Wirtschaft schwächelt, aber Putin kann Krieg theoretisch "in alle Ewigkeit" führen

Wladimir Putin
Am Tag eines EU-Gipfels, auf dem über die Verwendung eingefrorener russischer Milliarden gesprochen sowie ein 19. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen wird, drängt sich einmal mehr die Frage auf: Wie lange wird der Zermürbungskrieg gegen die Ukraine noch dauern? Wie lange kann sich der Herr im Kreml seinen Feldzug angesichts der wirtschaftlichen Probleme daheim und immer neuer Sanktionen des Westens noch leisten? Hat Wladimir Putin gar kein Interesse an einem Waffenstillstand?
Neue Sanktionen
In der Nacht auf Donnerstag sagte US-Finanzminister Scott Bessent, es solle schon bald schärfere Sanktionen gegen Russland geben. Kurz darauf wurde klar: Die USA setzen Russlands Ölriesen Rosneft und Lukoil samt Dutzenden Töchtern neu auf die Sanktionsliste. Ziel ist, Kreml-Einnahmen zu drosseln.
Erst am Montag hat der Innsbrucker Politikwissenschafter und Russland-Experte Gerhard Mangott in der ZiB 2 gemeint, von einem unmittelbar bevorstehenden Kollaps der russischen Wirtschaft könne keine Rede sein. „Finanzieren kann Russland diesen Krieg sicher noch eineinhalb bis zwei Jahre“, so Mangott.
„Beinahe-Stagnation“
Dem widerspricht in gewisser Weise der Ökonom und Russland-Experte am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), Vasily Astrov.
Ja, die westlichen Sanktionen würden in Summe wirken, insbesondere das westliche Exportverbot für High-Tech-Equipment etwa für die Luftfahrtbranche oder die Ölindustrie. Dadurch nehme die russische Wirtschaft auf Dauer gehörigen Schaden. Und ja, die Wirtschaft Russlands schwächle. War der Kreml noch 2023/24 mit Wachstumsraten von mehr als vier Prozent verwöhnt, so sei jetzt eine Phase der „Beinahe-Stagnation“ mit einem Wachstum von lediglich 1,2 Prozent heuer und 1,4 Prozent 2026.
Höchstes Defizit seit Corona
Auch das Budgetdefizit steige in diesem Jahr auf 2,5 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit der Corona-Pandemie.
Aber – und das ist der entscheidende Punkt: Putin könne die Neuverschuldung leicht finanzieren. Einmal durch einen weiteren Griff in die Reserven des staatlichen Wohlfahrtsfonds, dessen Volumen zwar massiv gesunken sei, in dem aber immer noch liquide Mittel in Höhe von 1,5 Prozent vom BIP vorhanden seien. Und außerdem könne sich Moskau leicht bei russischen Banken Geld besorgen und müsse nicht auf internationale Geldgeber hoffen. Zudem sei die Staatsverschuldung mit 16 Prozent komfortabel niedrig (Österreich: 80 Prozent).
Astrov ist daher überzeugt, dass Putin den Krieg „viel länger“ werde führen können als von Mangott prophezeit. wiiw-Direktor Mario Holzner glaubt gar, Russland könne den Krieg gegen die Ukraine „theoretisch in alle Ewigkeit fortführen“.
Dennoch muss Moskau sparen. Weil die Zinsen mit 17 Prozent sehr hoch sind (der Hauptgrund für den Abschwung), müssen die Ausgaben sinken und die Einnahmen steigen. Das führte zur Erhöhung der Steuern auf private Einkommen und Unternehmensgewinne. 2026 wird auch die Mehrwertsteuer steigen, die Militärausgaben sollen um 6 Milliarden Euro oder 0,3 Prozentpunkte des BIP gekürzt werden. Das bremse das Wachstum ebenfalls.
Weitere Gebiete
Und dennoch habe Putin kein Interesse an einem Waffenstillstand. Denn die russische Führung glaubt, sie werde weitere Gebiete in der Ukraine erobern.
Für die EU und Osteuropa werde Russlands „hybrider Krieg“ gegen den Westen zu einem immer größeren Problem. Investoren hassen Unsicherheit. Dennoch bleibe Osteuropa für Österreich eine Wachstumsregion, wenn auch in abgeschwächter Form.
KOMMENTAR: Wer den längeren Atem hat
von Michael Bachner
In der Ukraine steht der nächste kalte Winter bevor. Die permanenten russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur sollen die Bevölkerung zermürben. Putin hat kein Interesse an Diplomatie oder ruhenden Waffen, er will weitere Gebiete erobern. Dass Moskau den Krieg noch lange durchhalten kann, zeigt ein Blick in die Wirtschaftsdaten.
Auch wenn Europa in Zukunft kein Öl und Gas aus Russland mehr beziehen wird, ändert das die Situation nicht grundlegend. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Wie lange können die Ukraine und ihre Unterstützer im Westen den Krieg durchhalten?
Eine gar nicht so neue Idee, die frische Hilfsmittel für die Ukraine frei machen soll, birgt diesbezüglich ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Die Verwendung der 140 Milliarden Euro an russischem Vermögen, das im Westen eingefroren wurde. Konfisziert die EU diese Gelder, ist die Antwort absehbar: die Verstaatlichung westlicher Firmen in Russland.
Zwar haben viele Russland verlassen, aber krallt sich Putin etwa die russische Tochter der Raiffeisenbank International, wird auch die bisherige Position der österreichischen Regierung zu Sanktionen auf eine harte Probe gestellt.
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