Mit dem ständigen Raunzen in Österreich, speziell in Wien, hat Christina Wilfinger so ihre Probleme. Die Österreich-Chefin der deutschen Software-Konzerns SAP ortet eine große Grundskepsis und Mutlosigkeit bei heimischen Betrieben. Sie selbst lebt lieber nach dem Motto "Ärmel hochkrempeln und tun", was die Zukunft bringe, wisse ohnehin niemand.
Im KURIER-Interview spricht sie über zu hohe Erwartungen beim Thema Künstliche Intelligenz (KI), warum es trotzdem nicht ohne geht, was flexible Arbeitszeiten bringen und welche Wünsche sie an die kommende Regierung hat.
KURIER: Die Wirtschaft schwächelt, die Auftragslage ist schlecht. Wie geht es SAP in Österreich? Christine Wilfinger: Wir können zufrieden sein, vor allem weil wir viele Bestandskunden haben. Wir sehen aber, dass eine gewisse Verunsicherung herrscht und Investitionsentscheidungen aufgeschoben werden, vor allem in der Autozulieferindustrie. Grundsätzlich vermisse ich eine gewisse Aufbruchstimmung, also Ärmel hochkrempeln und tun, auch wenn niemand weiß, wie die Lage in sechs oder 18 Monaten aussehen wird. Da gehört natürlich auch eine gewisse Portion Mut dazu.
Apropos Aufbruchstimmung. In der Technologiebranche ist nach dem KI-Hype der vergangenen Jahre die Luft etwas draußen. Spüren Sie das? Ich bin mit dem Begriff Hype vorsichtig. Die Technologiebranche hat sich in den letzten Jahren extrem positiv entwickelt, wir sind ein Herzstück jeder Industrie geworden. Das spiegelt sich einfach in den Zahlen wider. Ohne Infrastruktur, ohne KI-Unterstützung wird die Zukunft einfach nicht mehr funktionieren. Tatsächlich hat KI seit dem Launch von ChatGPT eine gewisse Breitenwirkung erreicht. Die Frage lautet nun aber, wie integriere ich das Thema in meine vorhandenen Geschäftsprozesse?
Es gibt erst wenige profitable Geschäftsmodelle mit KI. Waren die Erwartungen zu hoch? Kann sein, dass die Erwartungshaltung zu groß war. Der Einsatz von KI-Anwendungen rechnet sich halt nicht in sechs Monaten. Bis da wirklich der Euro rauspurzelt und sich im Ergebnis widerspiegelt, kann es schon dauern. Viele Anwendungen haben aber nicht nur einen finanziellen Mehrwert, sondern ersparen viel Zeit oder machen Daten besser nutzbar. Zwei Stunden Zeitersparnis sind auch etwas wert. Vor allem, wenn man dadurch kreativere Leistungen mit Mehrwert bringen kann.
Das Unternehmen SAP mit Sitz in Walldorf wurde 1972 gegründet und ist der weltgrößte Business-Software-Anbieter. 99 der 100 größten Unternehmen sind Kunden. Der Konzern beschäftigt 105.000 Mitarbeiter in 157 Länder, davon 600 in Österreich, der Frauenanteil beträgt 40 Prozent. CEO ist Christian Klein
Im abgelaufenen Geschäftsjahr betrug der Umsatz 31,2 Mrd. Euro, 45 Prozent des Umsatz entfällt auf Europa, 41 Prozent auf Amerika.
Christina Wilfinger (41) ist seit 2021 Geschäftsführerin von SAP Österreich. Zuvor war sie 4 Jahre lang im Führungsteam von Microsoft in Österreich
Sind österreichische Firmen gegenüber jenen anderen Ländern zurückhaltender beim KI-Einsatz? Das Bewusstsein in der Vorstandsetage ist da, die konkrete Umsetzung fällt tatsächlich vielen noch schwer. In Österreich herrscht eine gewisse Grundskepsis neuen Themen gegenüber, schon allein wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. . Das war auch beim Cloud-Computing so. Und die entsprechende Fehlerkultur ist bei uns nicht ausgeprägt.
Hat sich der IT-Fachkräftemangel durch die Wirtschaftsflaute entspannt? Nicht wirklich. Spezialisten im SAP-Umfeld gibt es nach wie vor zu wenige in Österreich und ganz Europa. Und in den nächsten Jahren gehen viele Baby Boomer und damit viel Know-how in Pension, da wird die Lage nicht besser werden. Um nicht von einzelnen Köpfen abhängig zu werden, geht es auch verstärkt um Themen wie Standardisierung in der IT.
Müssen wir in Zukunft länger oder kürzer arbeiten? Das ist eine verengte Debatte, denn das Thema Arbeitszeit verändert sich mit der KI stark. Es geht in vielen Branchen nicht mehr darum, 33, 38 oder 42 Stunden zu arbeiten, sondern darum, was tatsächlich geleistet wird, also um den Output, die Wertschöpfung. Natürlich, wenn alle 10 Stunden weniger arbeiten und dann entsprechend weniger leisten, wird das nicht funktionieren. Da wird das Wirtschaftssystem kollabieren. Es muss der Leistungsgedanken erweitert werden.
Soll das Pensionsalter auf 67 erhöht werden? Wir brauchen in dieser Frage zumindest mehr Flexibilität. Viele Mitarbeiter wollen länger arbeiten, es braucht es mehr Anreize, damit sich das auch auszahlt.
Es sind bald Wahlen. Wünsche an die neue Regierung? Bitte mehr Miteinander statt Gegeneinander. Gerade in einem kleinen Land wie Österreich, wo wir stark von internationalen Kooperationen abhängig sind, müssen wir stärker zusammenhalten.
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