Produzenten über Händler verärgert: „Das ist eine Chuzpe“
Offiziell ist der Weihnachtsfriede in die Handelslandschaft gezogen. Schließlich haben alle großen Lebensmittelhändler den vom Nachhaltigkeitsministerium initiierten Fairnesskatalog vor Kurzem unterschrieben. Sprich, feierlich kundgetan, dass sie ihre Marktmacht nicht missbrauchen werden. Etwa, indem sie in letzter Minute Lieferungen stornieren, verspätet zahlen oder Verträge einseitig und rückwirkend ändern. Aus Sicht von Ministerin Elisabeth Köstinger ist das ein großer Erfolg.
Aus Sicht von Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin vom Lebensmittelfachverband, klingt das alles nach „einer gelungenen Marketing-Aktion“. Denn die gelebte Praxis habe mit dem, was im Fairnesskatalog steht, wenig zu tun.
Wo ist die Leistung?
Derzeit geben sich in den Zentralen der Handelshäuser die Lieferanten die Klinke in die Hand. Es ist die Zeit der Jahresgespräche, in denen grob geplant wird, welche Artikel wann in welcher Menge und Aktion in die Regale kommen. Doch was bei den aktuellen Gesprächen noch alles auf den Tisch kommt, treibt machen die Zornesröte ins Gesicht. Koßdorff spricht von „Forderungen ohne jegliche Gegenleistung: Zum Beispiel erklärt ein Einkäufer einem Lieferanten, dass er mit seinem Artikel heuer nicht die erhoffte Spanne erwirtschaftet hat und daher von ihm einen Spannenentgang rückwirkend für das gesamte Geschäftsjahr fordert“. Solche Forderungen sind freilich genau das Gegenteil von dem, was im Fairnesskatalog unter viel Medienrummel unterschrieben wurde. „Wie viel ist so ein Fairnesskatalog wert, wenn ein paar Wochen später solche Forderungen auf den Tisch liegen?“, fragt Koßdorff.
Für Ärger sorgt zudem, dass ein Händler neuerdings von seinen Eigenmarkenproduzenten fordert, dass er sich mit Namen und Adresse auf der Handelsmarke als Produzent deklariert. Hintergrund: Damit übernimmt er gesetzlich die lebensmittelrechtliche Verantwortung. Koßdorff: „Und das, obwohl der Händler Rezeptur, Preis, Aufmachung und überhaupt alles vorgibt. Das ist schon eine Chuzpe.“
Auch die Richtlinie zu unlauteren Handelspraktiken (UTP), auf die sich EU-Parlament, Rat und Kommission am Mittwochabend in Brüssel geeinigt haben, lässt die Wogen hoch gehen. Ursprünglich hätte die Richtlinie sicher stellen sollen, dass kleine Lieferanten nicht der Marktmacht der Handelsriesen (in Österreich teilen sich Rewe, Spar und Hofer 85 Prozent des Marktes untereinander auf) ausgeliefert sind.
Als besonders schützenswert galten kleine Betriebe, die mit eine Jahresumsatz von maximal 50 Millionen Euro definiert wurden. Zunächst. In der Letztfassung sind aus den 50 nun 350 Millionen Euro geworden. „Dadurch fallen in Österreich etwa 99 Prozent aller Lieferanten in den Schutzbereich“, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. „Der ausgeweitete Schutzbereich schafft ein Ungleichgewicht ohne Abschätzung der Folgen für Konsumenten und mittelständische Händler.“ Aus seiner Sicht „profitiert die millionenschwere Lebensmittelindustrie“.
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