Rüstungsindustrie stellt sich neu auf
Zur eher durchwachsenen Leistungsbilanz der scheidenden Regierung gehört der Umstand, dass sie das seit Jahrzehnten schwer belastete Verhältnis zwischen Politik und der Sicherheits- und Verteidigungsbranche der Wirtschaft normalisiert hat. Gerade zum richtigen Zeitpunkt: Denn die Unternehmer brauchen einen freien Rücken für eine EU-Rüstungsinitiative.
Als neutraler Kleinstaat zwischen den Militärblöcken NATO und Warschauer Pakt konnte Österreich früher die notwendige Versorgungssicherheit mit Rüstungsgütern nur durch viel Eigenproduktionen sichern. Anfang der 60-er Jahre begann eine intensive Kooperation zwischen dem Bundesheer und den damals noch verstaatlichten Rüstungsunternehmen. Gemeinsam entwickelt wurden Schützenpanzer, Jagdpanzer und die dazugehörigen Bergepanzer. Zur Erfolgsgeschichte wurden auch die geländegängigen "Pinzgauer" und die Lkw-Transportflotte.
Sturmgewehr
Das legendäre Sturmgewehr 77 stammt ebenfalls aus gemeinsamen Forschungslabors. Auch Maschinengewehre, Granatwerfer und die Munition kamen aus nationaler Fertigung. Und die Glock-Pistole würde es ohne Heeresauftrag in der Form ebenfalls nicht geben.
Es war eine militärisch-wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Doch dann erschütterte eine Serie von Skandalen im Zusammenhang mit Waffenexporten die Republik. Die handelnden Politiker waren in der Doppelrolle als Eigentümervertreter der Unternehmen und gleichzeitig als politisch Verantwortliche für die staatlichen Kontrollsysteme überfordert. Einerseits lenkten sie die Geschicke der Rüstungsbetriebe, andererseits mussten sie die umstrittenen Exportbewilligungen unterzeichnen. Rasch wollten sie die ungeliebte Rüstungssparte loswerden. Die Konzernstrukturen wurden zerschlagen. Einzelne Sparten, etwa die Kanonenproduktion, wurden stillgelegt. Gleichzeitig wurde ein restriktives Exportgesetz beschlossen, das Exporte bis heute extrem erschwert. In Jahr 2004 resümierte das Nachrichtenmagazin profil: "Österreichs Rüstungsindustrie steht vor dem Aus. Zählten Rüstungsbetriebe wie Noricum, Hirtenberger, Assmann und Dynamit Nobel in den 80-er Jahren noch 15.000 Beschäftigte, so finden heute in dieser Branche gerade mal ein paar hundert Arbeit."
Demilitarisierung
Die nächste Demilitarisierungswelle traf das Bundesheer. Das Verteidigungsbudget wurde radikal reduziert. Damit war für die Wirtschaft auch das Heer als Kunde verloren. Im Jahr 2015 stellte der Generalstab in einem Bericht an das Parlament die militärische Handlungsfähigkeit infrage.
Der neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil trat an mit dem Ziel, dass Heer wieder instand zusetzen. Sein Konzept bedeutete die Neusaufstellung des Bundesheeres. Neben neuen Fahrzeugen sind vor allem moderne Aufklärungsmittel und Ausrüstung für Cyberwar gefragt.
Rasch stellte sich nun das Problem: Ohne potente Partner in der Wirtschaft ist das 1,3 Milliarden Euro schwere Beschaffungspaket nicht umzusetzen. Doch mit welcher Wirtschaft? Mit den letzten Resten der zerstörten Rüstungsindustrie?
Eine Bestandsaufnahme ergab einen erstaunlichen Befund: Nach dem Zusammenbruch der klassischen Rüstungsindustrie hatte sich ein Cluster innovativer Unternehmen entwickelt.
Die neue, österreichische Sicherheits- und Verteidigungsbranche umfasst etwa 100 Firmen mit 11.000 direkten und 20.000 indirekten Beschäftigten und erzielt einen Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Euro. Die Unternehmen haben sich in der ARGE Sicherheit und Wirtschaft (ASW) in der Wirtschaftskammer Österreich zusammengeschlossen.
Und sie bieten genau jene Komponenten an, die das Bundesheer dringend braucht. Die Entfremdung zwischen Heer und Wirtschaft war vorher aber schon so weit gegangen, dass die letzten Verteidigungsminister sich sogar weigerten, Betriebsbesuche durchzuführen. Man wollte gemeinsame Fotos mit den stigmatisierten "Rüstungsindustriellen" vermeiden. Doskozil überwand alle Vorbehalte und eilt nun von einem Betriebsbesuch zum nächsten auf der Suche nach Ideen. Einige gibt es bereits. Es könnte ein langsam fliegendes Überwachungsflugzeug entwickelt werden. Auch Systeme zur Drohnenabwehr werden angedacht.
Charmeoffensive
Für die Wirtschaft kommt die militärische Charmeoffensive zum richtigen Zeitpunkt. Denn angesichts der strategischen Auseinandersetzungen mit den USA propagiert die EU nun die Stärkung der eigenen Verteidigung. Dazu gehört die Eigenentwicklung von Verteidigungstechnologien. Im ersten Ansatz soll ein "European Defence Fund" Forschungsmittel in die Wirtschaft pumpen. Von diesen Fördermitteln wollen auch österreichische Unternehmer profitieren.
Und da ist es sicher hilfreich, wenn der jahrzehntealte Bannfluch seitens der eigenen Politik beendet ist.
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