trotzdem nicht.

Der Journalist und ausgebildete Ökonom Franz Schellhorn (43) wird Leiter des österreichischen Thinktanks nach dem Vorbild der Schweizer „Avenir Suisse“. Vier bis sechs Wissenschaftler werden gerade aufgenommen, für Mai/Juni ist der Start geplant. Nicht-staatliche Financiers (die veröffentlicht werden) garantieren Unabhängigkeit. Dem wissenschaftlichen Beirat wird der deutsche Volkswirt Karl-Heinz Paqué vorsitzen. Agenda Austria will ohne externe Aufträge Fragen stellen und Antworten liefern, die das Land „weiterbringen“.

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