Rumänien: Die Schattenseiten der Arbeitsmigration
Für personalintensive Branchen ist Rumänien ein Land zum Verzweifeln. "Die Aufträge sind da, aber wir finden einfach kein Personal mehr", seufzt Viktor Wagner, Chef des Wiener Reinigungsdienstleisters Reiwag, der in Rumänien schon 1000 Mitarbeiter beschäftigt. Mit Shuttle-Bussen holt er inzwischen seine Beschäftigten schon weit außerhalb der Hauptstadt Bukarest ab.
Der heimische Verpackungskonzern Constantia Flexibles warf schon im Vorjahr das Handtuch. Für die nächste Expansion fehlten die Arbeitskräfte, also siedelte der Konzern wieder aus Rumänien ab. Die 90 betroffenen Fabriksarbeiter in Bukarest fanden binnen weniger Tage neue Jobs – bei österreichischen Unternehmen. "Das Arbeitskräftereservoir ist erschöpft, der Arbeitsmarkt praktisch leergefegt", schildert Gerd Bommer, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Bukarest, die Lage.
Mit 4,8 Prozent hatte Rumänien 2017 eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in der EU. In vielen Ballungszentren herrscht de facto Vollbeschäftigung, Tausende Stellen bleiben unbesetzt. Wer arbeitslos gemeldet ist, ist laut Bommer entweder von staatlicher Fürsorge abhängig, arbeitet im informellen Sektor oder wohnt irgendwo am Land und ist nicht mobil. "Für viele Rumänen am Land sind die Mieten in den Städten nicht leistbar."
3 Millionen im Ausland
Der Grund für die Personalnot ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Schon drei Millionen Rumänen arbeiten im EU-Ausland, davon 1,25 Millionen in Italien, 750.000 in Spanien und etwa 112.000 in Österreich (12.500 davon haben inzwischen die österr. Staatsbürgerschaft). Unter den Arbeitsmigranten sind viele hoch qualifizierte Fachkräfte, Ärzte und Pflegekräfte, aber auch Handwerker, Bau-und Leiharbeiter.
Brain-Drain
Arbeitsmarkt-Experten beklagen sowohl einen massiven "Brain-Drain" (Talenteabwanderung), als auch negative Auswirkungen auf das Gesundheits- und Sozialsystem. Seit der Ost-Erweiterung haben schätzungsweise 15.000 Ärzte das Land verlassen. Wer es sich leisten kann, flüchtet zur Behandlung ins Ausland. Die Versorgung am Land ist katastrophal und weitgehend Hilfsorganisationen übertragen.
Die rumänische Regierung versucht zwar, mit Rückkehr-Programmen und höheren Mindestlöhnen gegenzusteuern, ist bisher aber nur in Nischen wie der Software-Branche damit erfolgreich. Bei den in vielen Branchen nach wie vor exorbitant hohen Lohn-Differenzen zwischen Rumänien und den westlichen EU-Staaten ist das auch wenig verwunderlich. Der Brexit könnte zumindest unfreiwillige Heimkehrer bringen. "Der Brexit war das Positivste, was Rumänien passieren konnte", meint Bommer. Viele Rumänen dürften trotzdem in andere EU-Länder weiterziehen: "Sie kommen aus zwei Gründen nicht zurück: Wegen der Probleme im Bildungs- und im Sozialsystem."
Moldawier kommen
Um Personallücken zu schließen, sollen die Moldawier einspringen. Aber die wollen gar nicht in Rumänien bleiben. Wer nachweisen kann, dass ein Vorfahre Rumäne war (das können viele Moldawier, Anm.), erhält einen rumänischen Pass und damit die Arbeitserlaubnis in der EU. Geschätzte 400.000 Moldawier sollen bereits ausgewandert sein, offizielle Zahlen dazu sind nicht zu bekommen.
Migrationsexperte Rainer Münz vom European Political Strategy Center der EU-Kommission malt bei einer Diskussion der Wirtschaftskammer in Wien eine düstere Zukunft für Moldawien: "Es gibt etwa drei Millionen Moldawier im arbeitsfähigen Alter, wenn die alle weggehen, gibt es Moldawien nicht mehr." Die rumänische Wirtschaft möchte den Arbeitsmarkt für Ukrainer weiter öffnen, doch die Regierung legte sich bisher quer. In Polen, wo ebenfalls akuter Arbeitskräftemangel herrscht, soll die Zahl der ukrainischen Arbeitskräfte hingegen auf zwei Millionen verdoppelt werden.
Lehre als Exportgut
Wegen der hohen Arbeitsmigration liegt auch die berufliche Ausbildung in Rumänien im Argen. Die duale Ausbildung wie in Österreich wurde schon vor längerer Zeit zugunsten der schulischen aufgegeben. Um mehr Fachkräfte für die Wirtschaft auszubilden, versucht die Wirtschaftskammer jetzt das österreichische Lehrlingssystem zu exportieren. Ein schwieriges Unterfangen, wie Bommer berichtet: "Wir finden einfach keine Jugendlichen, die eine Lehre machen wollen. Alle wollen in weiterführende Schulen gehen und einen Uni-Abschluss haben."
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