"Santas Werkstatt" in Yiwu: Wo der Christbaumschmuck herkommt

Rote Sterne für Europa: Arbeiter beim Färben der Christbaumschmucks in einer Fabrik in Yiwu
Zwei Drittel der weltweit verkauften Weihnachtsdeko wird in einer einzigen Kleinstadt in Ost-China hergestellt.

Überall funkelt und glitzert es, batteriebetriebene Plüsch-Weihnachtsmänner spielen am Saxophon „Jingle Bells“, künstliche Schneeflocken rieseln vom Plastik-Christbaum zu Boden: Weihnachten in Yiwu. Das ganze Jahr über. Eine gute Superschnellzug-Stunde von Chinas Metropole Schanghai entfernt wird hier alles produziert, was die Welt für das schönste Fest des Jahres zu benötigen glaubt. Vom unvermeidlichen Christbaumkugel-Set samt wackeligem Stern über Lametta aus Kunststoff bis zur Lichtergirlande aus winzigen Lämpchen, deren Illumination oft schon am Entwirren derselben scheitert. „Santas Werkstatt“, schreiben chinesische Medien stolz, befinde sich schon lange nicht mehr am Nordpol, sondern in Yiwu.

Weihnachtsdeko-Artikel im Wert von drei Milliarden Euro werden hier jährlich von hunderttausenden Wanderarbeitern in mehr als 600 Fabriken hergestellt.

"Santas Werkstatt" in Yiwu: Wo der Christbaumschmuck herkommt

Händler am"Weihnachts-Markt von Yiwu

Laut chinesischer Nachrichtenagentur Xinhua deckt die ostchinesische Stadt in der Provinz Zhejiang damit zwischen 60 und 70 Prozent des weltweiten Bedarfs. Ein Drittel der Waren wird in die USA exportiert, der Rest nach Europa.

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In jedem Haushalt

Sehr wahrscheinlich findet sich auch in fast jedem Haushalt in Österreich ein Stück aus Yiwu. Die Importe aus Fernost steigen von Jahr zu Jahr kräftig an. Kamen vor zehn Jahren erst rund zehn Prozent der importierten Weihnachtsartikel aus China, waren es im Vorjahr schon 40 Prozent. Laut Daten der Wirtschaftskammer wurden allein 2018 Weihnachtsartikel (ausgenommen Kerzen, Christbaumständer und natürliche Bäume) im Wert von 13 Millionen Euro eingeführt. Dazu noch Weihnachtsbeleuchtung im Wert von fast 15 Millionen Euro. Bei der elektrischen Beleuchtung kommen bereits 75 Prozent der Importe aus dem Reich der Mitte.

Längst dominant ist „Made in China“ bei Christbaumkugeln und allerlei sonstigem Baumbehang, der oft billig im Set bei heimischen Supermärkten, Baumärkten oder Diskontern erhältlich ist. Auch bei Krippenfiguren und künstlichen Christbäumen haben die Chinesen heimischen Anbietern oder europäischen Importeuren den Rang abgelaufen.

In Österreich schloss schon vor Jahren der letzte größere Christbaumkugel-Hersteller Krebs & Söhne. Viele Kunsthandwerksbetriebe und kleinere Glasmanufakturen spezialisieren sich längst auf höherwertige Ware. Immer ersichtlich ist die Herkunft der oft losen Stücke für Konsumenten leider nicht.

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Plastikbäume kommen vor allem aus Yiwu

Einkauf im August

Wenn in Österreich das Weihnachtsgeschäft richtig beginnt, ist es in Yiwu längst gelaufen. Die jährliche Bescherung findet dort schon im August statt, wenn internationale Großhändler in „Chinas Weihnachtsdorf“ (Eigendefinition) pilgern, den gigantischen Markt stürmen und containerweise Ware ordern.

Die Auswahl fällt nicht leicht. Auf dem riesigen Marktareal bieten 75.000 Ladengeschäfte nicht weniger als 1,8 Millionen Produkte feil. Nicht nur Weihnachtsdeko wird hier für den Weltmarkt produziert, auch Spielzeug, Schmuck, kleine Haushaltswaren, Autozubehör sowie Kleinkrimskrams aller Art. Laut Weltbank ist der „Yiwu-Market“ der weltweit größte Großhandelsmarkt für allgemeine Waren, quasi der Inbegriff von „Made in China“. Immerhin ein Drittel des Paketversandvolumens von ganz China wird dieser Region zugeordnet.

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Pakerlstress durch das verstärkte Online-Shopping via Alibaba

Vorzeigestadt

Wegen seiner strategisch günstigen Lage hat die chinesische Führung Yiwu schon nach der Öffnung des Landes in den 1980er-Jahren als Chinas „Tor zur Welt“ auserkoren. Aus der einstigen Provinzstadt mit 75.000 Einwohnern entwickelte sich dank Massen-Billigproduktion eine Metropole von heute 1,1 Millionen Einwohnern. Seit ein paar Jahren setzt die Stadt stark auf den eCommerce. Tausende eCommerce-Experten wurden ausgebildet, ein Logistikpark samt Freihandelszone errichtet und die lokalen Online-Shops mit den großen Portalen von Alibaba, Amazon oder eBay vernetzt. Wer nicht selbst nach China reisen will, ordert die Ware bequem per Mausklick – auch in hoher Stückzahl.

Per Bahn bis Prag

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2017 fuhr der erste Direktzug von Yiwu nach London

Kugeln und Lametta werden immer öfter klimafreundlich per Bahn nach Europa geliefert. Yiwu gilt als Vorzeigestadt für das chinesische Mega-Infrastruktur-Projekt „Neue Seidenstraße“, das den Handel mit Westeuropa weiter ankurbeln soll. Zwischen Yiwu und dem 13.000 Kilometer entfernten Madrid verläuft seit 2017 die längste Bahnstrecke der Welt – durch acht Länder. Seit zwei Jahren fahren Exportzüge auch jede Woche direkt nach London und Prag. Insgesamt 16 Tage ist der Zug von der Ostküste Chinas in die tschechische Hauptstadt unterwegs. Auf dem klassischen Seeweg dauert es gut zehn Tage länger. Am Bahntransport über die Seidenstraße und der Weiterverteilung der Waren von Prag in weite Teile Zentral- und Osteuropas ist auch der österreichische Logistikanbieter cargo-partner beteiligt.

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Die Weihnachtsmütze als Schutz: Arbeiter in einer Fabrik in Yiwu

Arbeitsleid

Kein Weihnachten feiern die Wanderarbeiter in Yiwu. Viele kennen die Bedeutung von Weihnachten gar nicht, sie tragen die roten Zipfelmützen als Staubschutz bei der Arbeit. In den Fabriken wird zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche gearbeitet. Oft unter prekären Arbeitsbedingungen. Menschenrechtsorganisationen prangern immer wieder Kinderarbeit – etwa in der Lametta-Fabrik – sowie fehlende Schutzbekleidung beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien an.

So werden viele Figuren noch per Hand mit Farben besprüht. Recherchen vor Ort sind schwierig, es dringt wenig nach außen. Zumindest das Lohnniveau soll zuletzt deutlich gestiegen sein. Dies bringt wiederum die Lieferanten unter Druck: Produzieren sie nicht billig genug, wandert „Santas Werkstatt“ in noch billigere Regionen ab. Sorgen bereitet auch der Handelsstreit mit den USA, der zu Absatzeinbrüchen führte.

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