Scheidende Börse-Chefin: Hoffen, dass sich die Stimmung dreht

Birgit Kuras: Manche ihrer Anliegen wurden zwischen den Ministerien "hin- und herjongliert".
Birgit Kuras über die Investitionszurückhaltung der Firmen und Wünsche an die Politik.

Birgit Kuras verlässt Ende Mai ihren Top-Job. Ihre Bilanz.

KURIER: Blicken Sie zurück im Zorn?

Birgit Kuras: Nein. Aber natürlich hat es Situationen gegeben, die mich wütend gemacht haben: Wenn sich manches über Jahre zog – und zwischen Ministerien hin- und herjongliert wurde.

Zum Beispiel?

Wir haben einen dritten Markt, einen Bereich mit weniger harschen Regulatorien für kleine Unternehmen. Aber dieser Markt ist in Wahrheit nicht begehbar. Da kämpfen wir schon seit Jahren um eine Lösung. Deutschland hat sie. Wobei man schon sagen muss: Ein kleines Unternehmen ist nicht risikoloser als ein großes. Auch für ein Delisting (Börse-Abgang, Anm.) sollte es einfache, klare Regeln geben.

Prinzipiell sind die Börse-Umsätze gestiegen. Neuzugänge gab es zuletzt aber nicht, sondern sogar Abgänge wie Miba.

Wir haben eine sehr schöne Ergebnisentwicklung. 2014 gab es Börsezugänge, das war ein tolles Jahr. Corporate Bonds gehen in den letzten Jahren sehr gut.

Was in Zeiten niedriger Zinsen logisch ist.

Das ist schon richtig. Im Eigenkapital waren wir 2014 mit über vier Milliarden sehr, sehr gut. Im Moment sind die Unternehmen sehr verhalten, was IPOs (Börsen-Neuzugänge, Anm.) betrifft.

Und es gibt eine starke Investitionszurückhaltung.

Stimmt, wir haben kaum Erweiterungsinvestitionen. Die Unternehmen sind gut aufgestellt, sie würden Kapital nur für große Investitionen brauchen. Aber da halten sie sich extrem zurück.

Welche Vorteile bringt eine Börsenotierung?

Viele. Ein von mir hochgeschätzter CEO sagt immer: "Der Vorteil ist, dass ich da schon in vielen Bereichen grüne Hakerl machen kann." Das Unternehmen ist transparent, wird laufend geprüft. Börsenotierung macht es viel einfacher, qualifiziertes Personal zu bekommen, Kapital aufzunehmen, am internationalen Markt zu bestehen. Betrachten Sie die voestalpine – ein einst hochdefizitäres Unternehmen, das nun Weltmarktführer ist.

Der jetzige SPÖ-Infrastrukturminister und sein Vorgänger halten die Privatisierung dennoch für einen Fehler.

Das ist unverständlich und ich kann nur sagen: Ich habe noch miterlebt, wie viele Milliarden Schilling des Staates dort hineingeflossen sind. Und jetzt ist es ein Paradeunternehmen! Die Börse bringt viel, betrachten Sie Rosenbauer oder Palfinger: Kleine Unternehmen, die ebenfalls Weltmarktführer wurden. Für Markenartikler ist auch die mediale Aufmerksamkeit durch den Börsegang ein Plus. Wenn Unternehmen aber gar nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen, dann ist die Börse kein geeignetes Instrument.

Dann geht man vielleicht lieber nach Panama.

(lacht) Genau.

Kann eine so kleine Börse in einem so kleinen Land denn international Wind machen?Wir sind eine höchst internationale Börse. Amerika ist traditionell die größte Investorengruppe.

Was halten Sie dann von der Abwehr gegen den Freihandelspakt TTIP? Es herrscht ziemlich amerikafeindliche Stimmung in Österreich.

Manchmal hat man schon ein wenig den Eindruck, dass die USA Europa als Hampelmann benutzt. Siehe die Russland-Sanktionen: Die einzigen, die davon profitieren, sind die Amerikaner.

Die Osteuphorie ist vorbei. Eine Fusion mit der Warschauer Börse ist vom Tisch, oder?

Ja. Aber wir haben viele Kooperationen mit Börsen in den Ostländern.

Was wünschen Sie Ihren Nachfolgern?

Ich will ihnen nichts öffentlich ausrichten. Wir sind ja viel bei den Unternehmen draußen und sehen, dass die Finanzierung im vorbörslichen Bereich wahnsinnig schwierig ist. In Österreich gibt es zu wenig Risikokapital. Nehmen Sie den Bereich Biotechnologie. Da kommen dann amerikanische Investoren, die Österreich aber nicht als nachhaltigen Wirtschaftsstandort betrachten.

Wegen hoher Steuern, mangelnder Rechtssicherheit, Unternehmerfeindlichkeit?

Ein Sammelsurium. In den USA ist man wesentlich unternehmensorientierter.

Das bedeutet dann, dass Zukunftstechnologien von Österreich abgezogen werden?

Ja, es könnte dann sehr rasch gehen, dass man diese Unternehmen verliert. Wir stehen im Wettbewerb: Jedes Unternehmen kann es sich aussuchen, wo es an die Börse geht.

Und was ist, wenn die Telekom die Wiener Börse verlässt?

Das wäre sehr schade. Ein Telekommunikationsunternehmen gehört in einen entwickelten Kapitalmarkt.

Die Politik scheint der Kapitalmarkt nicht zu interessieren.

Ausgerechnet ein roter Finanzminister – Ferdinand Lacina – hat seinerzeit ein echtes Kapitalmarktpaket geschnürt und Investitionsbegünstigungen geschaffen. Das brauchen wir wieder. Jetzt tut sich wenig. Insofern ist die Umsatzentwicklung der Börse eh sehr gut.

Ist das auch nachhaltig?

Wenn sich das wirtschaftliche Umfeld stabilisiert, dann werden wieder Börsegänge kommen. Österreich hat Vorzeige-Unternehmen, auch im Familienbereich. Es geht oft nur um den kleinen Funken, der die Stimmung wieder dreht. Dazu müsste sich auch herumsprechen, dass es an der Börse um ganz tolle Unternehmen geht und nicht um Zocker und Spekulanten.

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