Russland verliert gegen Yukos-Aktionäre
Während Moskaus Kassenwarte noch rechneten, wie die Ausfälle kompensiert werden können, die durch neue westliche Sanktionen wegen der Ukraine drohen, schlug der Blitz ein zweites Mal ein. Auf die Regierung kommen Entschädigungen in Höhe von 50 Mrd. US-Dollar für ehemalige Aktionäre des Ölförderers Jukos zu.
Moskau hat ganze zehn Tage Zeit für eine Berufungsklage. Zwar kündigte Außenminister Lawrow an, Russland werde sich mit allen Mitteln wehren. Doch Experten veranschlagen die Erfolgschancen als eher gering.
Kunst beschlagnahmt
Man zieht Parallelen zur Noga-Affäre. Wegen ausgebliebener Öllieferungen im Tausch gegen Pestizide und Kindernahrung hatte das Schweizer Handelshaus Mitte der Neunzigerjahre die russische Regierung geklagt und Kompensationen von fast 700 Mio. Dollar erstritten. Weil Moskau nicht zahlen wollte, hatten die Eidgenossen in spektakulären Aktionen weltweit versucht, russisches Eigentum zu konfiszieren: Immobilen, Flugzeuge, Leihgaben des Puschkin-Museums für eine Ausstellung in Paris und sogar ein historisches Segelschulschiff. Erst 2006 kam es zu einem Vergleich.
Doch die Noga-Forderungen waren eine Bagatelle im Vergleich zu dem, was auf Moskau in der Causa Jukos zukommt. Es geht um eine Summe, die in etwa dem entspricht, was die Olympischen Winterspiele in Sotschi kosteten. Und die Kriegskasse ist nicht nur deshalb mehr oder minder leer.
Den sogenannten "Fond für nationalen Wohlstand", in den der Goldregen aus den Energieexporten floss, der über Russland zu Beginn des neuen Jahrhunderts niederging, zehrte schon die Weltwirtschaftskrise 2009 mehr oder minder auf. An deren Folgen krankt das Land bis heute. Wachstumsprognosen wurden schon vor den Sanktionsdrohungen kontinuierlich nach unten korrigiert, für 2014 ist derzeit von maximal 1,3 Prozent die Rede. Für Schwellenländer ein Negativrekord. Steuererhöhungen sind daher schon längst kein Tabu-Thema mehr. Geplant ist neben einer Reichensteuer auch die Anhebung der Umsatzsteuer von 18 auf 20 Prozent.
Zwar hieß es ursprünglich, die Grausamkeiten würden erst nach den Präsidentenwahlen 2018 greifen. Doch das war vor den Sanktionsdrohungen und vor dem Haager Urteil. Seit gestern wird von Vorverlegung der Maßnahmen gemunkelt.
Oktober 2003: Yukos-Konzernchef Michail Chodorkowski wird festgenommen. Dem Multimilliardär werden Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Sein Geschäftspartner Platon Lebedew war im Juli verhaftet worden. Die Generalstaatsanwaltschaft beschlagnahmt mehr als 50 Prozent der Yukos-Aktien.
Mai 2004: Im ersten Urteil gegen Yukos verpflichtet ein Moskauer Schiedsgericht das Unternehmen zu Steuernachzahlungen von umgerechnet rund 2,8 Milliarden Euro. Im Juni wird das Urteil rechtskräftig. Anschließend werden alle Geschäftskonten gesperrt.
Dezember 2004: Der wichtigste Förderbetrieb des Unternehmens wird für etwa sieben Milliarden Euro zwangsversteigert. Damit ist der einstmals größte russische Ölkonzern praktisch zerschlagen.
Mai 2005: Chodorkowski und Lebedew werden unter anderem wegen schweren Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu je neun Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Berufungsgericht reduziert die Strafe auf je acht Jahre Haft.
August 2006: Das Insolvenzverfahren gegen den zerschlagenen Konzern wird eröffnet. Hauptgläubiger sind der staatliche Konkurrent Rosneft und die Steuerbehörden. Im November 2007 wird das Unternehmen nach dem Verkauf der Teile aus Russlands Handelsregister gelöscht.
März 2010: Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg fordern ehemalige Yukos-Eigentümer von Russland 98 Milliarden Dollar Schadensersatz. Auch der Schiedsgerichtshof in Den Haag wurde eingeschaltet.
Dezember 2010: Ein Gericht verurteilt Chodorkowski und Lebedew in einem zweiten Prozess unter Einbeziehung der ersten Strafe zu insgesamt jeweils 14 Jahren Haft. Es folgen Strafnachlässe.
Dezember 2013: Der russische Präsident Wladimir Putin begnadigt Chodorkowski. Sein frühere Geschäftspartner Lebedew kommt im Jänner 2014 frei.
Juli 2014: Das Ständige Schiedsgericht in Den Haag verurteilt Russland wegen der Zerschlagung des Öl-Konzerns zur Zahlung von 50 Milliarden Dollar (37,2 Mrd. Euro) an die ehemaligen Yukos-Großaktionäre. Demzufolge war der Grund für die Zerschlagung von Yukos nicht das Eintreiben von Steuern gewesen, sondern den Konzern in den Bankrott zu treiben.
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